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170 Ein nrueS Marie

Der ReferendariuS drehte sich behende um seine Achse
herum, den wie auS den Wolken gefallnen Gegner in'S Gesicht
zu fassen, und sah sich einem handfesten Mähder gegenüber,
welcher, auf seine Sense gestützt, breit im Wege stand. So
sehr auch sein Herz von dem Hochgefühle bureaukratischer
Würde mit Muth und Zuverstcht geschwellt war, hatte ihn
die unvermuthete OpposttionSrede doch einiger Maßen perplex
gemacht. Jndeß gewann er bald die Fassung wieder und der»
setzte, sich in die Brust werfend: .Hör' er, juter Freund! daS
find affrose Aeußerungen, die er da verlauten läßt. Er muß
wissen, mit wem er zu thun hat. Ich bin königlicher Referen-
dariuS, und dulde nicht, daß man in solch unehrerbietiger Weise
zu mir spreche."

Die Hoffnung, durch den hohen Ton dieser Zurechtweisung
den Widerpart perhorreSzirt zu sehen, schlug fehl. Der Bauer
blieb uneingeschüchtert, und sagte so patzig, wie zuvor: .Refen-
drariuS hin, RefendrariuS her! Hier hat kein RefendrariuS
und sonst kein DrariuS die Bauern Schlingel zu heißen."

.Wie — was?" sprudelte der geärgerte Machthaber heraus:
.Mangel an schuldiger Obedienz! Mißachtung einer obrigkeit-
lichen Person! DaS soll ihm schlimme Früchte tragen, mein
Lieber! 3ch melde eS dem Landrathe."

.Geh' der Herr nur hin," erwiederte der Bauer mit empö-
render Geringschätzung: .Der Landrath wird fich wohl hüten,
mir ein Haar zu krümmen. Ich schere mich den Henker nach
ihm." —

DaS war zu viel für loyale Ohren. Der Frevel trieb dem
ReferendariuS daS Herzblut in den Kopf, und in heiligem
Zorne schnaubte er den Störrigen an: .Hochverrath! Majestäts-
verbrechen! Im Namen des Königs, Rebell, — du bist mein
Arrestant!" Damit streckte er den Arm aus, um den Bauer
an der Brust zu fassen, ließ ihn aber schnell wieder finken,
als dieser Miene machte, seine Sense zu schwingen und drohend
auSrief: .Bleib der Herr mir vom Leibe, wenn er seine Knochen
unversehrt behalten will! Weiß er nicht, wer bei uns zu be-
fehlen hat, so will ich ihm'S sagen. Bann- und Gerichtsherr
auf viele Meilen hier in der Runde ist der Berggeist!"

Bei diesen Worten schlug der aufgeklärte Berliner entsetzt
die Hände ober dem Kopfe zusammen: .JroßeS neunzehntes

Jahrhundert!" stöhnte er: .Jahrhundert eines Hegel, eineS
Feuerbach, eines Strauß! solche Schande muß dir anjethan
werden? Ach, wozu jibt unser juter König so viel Jeld aus
für die Schulen, wenn daS Volk dennoch so dumm ist!"

.Der Herr ist also ein Lichtfteund?" ftagte der Sensen-
mann lauernd: .Er hält nicht viel auf die Geister?"

.ES gibt keine Jeister, als nur jebrannte," gab der Refe-
rendariuS mit vornehmen Spotte zurück: .Euer Bergjeist ist
eben auch nur ein Produkt des Brennens, respektive eine«
verbrannten JehirneS. Ha, ha, ha! dieses Jeschöpf der
Kunkelstuben will unsterbliche Wesen beherrschen, will ein Fürst
der Jnomen sein, und läßt fich von einem schwachen Weibe
vorschreiben, die Rüben auf dem Acker zu zählen. O du
deplorabler Tropf von einem Jeiste!"

in vom Rübezahl.

Im Antlitze des Bauers stieg bei dieser Schmachrede ein
bedrohliches Ungewilter auf. Die Stirne überschattete fich
mit dunklen Wolken, die Augen sprühten Feuerblitze, und aus
dem zuckenden Munde schmelterte es wie Donnerschläge hervor:
.Armseliger Wurm, der du mein historisches Recht, mein durch
Jahrtausende geheiligtes, zu begeifern wagst, — du sollst den
Tropf von einem Berggeiste kennen lernen!" Dabei dehnten
fich die Glieder deS Sprechenden zu dem Umfange eines kirch-
thurmhohen Riesen auS, der die gewaltige Rechte gegen Norden
ausstreckte und in unverständlicher Sprache den vorüberstrei-
chenden Dohlen schauerliche Bannformeln zuraunte.

Dem ReferendariuS, welchem es nun mit einem Male klar
wurde, wen er vor fich habe, erstarrte das Mark in den
Beinen vor Grausen, und er hätte in diesem Augenblicke fich
zu dem Glauben an deS Teufels Großmutter bekannt, wäre
er nur mit guter Manier von dem Unholde wieder losgekom-
men. Doch seine Bekehrung kam zu spät, denn schon fing es
in den Lüften zu sausen und brausen an, als zöge ein tropischer
Orkan über die Gipfel deS Gebirges einher. Am nörvlichen
Horizonte stieg eine dichte, aschgraue Wolke auf, welche desto
größer wurde, je näher ste kam, und bald über den ganzen
Himmel fich verbreitete. Habt ihr die Schwärme der Zugvögel
gesehen, wenn diese, zu Hunderttausenden vereint, über euren
Häuptern hinfliegen? Oder wäret ihr zur Herbstzeit im Laub-
walde, wenn der Sturm die dürren Blätter von den Bäumen
streift? Oder überfiel euch einmal auf freiem Felde das wir-
belnde Schneegestöber des Winters? Das Alles gibt euch nur
ein schwaches Bild von der ungeheuren Masse Papier, die nun
bogen« und blattweise aus jener Wolke zur Erde niederhagelte
und bald die ganze Gegend ellentief unter ihren knitternden
Schichten begrub.

Rübezahl hatte durch seine Zaubermacht die Akten der
königlichen Regierung von Liegnitz aus ihren Repofitorien ent-
führt und boshaft genug bis auf den letzten Faszikel über
Berg und Thal hin verstreut. .Zähle, zähle!" rief er schaden-
froh dem gedemüthigten Geisterläugner zu, der bis an die
Brust in dem Papiermeere watete und allaugenblicklich von dem
auffliegenden Aktenstaube erstickt zu werden drohte: .Zähle,
zähle! Ich habe Rüben gezählt — für dich Hab' ich HehrereS
erwählt — nicht eher Rast dir gestattet ist — als wann du
am letzten Bogen bist."

Der arme ReferendariuS! — Ein Engländer, der nichts
Besseres zu thun weiß, hat bereits ausgerechnet, daß jener,
um mit seiner Arbeit zu Stande zu kommen, neito zweitausend-
flebenhundertdreiundachtzig Jahre, neun Monate, fünfzehn Tage
und eilf Slunven brauchen werde.

X X.
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