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Der Hydrarchos.

sie Gerüchte in Umlauf brachten, die nicht allein von ihrer
totalen Unkenntniß der Sache selbst zeigten, sondern auch daS
Publicum in ihrer natürlichen Folge täuschen und hintergehen
mußten.

Ich beziehe mich hier nämlich auf die erbärmlichen Zeitungs-
annoncen und Journalklatschereien, die, ihre wässerigen Feuille-
tons zu füllen, mit frecher Stirn behaupteten, der besagte
HydrarchoS sei in Alabama nicht allein todt, sondern auch noch
in Muschel, - und Gott weiß in was für anderen Lagern, durch
den Herrn Or. Albert Koch gefunden und ausgegraben worden.

Einer solchen abfichtlich erzählten Unwahrheit sehe ich mich
jetzt genöthigt, ganz ernsthaft entgegen zu treten, und ich habe
mir zu diesem Zweck Ihr, meine hochverehrten Herren, am
stärksten verbreitetes Blatt auSersehen, damit ganz Deutschland
zu gleicher Zeit von dem wahren Stand der Sache unterrichtet
werde. Allerdings haben stch die fliegenden Blätter bis jetzt —
den Tod der beiden Löwen ausgenommen — sehr wenig mit
naturhistorischen Gegenständen beschäftigt, *) doch der Wahrheit
sollte jede- ehrliche Blatt seine Spalten offnen, und in unge-
schminkter Wahrheit will ich Ihnen denn auch kurz und einfach
erzählen, wie ich den Hydrarchos zuerst entdeckt habe, und im
Stande war, ein Geschöpf zu überwinden, das, seiner natür-
lichen Körperkraft und Größe nach (es maß im Fleisch und
ohne die später noch zu erwähnende fehlende Schwanzspitze
115'/, Fuß brabant.) in gar keinem Verhältniß zu einem schwa-
chen, ohnmächtigen Menschen stand. Allerdings muß ich hierzu
ein wenig weiter ausholen.

Schon in frühester Jugend, wo sich des Menschen Fähig-
keiten und Talente zu entwickeln beginnen, zeigte ich, als wil-
der übermüthiger Knabe, stets eine besondere und wirklich
auffallende Vorliebe für freie Rasenplätze und hohe Bäume,
so daß ich mich stets, wo ich mir oder meinem Lehrer einen
Augenblick abstehlen konnte, auf den ersteren herumtummelte,
oder auf die letzteren nach Vogel- und Eichhornnestern kletterte.
Meine Mutter zürnte nun zwar über diese beiden Eigenschaf-
ten, und vielleicht, von ihrem Standpunkt aus bettachtet,

! nicht ohne Grund, denn der vordere Theil meiner Kleidungs-
stücke kam selten unzerriffen, der andere nie ohne Grasflecken
wieder nach Hause) mein Vater aber, ein sehr wissenschaftlich
gebildeter Mann und Correspondent der Jahreszeiten, sah tiefer
! — er erkannte darin meinen noch schlummernden Sinn für
Botanik, biloete auf diese Schlußfolgerung meinen Geist, und
hatte später die Genugthuung, daß ich, als ich Medicin studirt,
! allerdings den Eramen weniger gut bestand, aber doch auch zu
gleicher Zeit meine Bestimmung zu etwas Höherem in mir
erwachen fühlte. Ich wanderte aus, und ging nach Amerika.

Um nicht weitläufig zu werden, will ich hier einen Zeit-
raum von zwei und zwanzig Jahren überspringen, und nur

i *) Allerdings I öfter wäre es auch nicht möglich, und nur dieWichtigkeit
der Gegenstandes läßt uns in dem vorliegenden Falle eine Ausnahme
machen. Die Erlegung der Hydrarchos ist indeß so interessant und
«ichiig, daß wir glauben, sie nnsern Lesern nicht vorenlhalten za dürfen.

