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Der Uhrmacher von Straßburg.

die auch heute noch in den entlegeneren Theilen des modernen
Straßburgs zu finden sind, saßen an einem trüben Februar-
abende des Jahres 1580 zwei Frauen und ein kleines Mädchen
um einen schlecht gezimmerten Tisch von Tannenholz, auf welchem
eine düster brennende Oellampe sich bemühte, den kleinen Raum
! einigermaßen zu erhellen. Doch das dampfende, übel riechende
Licht reichte kaum aus, die Arbeit der beiden Frauen zu be-
leuchten, die schweigend nur mit ihr beschäftigt an dem Tische
saßen, während das Kind seine Aermchen als Unterlage für sein
blondes Lockenköpfchen auf dem Tische ausgebreitct hatte und
sanft schlief.

Die ältere der beiden Frauen, eine ehrwürdige Matrone
i von wohl 70 Jahren, mit blassen eingefallenen Wangen, den
] Nasenquetscher mit großen runden Gläsern vor den gcröthetcn
j Augen, arbeitete emsig an einer Weißnüherei und rastete nur
dann einige Augenblicke, wenn ein kurzer trockener Husten sie
| überfiel und nöthigte, die mageren Hände mit der Arbeit in den
! Schooß zu legen, um tiefaufathmend der gequälten, zusammen-
j gedrückten Brust einige Ruhe zu gönnen. Besorgt erhob dann
jedesmal die andere Arbeiterin, ein junges Mädchen von etwa
! 20 Jahren, das Antlitz von ihrer Buntstickerei und ein bittender
! Blick traf die Alte, die als Antwort auf denselben nur leise das
ehrwürdige weiße Haupt schüttelte und alsbald die unterbrochene
! Arbeit wieder aufnahm. Seufzend beugte sich hierauf das junge
! Mädchen gleichfalls wieder über ihren Stickrahmen und rastlos
j stichelte ihre Nadel weiter in dem feinen Stramin, ohne daß
I ferner die Stille durch etwas Anderes unterbrochen worden wäre,

! als durch das einförmige Ticken einer wundervoll gearbeiteten
Wanduhr, die seltsam von dem übrigen ärmlichen Hausrath
! abstach. Es war Frau Margareth Heberlin, die einst begüterte
! Wittwe des weit und breit berühmten Goldschmieds Heberlin
! und ihre Enkelin Getrud, die Tochter ihres einzigen früh ver-
! storbenen Sohnes, der dasselbe Gewerbe wie sein Vater ge-
trieben und sich gleichfalls durch seine Kunst einen bekannten
und geachteten Namen gemacht hatte. Bei seinem Tode hinter-
| ließ er, da seine Frau ihm einige Monate vorher im Tode
vorangcgangen war, drei kleine Waisen, zwei Mädchen und einen
' Knaben, welche die damals noch rüstige Großmutter zu sich nahm
j und mit verdoppelter Liebe auferzog, um ihnen das traurige
Schicksal, die liebende Fürsorge von Vater und Mutter entbehren
zu müssen, minder fühlbar zu machen.

So waren bei ihr die Kinder herangewachsen; dieselben
hingen mit schwärmerischer Liebe an der biederen Großmutter
und als sich die älteste, Marie, mit dein Uhrmacher Isaak Habrecht
verheirathete, konnte sich Frau Margareth nicht entschließen, die
geliebte Enkelin ganz zu entbehren; sic zog mit Gertrud und
Mathias, dem zwei Jahre jüngeren Bruder Gertruds, zu Isaak
uud geuoß hier im Kreise ihrer Lieben das reinste Glück des
i schönsten Familienlebens. — Da, nachdem kaum ein Jahr ver-
! strichen war, zerriß der Tod mit kalter Hand das Alle so be-
! glückende Band — Marie starb, nachdem sic einem Mädchen,
der kleinen Marie, das Leben gegeben hatte, die wir heute auf
dem Tische der Urgroßniutter so sanft eingeschlafen erblickten.

