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Das Luftbad.

kommen nackt ausziehen — eine Schwimmhose mögen Sie j
meinethalben anbehalten — und eine volle Stunde lang im Wald !
spazieren gehen. Nachher ziehen Sie sich wieder an und stei-
gen langsam und ohne sich zu erhitzen, in Ihr Hotel hinab.
Haben Sie mich jetzt verstanden?"

„Und das soll die Trichinen tödten — unbegreiflich."

„Lieber Freund," sagte der Doktor, „es liegen noch
! eine Menge von Geheimnissen in der Natur, die wir mit
! unseren groben Sinnen nicht gleich fassen können und oft
j bleibt es nur dem Zufall Vorbehalten, solche geheimnißvolle
Wirkungen zu erkennen und festzustellen. Uebrigenö machen
Sie, was Sie wollen; das sage ich Ihnen aber, es ist Ihre
einzige und letzte Rettung, und wenn Sie nicht unverzüglich
an dte Kur gehen, stehe ich Ihnen selbst nicht einmal dafür,
daß selbst das Ihnen etwas nützen kann."

Der Geheime Regierungsrath sah wieder in dasMikro-
seop hinein, um sich noch einmal Vor seinen zahllosen Quäl-
geistern zu entsetzen. Der Anblick war aber zu furchtbar,
als daß er ihn lange hätte auöhalten können.

„Wie Gott will," stöhnte er endlich — „aber noch
l EinS, Doktor, schreiben Sie mir meine VerhaltungSregeln
etwas auf, denn es sind deren so mancherlei, daß ich sie am
Ende nicht im Gedächtniß behalten könnte."

„Von Herzen gern."

„Und wenn ich dort nun — wenn ich dort nun einen
Arzt finden sollte — glauben Sie nicht, daß es gut wäre,
i ihn ebenfalls um Rath zu fragen?"

„Warum nicht?" sagte Doktor Aönnls ruhig, „schaden
kann es auf keinen Fall. Er wird Sie dann jedenfalls har-
punireu —"

„Aber das ist ja doch schon geschehen!" rief der Regier-
ungsrath schnell.

„Das bleibt sich gleich," entgegnete ruhig der Doktor/
„kein Arzt ans der Welt kann sich und darf sich auf die
bloße Aussage eines Patienten verlassen. Er muß die Sache
selber und gründlich untersuchen und wenn er und sein Hilfs-
i arzt dann die feste Ueberzeugung Ihres Zustandes erhalten
i haben — werden sie Ihnen das Nämliche sagen, was Sie
von mir gehört."

„Und wohin also soll ich reisen?" stöhnte der Geheime
Regierungsrath in Verzweiflung.

„Direkt nach Gotha und von da nach Reinhardtsbrunn,
i Dort sind Sie mitten im Wald, und für ein beguem gelege-
nes Pirschhaus werde ich selber Sorge tragen — ich gebe
Ihnen einen Brief mit."

Dabei blieb es; der Geheime Negierungsrath, das Herz
zum Brechen voll und noch immer in peinlichster Ungewiß-
heit, ob ihm die wunderliche Kur überhaupt etwas nützen
werde und er nicht trotzdem ein „verlorener Mann" sei, packte
noch an dem nämlichen Abend seine Sachen zusammen. Aber
noch ein anderer Gedanke beunruhigte ihn. Er war nämlich
nicht gewohnt baarfuß zu gehen — selbst im Sommer beim
Baden, was er aber auch nur sehr spärlich betrieb, genirte es
ihn immer ungemein, wenn er die wenigen Schritte in bloßen

Füßen machen mußte, und jetzt sollte er eine ganze Stunde
baarfuß im Wald und auf den scharfen Fichtennadelu herum-
laufen; daö ging unmöglich und er nmßte deßhalb den Doktor
noch fragen, ob er seine kurzen Stiefel anbehalten dürfe.
Das gestand ihm dieser denn auch zu; auch seinen Strohhut
durfte er aufbehalten.

Aber noch eins — er litt nicht selten an Halsschmerzen
und war ebenso wenig gewohnt im bloßen Hals, wie in
bloßen Füßen zu gehen — wenn er nur noch wenigstens
seine Cravatte —

Der Doktor bekam den Quälgeist, der ihm keinen Mo- j
ment Ruhe ließ, satt:

„Meinetwegen behalten Sie auch die Cravatte um,"
rief er endlich ärgerlich, „aber das ist daö Aeußerste, waS
ich Ihnen erlauben kann, und nun machen Sie, daß Sie
fortkommen, denn wenn Sie das schöne und warme Wetter
nicht benutzen, wird es zu spät in der Jahreszeit und Sie
sind nicht mehr zu retten."

Damit ging der Doktor, nachdem er dem Patienten noch
vorher ein genaues Verzeichniß seiner nächsten Lebensweise ein-
gehändigt, und der Geheime RegierungSrath blieb mit dem
nagenden Wurm am Herzen zurück, um seine Angelegen-
heiten zu ordnen und den nächsten Morgenzug nicht, zu ver-
säumen.

Ein Luftbad! Es war ein schrecklicher Gedanke, eine
volle Stunde in der Schöpfungstracht umher zu laufen, nur
um seine Trichinen an die Luft zu setzen — und wo hatte
er je gelesen, daß irgend ein ähnliches Mittel gegen diese un-
seligste aller Krankheiten erprobt oder gar nur erwähnt sei.
Und wenn er nun noch vorher einen anderen Arzt deßhalb
zu Rathe zog? — aber die verfluchten Harpunen! Er hatte
au der einen Operation vollständig genug und dachte gar
nicht daran, sich einer zweiten auszusetzen. Ueberdies konnte j
er ja kaum noch mehr zweifeln; er war nicht allein durch
das Mikroseop selber überzeugt worden, nein — er fühlte i
auch im eigenen Körper die furchtbare Wahrheit der Entdeck-
ung, und es ließ ihm jetzt selber keine Ruhe mehr, nur so
rasch als irgend möglich den Ort seiner Bestimmung zu er-
reichen und dort seine Kur zu beginnen.

Die Reise selber verlief ohne weitere Fährlichkeiten und
wäre bei dem herrlichen Wetter wirklich ein Genuß gewesen,
dem sich aber der unglückliche Patient nicht mit ganzer Seele
hingeben konnte, da er nur immer und ununterbrochen an
seinen trostlosen Zustand denken mußte. Er war reich und im
Besitz aller LebenSgüter; er war sogar Geheimer Regierungs-
rath und hatte den blauen Finkenorden vierter Klasse, aber
wie beneidete er selbst die armen Weichensteller, die niedrigsten
Handlanger an der Bahn, die armen Menschen, die zerlumpt
und schmutzig ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen,
nur um ihr dürftiges Brod zu verdienen, denn sie waren
wenigstens gesund — sie hatten keine Trichinen und sahen
nicht ein offenes Grab vor sich, wo sie gingen und standen.

Wie oft kam ihm dabei der Gedanke: oh, wenn Du
diesen Menschen ihren gesunden Körper abkaufen könntest
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