Fliegende Blätter (48.1868 (Nr. 1173-1198))

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Nebel überall — und Reif überall! — Nebel, breit ge-
lagert in den Fensternischen hoher Paläste, und Nebel, lauernd,
sich durch die schmale Thür der ärmsten Taglöhnerhütte zu
drängen; Reif an den Bärten nnd Augenbrauen der Menschen

— an den Mähnen der Pferde — auf den Pflastersteinen —
auf den Straßenbrücken — überall Nebel und Ncif!

„Verdammtes Wetter, heut!" brummte der Revisions- j
rath Thurneysser und zog, vielleicht kräftiger als sonst, an dem !
Klingelgriff seines HauseS; er hätte aber eigentlich gar nicht
nöthig gehabt, zu läuten, der gute, alte, vertrocknete Revi-
sivnSrath, denn cs konnte ihm unmöglich geöffnet werden

— sintemal im Hause Niemand vorhanden war, der diese
angenehme Pflicht hätte erfüllen können. Daran mochte nun
aber der Nevisionsrath gerade nicht denken. Zum zweit»»

| und dritten Male läutete er — er hing sich förmlich an
j die Glockenschnur — wie sich der Nebel an ihn hing, und j
seine kleine, dürre Gestalt in colossalcn Dimensionen erschei- !
j ucn ließ.

Endlich konnte Herr Balthasar Traugott Thurneysser
von seiner mühevollen und undankbaren Arbeit mit gutem
Gewissen abstehen, denn den einzigen Zweck, welcher dabei zu
erreichen war, hatte er glücklich erreicht: er hielt den abge-
rissenen Griff des GlockcnzugeS in der Hand.

„Muß ich," murmelte der Rath, „muß ich über ein
halbes Säculum diese schmutzige, staubige und ganz miserable
Erdkugel mit meinen empfindlichen Füßen belaufen — muß
ich 36 Jahre hindurch täglich zweimal den Dornenpfad des
Beamten, von diesem meinem Wohnhaus und Stammschloß
nach meinem Bureau bcschreiteu mit der Pünktlichkeit eines
Chronometers und der Ausdauer eines Müllerescls — um
heute zum ersten Male in meinem Leben den Hausschlüssel
zu vergessen? Obencin heute! am eiuuuddrcißigstcn Dezember,

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