Aber nur um so fester fühlten sich nach Marien's Tode

Alle an einander gebunden durch die gemeinsame Trauer um
die geliebte Entschlafene, durch die gemeinsame liebende Fürsorge
für das zum Leben erwachte kleine Geschöpf.

So wurden die familiären Beziehungen nicht gestört; leider
aber blieben die pccuniären Verhältnisse derselben nicht die gleich
günstigen, denn Isaak, der sich durch angestrengte Arbeit zu
zerstreuen suchte, ersann während dieser trübsten Zeit seines
Lebens den Riesenplan, dessen Ausführung ihn zwar unsterb-
lich, aber — zugleich bettelarm machen sollte. Summe auf
Summe opferte er der Verwirklichung dieser Idee, die nach
uud nach sein ganzes Sein zu erfüllen begann; Summe auf
Summe gab auch Frau Margareth dahin, die mit Begeisterung
der Ausführung der kühnen Phantasieen Jsaak's beitrat und stets
die Warnungen wohlmeinender Freunde zurückwies mit den stets
wiederkehrenden Worten: „Laßt nur den Isaak machen, der weiß,
was er will, und was jetzt d'rauf geht mit Löffeln, das bringt
er wieder ein mit Scheffeln!" —

Aber das scheffelweise Einbringen ließ lauge auf sich warten;
fünf Jahre waren seit Mariens Tode verstrichen und inzwischen
war das ganze Vermögen Isaaks und der Frau Margareth
geopfert und noch immer die Riesenuhr nicht vollendet. Die
Familie war am Bettelstab; doch auch das jetzige Elend, das ;
Frau Margareth uud Gertrud nöthigte, kümmerlich durch allerlei
weibliche Handarbeiten ihr Dasein zu fristen, vermochte dennoch
nicht den Glauben der charakterfesten Alten an ihren Enkelsohn
zu erschüttern. Willig arbeitete sie, obgleich ihre Gesundheit dar-
unter litt, vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht und hielt
fest an ihrem Spruch: „Er bringt's wieder ein mit Scheffeln!"

Auch Gertrud, ein Mädchen von kleiner zierlicher Gestalt
mit schönem blonden Haare, welches in natürlichen Locken das j
sanfte Gesichichen mit den großen dunkelblauen Augen umwallte,
fügte sich ohne ein Wort der Klage in das Gebot der Noth-
wendigkeit und arbeitete um's tägliche Brod von früh bis spät, '
ja ganze Nächte hindurch. — Dessen ungeachtet blühte sie wie
ein Röslcin im Mai, denn Gertrud war glücklich — doppelt
glücklich durch das Bewußtsein ihrer redlichen Pflichterfüllung
und durch ihre Liebe zu dem Kinde ihrer Schwester und seinem
Vater, dessen liebende und geliebte Braut sie seit Kurzcni ge-
worden war.

Nur Mathias fügte sich nicht so gleichmüthig in den Wechsel
der Glücksverhältnisse der Familie; ncid- und zornerfüllt sah er
nach und nach das ganze Vermögen — auch sein einst zu hoffen-
des Erbe — „einem Hirngespinste" geopfert und als endlich das
freundliche Haus in der Münsterstraße verlassen und dafür die
Dachwohnung bezogen werden mußte, da war er wüthend vor die
Beschützerin seiner Jugend hiugetreten, hatte sie mit bitteren Vor-
würfen überschüttet und sich losgesagt von der „thörichten Alten,
die nun allein verhungern könne," und war aus dem Hause ge-
schritten, um seinen eigenen Weg zu gehen. Doch arbeitsscheu,
wie er war, gerieth er in schlechte Gesellschaft, ward ein leicht-
sinniger, lüderlicher, dem Trünke ergebener Mensch, der zuletzt,
nachdem keine Ermahnung hatte fruchten wollen, von seinem Brod-
hcrrn, einem Freunde uud Zunftgcnosscn seines Vaters, aus dein
Hause gejagt wurde. — Da war er wieder heimgekehrt zu Fra»
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