D. R. d. fl. Ät.

kurz erwähnen, daß ich dort, im Lande der Freiheit, meinen
Neigungen vollkommen folgen, und den größten Theil meiner,
durch nichts als Nahrungssorgen in Anspruch genommene Zeit
darauf verwenden konnte, Naturseltenheiten zu sammeln, oder
die Wunder ihrer geheimen Kräfte anzustaunen.

Indessen war auch nach Alabama, meinem damaligen Aufent-
haltsott, die Kunde einer ungeheueren Riesenschlange gedrungen,
die im Meere Hausen, und Alles was man bis jetzt von leben-
den Geschöpfen kenne, an Größe und Stärke übertreffen solle.
Im Anfang glaubte ich dem Gerüchte nicht, der Umstand aber,
daß sie an den entferntesten Küsten, wie Irland, Dänemark,
Kamschatka und Brasilien und in keineswegs großen Zwischen-
räumen gesehen worden war, ließ mir, da die verschiedenen
Nachrichten fast sämmtlich übereinstimmend lauteten, die Sache
doch endlich als wahrscheinlich, und nicht bloS auf die blinde
Furcht eines Einzelnen begründet, erscheinen, und der Wunsch
wurde nun natürlicher Weise in mir rege, dieß Ungethüm eben-
falls einmal zu sehen und wo möglich nähere Kunde darüber
zu erhalten.

Da lag ich eines Abends am Strand des merikanischen
GolfeS — eS war im Juni, und die eben im Westen ver-
sinkende Sonne hatte den Tag über die nach Thau lechzende
Erde mit aller Gluth eines tropischen Klimas gesengt; etwa
vierhundett Schritt von mir entfernt jagte die nur leise plät-
schernde und murmelnve Brandung ihre Wellen am gelben |
Ufersand hinauf — über mir breiteten die gewaltigen Lebens-
eichen ihre Riesenarme aus, und das schwanke rauschende Rohr,
das die Waldung, mit der es verwachsen war, fast undurch-
dringlich machte, raschelte nur hie und da, wenn ein kleines
Raubthier hindurchglitt oder ein Vogel sein Nest unter den
breiten Blättern suchte. Die Natur schlummette, und wirklich
hatten mich nur die etwas zahlreichen MosquitoS bis jetzt
daran verhindett, ihrem Beispiel zu folgen, doch verfiel ich nach
und nach in eine Art Halbschlaf, der, noch durch das hohle
Rauschen und Murmeln der Brandung begünstigt, mich der
Außenwelt eben im Begriff war zu entziehen. Ein gewaltiges
Brausen, daS in diesem halbbewußtlosen Zustand an mein Ohr
drang, vermehtte eher meinen Schlaf als es ihn verhinderte,
und ich ttäumte jetzt sogar, ich befände mich in einem kleinen
Nachen auf offener See, und ein gewaltiger Hai folge mir mit
gierig aufgesperrtem Rachen. Da wurde ich plötzlich durch
einen scharfen, fast unnatürlich klingenden Laut oder Schmerz-
schrei aus meiner Ruhe emporgeschreckt, und als ich auffuhr
und erstaunt umherblickte, glaubte ich mich erst wirklich von
einem fürchterlichen Traum befangen — denn nur für einen
Traum konnte ich im ersten Augenblicke daS halten, was eine
kurze Strecke von mir entfernt, in all seiner scheußlichen Furcht-
barkeit, dem Meere entstieg.

Es war ein Riesenleib, wie ihn sich ein vernünftiger Mensch
selbst nicht im Wahnsinn denken würde — ein ähnliches Ge- .
schöpf, wie eS Schiller in seinem Kampf mit dem Drachen ■
beschreibt — nur fehlten ihm die kurzen Füße, an dessen Statt ,
dem oberen Theil des Körpers zwei mächtig große Flossen bei-
gegeben schienen. Der untere Leib und Schwanz war noch
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