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Güterzertrümmerer.

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Zn gar ernste Gedanken versunken, richtete der unglückliche
Erbe des Heimgegangenen das thränenfeuchte Auge auf den
rasch über die Sekunden hingleitenven Zeiger, der einer Was-
sermücke glich, die mit ihren langen Füßen auf Weihern läuft,
ohne den Wasserspiegel zu kräuseln, auf dem sie unabläßig
herumhüpft.

Von dieser Betrachtung hatte der ehemalige Maierbauer
nun nicht mehr weit zu der Erinnerung an die verflossene
Zeit. WaS war seit zwei Jahren auS ihm geworden? —

Als er so sann, blieb plötzlich der Zeiger stehen, auf Len
er die Augen geheftet, und im nämlichen Momente stellte daS
Räderwerk, wie durch einen Zauber, die berechneten kreisför-
migen Schwingungen ein. Die Maschine, in welcher noch eben
Geräusch und lebhafte Bewegung herrschten, — stand still —
die Uhr schien todt.

Wahrscheinlich war irgend ein Körnchen, fein wie ein Atom,
in den Zahn eines Rades gekommen, und so die plötzliche
Stille erregt worden. Der Bauer erschrack, wechselte die Farbe,
und bei dem Gedanken, daß auch der Jude in die Räder sei-
nes Glückes hemmend und zerstörend eingegriffen, schlug er die
geballte Faust vor die Stirne, nannte sich einen Wahnwitzigen,
der sich von einem Elenden bethören ließ, und brach bei der
Erwägung des trostlosen Unglückes, dem die Seinen nun an-
heim sielen, in Thränen und in laute Klagen aus.

Als er so vor der Uhr stand, gebeugt und niedergedrückt,
wurde plötzlich die Thüre angelweft aufgestoßen. Sein Weib
eilte schreckenbleich herein und warf sich ihm mit einem hefti-
gen- bebenden Ungestüm in die Arme. Hinter ihr her liefen
die Kinder, welche die Mutier eben zu Bette bringen wollte,
und gleich darauf erschien auf der Schwelle ein Gerichtsdiener
von einem großen Fanghunde begleitet.

Dieser Mann zeigte daS kalte theilnahmslose Gesicht des
Dienstes, und gab dem Bauern, der ihn gedehnt und zögernd
ftagte, waS er wolle, ein zusammen gefaltetes Papier, daS den
Ueberbringer bevollmächtigte, den Maierbauern vor Gericht
zu liefern.

Es hatte nämlich die gegen den Bauern wegen Körper-
verletzung eingeleitete Untersuchung daS Resultat, daß derselbe
zu einem vierzigtägigen Strafarreste verurtheilt wurde, den er
also gleich anzutreten hatte.

Mehr als der Verlust feines Vermögens, schmerzte es den
ohnehin so tief gebeugten Mann, daß er gerade jetzt, wo seine
Gegenwart zum allenfallsigen Tröste der Seinen so nöthig war,
sie verlassen mußte. Sein Weib zftterte an seiner Brust, und
als er ihr Beben und den raschen, die höchste Angst verra-
thenden Schlag ihres Herzens fühlte, fuhr er ingrimmig gegen
fein verwünschtes Geschick auf, ballte die Fäuste und zeigte dem
GerichtSviener in dem Gefühle feines namenlosen Schmerzens
eine drohende Geberde, als wolle er sich mit der ganzen Kraft
seines starken Körpers und mit der ganzen Erbitterung eines
von Gram und Unmuth wunden und empörten Herzens der
Verhaftung widersetzen.

Kalt und barsch mahnte der GerichtSviener an den Gehor-
sam, den jeder Unterthan der Obrigkeit bezeugen müsse. Der

Bauer, den hohen Ernst und die bösen Folgen dessen erwä-
gend, was er eben zu thun entschlossen war, zuckte zusammen,
wie tief im Leben verwundet. Sollte er sich in Gegenwart
seiner Kinder und seines bebenden WeibeS mit dem Hunde
und dem Gerichtsdiener balgen? War es nicht der gerade
Weg zum Zuchthaus, wenn ihn auch seine, bis zum Wahn-
sinn gesteigerten Kräfte hätten den ungleichen Sieg erringen
lassen? — Er schauderte; denn die Seinen noch unglücklicher
machen, sie mit noch mehr Schmach und Elend zu beladen,
das erschien ihm alS eine Todsünde. Er bat Gott um
Fassung, und es gelang ihm, die verzehrende Glut, die in sei-
nem Innern kochte und gährte, männlich nieder zu kämpfen.
„Ich danke Euch für Eure Mahnung," sprach er mit kaum hör-
barer zitternder Stimme zu dem Gerichtsdiener, zog dann sein
Weib fester an seine Brust, faßte sie krampfhaft in die Arme und
drückte ihr unter einem leisen Stöhnen einen langen bebenden
AbschiedSkuß auf die erbleichenden Lippen. Segnend legte er
dann die Hände auf den Scheitel seiner Kinder — zog sie zu
sich herauf, und rief unter den Einwirkungen des höchsten
betäubenden Schmerzes: „Herr! Vater im Himmel! beschütze
mir Diese und mein armes Weib, bis ich aus meiner Haft
zurückkehre, um als Tagwerker für ihr Brod zu sorgen."
Leise ließ er dann die weinenden Kleinen von der Brust herab
gleiten, schritt zu der Wiege hin, in der ein kaum zwei Monat
alter Säugling in dem warmen Bettchen schlief, kniete nieder
und sagte: „Behüte dich Gott, du in Unglück und Elend ge-
borneS armeS Knäblein; die Brust der Mutter wird dir Nah-
rung geben, du darfst nicht darben. Auch verstehst du noch
nicht den Gram deiner Eltern, du lächelst im Unglücke, glück-
liches — armes Kind."

Erschöpft und halb betäubt erhob sich dann der Arme;
seine Wangen waren todtenbleich und in großen Perlen quoll
ihm der Angstschweiß von der Stirne. Noch ein Mal suchte
sein Auge sein Weib, noch ein Mal sein« Kinder, und wie
von ein und demselben Gefühle geleitet, stürzte die Mutter mit
den Kleinen auf ihn zu, und umfing seine Brust, während
diese weinend seine Kniee umschlangen. „O, Herr Gott! mir
bricht das Herz!" mit diesem Rufe machte sich der Unglück-
liche zugleich von den krampfhaften Umschlingungen loS und
schwankte unbedeckten Hauptes der Thüre zu. Ihm auf dem
Fuße folgte der Gerichtsdiener mit dem Hunde.

Jetzt brach die Kraft der jungen Mutter, die sich bis dahin
mit fast übermenschlicher Anstrengung aufrecht erhalten. Plötz-
I lich brachen ihr aber nun die Kniee, die sie bei dem Anblicke
ihres gleich einem Verbrecher fortgeführten Mannes, nicht
mehr tragen wollten. Vor ihren Augen verschwamm Alles in
unsichere nebelhafte Formen, und mit dem Ausrufe: „Kinder!
liebe Kinder; her zu mir! o Jesus, ich sterbe! Heilige Mutter
hilf!" streckte sie die Hände suchend nach den Gerufenen aus
und sank dabei ohnmächtig auf den Boden hin. Der gellende
Angstschrei der Mutter rief die Kinder, die in den Hemdchen
| und bloßfüßig, wie sie waren, durch den kalten Schnee weinend
dem Vater nachliefen, den sie nie mehr zu sehen wähnten, zu
! dieser zurück, und bald erwachte das unglückliche Weib wieder
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