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Fliegende Blätter — 47.1867 (Nr. 1147-1172)

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Nr. 1149
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https://doi.org/10.11588/diglit.3292#0023
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18

Der Nath skeller von Maricnhcim.

Nachts seine Edcln der Amtmann Bendorf und sein Adjunctus
hier beim Weine. Des andern Morgens aber fand man
seine Edeln den Amtmann Bendorf todt hier auf diesem
Stuhle, wo ich jetzt sitze, mit schrecklich verzerrtem Gesichte
und herausgequollenen Augen — der Adjunctus Jeremias
Fuchsbcrg aber lag zu Hause in seinem Bette und war über
Nacht verrückt geworden."

Er hielt innc und sah mich fragend an.

„Weiler — weiter," drängte ich und meine Stimme
mochte wohl ein wenig hohl klingen.

Der seltsame Dünne schauerte noch mehr.

„Der Adjunctus entleibte sich einige Zeit nachher", sagte
er. „Aber in seinem Nachlaß fand man ein Papier, das er
in einem lichten Augenblick kurz vor seinem Ende geschrieben
hatte — bei stand denn die ganze Geschichte drinn —"

„Weiter — weiter!"

„Was, soll ich's Ihnen noch weiter erzählen," sagte
der zum Tod Erblaßte aufstehcnd. „Das wissen Sie ja doch
selbst am Besten."

„Ich?" fragte ich verwundert.

„Geniren Sic sich nicht," fuhr aber mein Gegenüber
fort. „Geniren Sie sich nicht im Mindesten, Herr Jean
Baptiste Puppcnberg. Nehmen Sie an mir nur dieselbe
Procedur vor, wie weiland an seiner Edeln dem Amtmann
Bendorf seligen Andenkens."

Erst graute mir vor dem seltsamen, sinnlosen Gerede
des kleinen, verkommenen Mannes, dann aber mußte ich in
ein helles, schallendes Gelächter auöbrcchen, das mächtig in
lauten Echos durch die gewundenen Hallen hinfuhr. Der
blaße Stammgast des RathSkellcrs war zitternd auf seinen
morschen Stuhl zurückgesunken. Ich mochte ihm noch gräß-
licher erscheinen, wie vorher.

Ich bemühte mich darauf, ihm seinen seltsamen Wahn
zu benehmen, daß ich weiland vor 30 Jährlein, wo ich noch
in Windeln schlummerte, die seltsame Procedur an dem Amt-
mann Bendorf vorgcnommen habe, auch nicht Jean Baptiste
Puppenberg heiße, und am wenigsten nach Marienheim ge-
kommen sei, um ihm ebenfalls den Hals umzudrehen.

Endlich, als ich so überzeugend sprach und mich bemühte,
so harmlos wie möglich auszuschen, schien er es zu glauben.
Und als ich sah, daß er sich ein wenig erholt hatte, bat ich
ihn um Aufklärung der Sache.

Stillschweigend nahm er ein neues Licht vom Tische,
steckte cS an und winkte mir, ihm zu folgen. Er führte
mich durch mehrere Gewölbe in ein ganz kleines. Da hingen
zwischen unzähligen Anzeigen und Plakaten, datirt von ent-
schwundenen Tagen, einige Bilder. Verschollene Gesichter mit
steifen, weißen Halskrausen,. Ehrenkctten und weiten Gewän-
dern, und vor eines, das vielfältig von den anderen abstach,
trat mein Führer hin, und hielt stumm die leuchtende Kerze
in die Höhe, daß das volle Licht darauf fiel.

Wunderbar — ich blickte in mein eigenes Gesicht-

„Jean Baptiste Puppenberg — geboren 2. November
a. d. 1716. Gestorben — Marienheim—11. Scpt. 1744."

Wir wandten uns zum Gehen.

Neuer Wein leuchtete in den Gläsern. Die Kerze brannte
unruhig — mein Gegenüber begann von Neuem:

„Ich bin der Schneider Gottlieb Bender, Bürger von
Marienheim, habe mich nie aus dem Weichbild dieser Stadt
entfernt, als im Traume, und werde auch, so Gott will,
allhier sterben, ohne die Thürme eines anderen Ortes gesehen
zu haben. Seit ich denken kann, bin ich Schneider. Schon
als Knäblein von 6 Jahren hatte ich mir aus einer alten
Sammtjackc meiner Mutter selig ein Kamisölchcn zusammen-
gcstückelt zu nicht geringer Freude meines Vaters, der mich
nun in dieser edlen Kunst, die er selber pflegte, unterrichtete.

Wohl bräuchte ich jetzt nicht mehr zu schneidern, aber
ich kann's nun nicht anders, muß der Schneider von Marien-
heim bleiben bis zum Tod, den ich schon längst herangesehnt
habe, denn was soll ich noch auf dieser Erde.

So sitz' ich denn tagtäglich, auch wenn ich keine Ar-
beit habe, was fast des Jahres 365 Mal vorkommt, auf
meinem Tische und starre zum Fenster hinaus auf den Markt-
platz, wo anstatt der spanischen Herren, die sonst darauf her-
umstolzirten, etliche Ratten ihre Allotria treiben und flicke zu
Zeiten dem Pfarrer von St. Nicolayen seinen Talar, oder
dem alten Herrn von Buchenau seine Hosen.

Des Abends aber wand're ich querüber her in den
Nathskeller und setze mich auf den Stuhl, wo seine Edeln —"

Der Schneider brach ab, dann sagte er:

„Sie werden neugierig auf die alten Geschichten sein

— vom AvjunctuS Fuchsberg und auf die von anno 1744.
Hören Sie also.

Das Papier, welches man bei dem Adjunctus fand, war
von oben bis unten vollgeschrieben — ich Hab' eö mir wörtlich
cingeprägt und kann's Ihnen also auch wörtlich mitthcilcn."

— „Den 11. September Abends 9 Uhr erlaubte ich mir, '
nach vorhergegangencr Convention, seine Edcln den Amtmann
Bendorf zu einem Glase Wein in den Rathskeller abzuholen.
Nebenbei hatt' ich auch ein Beutclchen Tabak, so gut und
noch sehr frisch gewesen ist und ich von meiner Muhme zum
Präsent erhalten, mitgenommen, da ich wohl wissend war,
daß seine Edeln ein großer Amateur davon war, wohlduften-
den Tabak in großem Quantum zu verrauchen. Und bald
saßen wir gemüthlich im Rathskeller mit noch andern hoch-
löblichen, hochgeborenen Herren zusammen.

Schon wollt' ich nach meinem Beutclchen langen, denn
cs war wohl Inhalts genug für Alle und ich hatte die
volle Ueberzeugung, daß keiner der Herren dies etwas un-
liebsame Vergnügen refusiren würde, aber seine Edeln zwin-
kerten mit den Augen und gaben mir einen Tritt unter dem
Tisch her, so daß ich die Hand wieder von dannen eScamotirte.
Die Zeit verging fliegend.

Einer nach dem Andern wandcrtc nach Hause, nur
seine Edeln und ich machten noch keine Anstalten, denn das
Beste stand ja noch in Aussicht. Zuletzt war nur noch der
Rathsbarbier Weping übrig, der trank langsam sein Glas
aus und sagte:
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