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Fliegende Blätter — 45.1866 (Nr. 1095-1120)

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Nr. 1114
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https://doi.org/10.11588/diglit.3290#0160
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157

Des Herrn Lieutenants Canarienvogel und sein Bedienter Johann.

Ein Lieutenant war im Besitze eines Kanarienvogels,
der schön sang, dafür wurde er auch mit besondrer Liebe
und Sorgfalt vom Herrn Lieutenant gepflegt.

Der Bogel war der Liebling seines Herrn. Natürlich
hatte der Herr Lieutenant auch einen Burschen, Johann
genannt, der auch gern schön gesungen hätte, wenn er ein
Vogel gewesen wäre; trotzdem nahm Johann nächst dem
Canarienvogel die erste Stelle im Herzen des Herrn Lieute-
nants ein, bekam zwar oft Prügel, denn der Johann war
gar zu oft „ungeschickt oder eselhaft dumm".

„Johann," sagte an einem Dienstag Mittag der Herr
Lieutenant, „Johann, ich geh' auf Urlaub zu den Alten z'
Haus in Böhmen, daß Du mir das Vogerl gut hältst.
Giebst ihm jeden Tag a Master und a Futter, sonst giebt's
Watschen!"

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!" sagte der Johann.

Nachdem der Herr Lieutenant abgereist und Johann
mehr freie Zeit hatte wie ehedem, bekam das Vogerl schlechte

Tage. Statt Futter zu kau-
fen, kaufte Johann für's Geld
Schnaps, der freilich ihm und
nicht dem Vogel, dem er
Commißbrod gab, zu gute
kam. An einem schönen
Morgen war der Vogel sanft
am Commißbrod cingeschlafen
geblieben, das heißt: er hatte
sein letztes Lied gesungen, er
war todt. Johann aber glaubte
das Vogerl schlafe, weil sein
Herr fort sei und es brauche
sich jetzt auch gar nicht anzu-
strengen. Wie groß war

Johanns Schrecken, als er sich überzeugt, daß das Vogerl
gar nicht mehr zu wecken war. Johann war deßhalb un-
tröstlich, von wegen der in Erwartung stehenden Prügel.

Er suchte ein andres Vogerl zu kaufen, aber nirgends
nahm er eines wahr, daS dem seines Herrn ähnlich war,
denn die Bürger im Städtchen hatten wohl Hühner, Span-
ferkel, Gänse und Tauben, aber keine Canarienvogel. Johann
wußte wohl was ein Vogel war; aber daß der verstorbene
Vogel ein Canarienvogel war, wußte er nicht, das einzige
was in seiner Erinnerung geblieben, war die Farbe des-
selben: gelb.

An einem Markttage promcnirte Johann wieder theil-
nahmslos durch die bunte Menge der Käufer und Käuferinnen
und da sah er, zu seiner größten Freude, gelbe Vögel,
wenigstens ein Dutzend zusammen, die lustig hin und her
wuselten zu einem großen schwarzen Vogel, der eö sogar
duldete, daß die Kleinen unter seinen Flügeln Versteckens spielten.

„Bauer, was kost't so a Vogerl?" fragte Johann den
wohlbeleibten Verkäufer. „Nehmen's Sie's alle z'sammen
für oancn Gulden!" Doch Solches wollte Johann nicht, er
wählte mit sachkundiger Miene einen Vogel, der dem ver-
storbenen am ähnlichsten war und ging damit selig nach
Hause, woselbst er das neue Vogerl in den alten Käfig
steckte. Und lustig lief das kleine Ding im Käfig hin und
her, fraß sogar Commißbrod, ohne daran zu verrecken, wurde
immer stattlicher und größer, war überhaupt besser d'ran,
als das vorige Vogerl, denn der Johann wartete und pflegte

es sorgfältig, mit der Hingabe eines Vaters. Nur war
der Gesang des neuen Vogels von dem des alten etwas
verschieden, jedoch für das musikalische Gehör Johanns kaum
bemerkbar.

Die Ankunft des Herrn Lieutenants berief endlich Johann
an die Eisenbahn, um den Koffer und Nachtsack desselben in
Empfang zu nehmen und hinter ihm drein in die Wohnung
zu schleppen. „Johann," sagte der Herr Lieutenant, „Johann,
was macht mein Vogerl?" — „Gut, Euer Gnaden der Herr
Lieutenant," antwortete Johann, „woll'n'S nur g'fälligst im
Nebenzimmer selbst nachschauen." — Der Herr Lieutenant
warf seinen Mantel ab und entledigte sich* mit Johanns
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Des Herrn Lieutenants Canarienvogel und sein Bedienter Johann"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schrecken <Motiv>
Messer <Motiv>
Bediensteter
Stuhl <Motiv>
Leutnant
Kanarienvogel <Motiv>
Brot <Motiv>
Vogelkäfig <Motiv>
Optische Täuschung <Motiv>
Karikatur
Tabakspfeife
Tod <Motiv>
Satirische Zeitschrift

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Fliegende Blätter, 45.1866, Nr. 1114, S. 157

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