Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10

Praktisch und Ideal.

ganz schön ausnimmt, aber im Leben nicht durchführen
läßt."

„Sr ist eö," sagte beistimmend der Doktor.

„Umgekehrt," fuhr seine Frau fort, „ist eö bei Louise
und Eduard. Louise hat ihre Weltanschauung mehr aus
! Büchern geschöpft, als aus der wirklichen Welt. Sic
legt auf alle die Kleinigkeiten, die beobachtet werden müssen,

- um' einen gemüthlichen, häuslichen Herd zu gründen, wenig
' Geivicht und sic unterzieht sich nur mit Selbstüberwindung
der Besorgung des Haushaltes. Ihr Verlobter Eduard ist
»un wieder ein nüchterner, praktischer Mensch, der als Mann
vor allen Dingen die pünktlichste Ordnung und gleichmäßige
Führung des Haushaltes fordern und hierin vor Allem die
Bürgschaft dcö ehelichen Glückes erblicken wird. So sehe ich
an beiden Paaren sehr große Verschiedenheiten — und ich
fürchte, daß sie zu Zerwürfnissen in der Ehe führen können."

„Pah," warf der Doktor eifrig ei», „sic haben sich ja
freiwillig gewählt. Eö wird sich Eins bald in daö Andere
finden. Die Kunst, sich an einander zu gewöhnen, muß erst
jeder junge Mann und jede junge Frau lernen. War'ö bei uns
nicht auch so? Wie oft haben wir in dem ersten Jahr mit-
einander geschmollt, wohl gar gehadert. Aber cs ging bald
! vorüber und wir hatten uns dann nur um so lieber."

„Das beruhigt mich noch nicht," cntgcgnete die Frau
: Doktor mit kaum merklichem Lächeln. „Einmal sind nicht
alle jungen Männer so gut, wie Du es gegen Deine junge
Frau warst, und nicht alle jungen Frauen sind so nachgebend
und geduldig, wie ich cs gegen Dich war."

Der Doktor hustete etwas stark bei den letzten Worten
und eö war zweifelhaft, ob er es that, um dieselben unhör-
bar zu machen, oder ein Ende dcS kaum begonnenen Kapitels,

! von dem er gewiß schon manchmal vernommen hatte, herbci-
' zuführen. Wir bezweifeln jedoch, daß ihm dieses gelungen
! wäre, wenn sich nicht zu gleicher Zeit die Thüre geöffnet

> hätte und die beiden jungen Brautpaare eingetreten wären.

; Die Frau Doktor, welche für den Kirchgang noch die neue

Haube auf ihr bereits etwas gebleichtes Haupt setzen mußte,
i verschwand eilig durch die Thüre deS Nebenzimmers, und der
! Doktor folgte, da er seinen langen, bequemen Hausrock noch
! mit dem schwarzen Frack vertauschen mußte, dem es nur bei
j äußerst feierlichen Gelegenheiten vergönnt war, seinen Auf-
enthaltsort, den altmodischen Kleiderschrank, zu verlassen. Die
Brautpaare waren allein; cs trat jedes still an eins der

j beiden Fenster und schaute hinab auf die Straße, wo das

> Ereigniß der Doppelheirath in dem Hause des Herrn Doktor

eine große Schaar von Kindern herbeigczogen, welche weniger
die Neugierde, als die Hoffnung hergctrieben, bei dieser Ge-
legenheit ein Stück Kuchen oder etwas dergleichen zu erhalten.

Wir benutzen diese Augenblicke, während beide Braut-
paare in ihre eigenen Gedanken versunken, theilnahmlos
auf die lärmende Kinderschaar hinabblickten, um uns dieselben
näher anzusehen. Eine Braut in ihrem züchtigen, weißen
Gewände, mit dem sie sich zum letzten Male als Jung-
frau schmückte, ist ein wonniger Anblick. Es sind die

Lilien, in ihrem jungfräulichen Weiß, herrlicher gekleidet denn
Salomo in all' seiner Pracht. Wenn aber unser Auge be-
wundernd auf der Gestalt einer schönen Jungfrau ruht, die
festlich geschmückt dem Altäre naht, so füllt es sich auch gar
oft mit einer Thräne der Rührung; denn wir empfinden mit,
ein wie ernster Weg der Hingang zum Altar ist, wenn wir
die Pflichten der Hausfrau, der Mutter erwägen, und der
Geschicke gedenken, welche die Zukunft dem neuen Haus be-
schieden haben kann. Der Ernst der Stunde beschleicht auch
das munterste Mädchenherz. An dem Brautmorgen will kein
Scherz und kein Lied von den Lippen; das Mägdlein ist be-
klommen und ängstlich und seit Wochen, in denen eö sich un-
befangen an den Bräutigam angeschmiegt und alle neckenden
Spiele des Brautstandes mit ihm gespielt, tritt der Mann
ihrer Wahl ihr fast wieder wie ein Fremdling gegenüber, im
Gefühle, daß sie mit der Stunde der Trauung in ein neues
Verhältniß zu ihm tritt. Das Weib muß Vater und Mutter,
verlassen und dem Manne folgen — auch dieser Gedanke
legt einen Flor der Traurigkeit über das Antlitz auch der
glücklichsten Braut.

So standen auch heute die schönen Töchter des Doktors
an den Fenstern und schauten mit einem Anflug von Schwer-
muth bald hinab auf die muntere Straßenjugend, bald hin-
auf zu dem Himmel, au dem die Sonne bald frei aus
blauem Meere niedcrsah, bald sich wieder in schnellvorüber-
gleitcndcn Wolken dicht verhüllte. Aber obwohl ein und der-
selbe Ausdruck über daö Antlitz beider Mädchen ausgegossen
lag, mußte man doch bei näherer Prüfung gestehen, daß die
Mutter in ihrem Ikrlheil über beide Mädchen recht habe.

Marie., die Aeltere, trug einen einfachen Myrthen-
kranz in dem kunstlos geschlungenen, dunklen Haar, von
dem der lange, bräutliche Schleier licht herniederwallte.
Ihr Antlitz mit seinem blendenden Weiß und den blühenden
Wangen, dem dunklen Auge und den frischen Lippen, zeugte
von einer ruhigen und bestimmten Gemüthsweise, von jener
Selbstzufriedenheit, wie wir sie gewöhnlich bei dem Weibe
sinden, welches in der pünktlichsten täglichen Erfüllung der
häuslichen Pflichten den einzigen Beruf des Weibes erkennt.
Die Natur hatte ihr bei ihrem bescheidenen, einfachen Wesen
jedoch ein feines Gefühl für das Schöne und Reine verliehen,
allein es bedurfte bei ihr durchaus der äußeren Anregung,
um einen Blick in ihre reiche, innere Welt thun zu lasten.

Dagegen prägte sich die Charakterverschiedenhcit der
jüngeren Schwester Louise schon in ihrem Aeußeren genugsam
auö. Das blonde Haupthaar siel in reichen Locken bis auf
die Schulter herab; ein reich von Blüthen durchbrochener
Myrthenkranz, der in den mannichfachsten Farben prangende
Blumenstrauß vor der Brust des Mädchens, die goldene
Spange, die den weichen, runden Arm umschloß, verriethen
schon, daß Louise nicht den einfachen Sinn der Schwester,
die jeden äußeren Schinuck zur Hebung der Schönheit ver-
schmähte, theilte. Ohne gefallsüchtig zu sein, liebte sie die
äußere Zierde, weil eö ihrem Begriffe von Schönheit ent-
sprach. Sie hatte eine leichte, sylphidcnartige Gestalt, und
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen