Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
2

Geschriebene Bilder.
Von
Emile Mario Vacano.

1. Die 8eiileiMürze.
(Genrebild.)
Das Dorf liegt im Frühsonnenschein da. Es ist Sommer
und es ist Sonntag. Die Burschen und die Bauern sind alle
im Sonntagsstaate versammelt auf dem Dorfplatze. Die meisten
stehen unter den Wirthshausthüren, und die Wirthe selber sind
zwischen ihnen, begrüßend und väterlich nach der Familie
fragend. Die Dirnen und die Frauen sind auch schon geputzt
zum Kirchgänge, aber sie erwarten das Zusammenläuten in
ihrer eigenen Hausflur oder am Fenster der Stube. Sie tragen
„Kleider mit einem Leibe", Schürzen, deren Größe und Stoff
sich nach ihrem Vermögen richtet, und Kopftücher von möglich-
ster Steifheit. In der Hand halten sie große Gebetbücher, die
mit den weißgewaschenen Schnupftüchern zu Eins verwachsen
scheinen, und Gebetbuch und Sacktuch werden fest an die Brust
gedrückt, wie warme Umschläge bei Magenweh.
Die alte Mutter Mohrin ist auch bereit zum Kirchgang.
In ihrer armen Hütte ist alles blank gescheuert, wie sie es zu
halten Pflegt, um den Tag des Herrn zu ehren. Ihr Näh-
tischchen ist wohl aufgeräumt; Scheere, Nadel und Leinwand
liegen ordentlich im Körbchen, als sollten sie Ruhe haben an
diesem Tage, aber ich glaube, sie werden wieder in Anspruch
genommen werden, noch ehe der Tag des Herrn sein sonniges
Auge schließt . . .!
Die alte Mohrin selber steht vor dem kleinen Spiegel
und rückt sich den Anzug zurecht, als sei die einsame, fleißige
Frau noch die eitelste Person des Dorfes.
Ihr graues Haar ist schlicht gescheitelt; ihr Kopftüchlein
ist alt und schon schlissig geworden wie Spinnengewebe. Ihre
Jacke ist noch immer nach der einstigen Mode mit federgefüll-
ten Aermeln, und der Stoff spiegelt schon an den meisten Stel-
len; hie und da ein Riß am Saume des alten, reingewaschenen
Sonntagsrockes aus Mullstoff, ist sauber vernäht von der kun-
digen Hand. Aber von dieser bescheidenen Sonntagstracht sticht
gewaltig ab eine breite, neue Seidenschürze, die bei jeder Be-
wegung rauscht; es ist ein stolzes Toilettenstück, und die Mutter
Mohrin kann es selber nicht genug bewundern; sie dreht sich
hin und dreht sich her, und läßt die stolze neue Schürze im
Sonnenschein blinken, und läßt den Schatten der Stubenecke
darüber dunkeln, und streicht sie mit den zitternden, runzligen
Händen glatt, und bauscht sie dann wieder zusammen, um die
Glanzeffekte zu sehen. Und Thränen rinnen ihr dabei über die
Wangen — Thränen des Stolzes und der Wehmuth zugleich.
Ist doch eine Seidenschürze schon seit Langem ihr heißestes
Sehnen gewesen! Und doch ist sie nicht putzsüchtig und nicht
eitel, das arme alte Mütterlein, welches Tag und Nacht arbeitet,
um sich ihr Leben zu verdienen.
Aber das kam so. Die Mohrin war die Frau des
Schullehrers Mohr gewesen. Das war ein gar angesehener
und gelehrter Mann. Er verstand Alles was man nur lernen
konnte, und er war ein Musiker, welcher den ganzen Chor der
Messe wieder in Schwung brachte, und er verstand sogar

französisch und gab Stunden auf den benachbarten Schlössern.
Kurz, er war ein Mann, den in der ganzen Umgebung die
höchsten Leute zu sich luden, und der so viele Nebensporteln
hatte, daß er ganz brillant dastand — für die Dorfverhältnisse
wenigstens.
Und die Schullehrersleute hatten nur ein einziges Kind,
den Alois. Der lernte denn von seinem Vater Alles, was
man nur bei ihm lernen konnte: die Elementarwissenschaften und
die Musik und Alles. Der Bursche war schlank und hatte ein
hübsches, offenes Gesicht und galt für ein Genie; denn erlernte
rasch und war keck in Witz und Auffassung. Der alte Schul-
lehrer war stolz auf seinen Buben, und sagte: „Er wird ein-
mal Minister werden!" — Und die Mutter erst! Es war ein
Wunder, daß sie sich vor dem hübschen blondhaarigen Jungen ,
nicht täglich niederkniete und sich seiner Huld und Weisheit
empfahl. Sie, die bescheidene, häusliche Frau wurde fast
trunken vor Stolz, wenn sie von ihrem Sohne sprach, oder I
wenn sic ihn an ihrer Seite hatte. Sie war dann fast hoch- i
nasig gegen alle Nachbarinnen, und nickte mitleidig anderen
Müttern zu, und sagte jeder zuni Tröste: „Ja mein Gott, jede
Mutter ist nicht so glücklich, einen Alois' zum Sohn zu
haben!" —
Ach, arme Frau Mohrin, du kanntest die ewig wahre
Sage von der Niobe nicht: die Sage von dem Mutterstolze,
den die Götter stets so strenge bestrafen — diese Sage, die
eigentlich eine Warnung ist.
Das Krcnzköpfl, das kecke, blondgelockte Genie kam ans
die Hochschule — d. h. ans die höhere Schule in die Stadt;
der Schulmeister und die Schulmeister!» hatten ihre Sparpfennige
darauf znsammcngelegt und alle Protektion aufgewandt. Es
mußte ihnen ja tausendfältig vergolten werden — !
Der Alois zog denn auf die Stadtschule. Aber er war
noch kaum ein halbes Jahr daselbst, da starb der Schulmeister.
O wie schnell sanken da die Aussichten und die Hilfs-
quellen. Die Wittwe, die Mohrin, mußte aus dem Schulhause
ausziehen. Sie rief ihren Sohn zu Hülfe, aber der starrte nur
ganz erstaunt ans das Grab seines Vaters, der ihn doch eigent-
lich hätte unterstützen sollen bis an's Ende des Lebens. . . .
Sie mußte fortziehen und sie bekam nur so viele Kreuzer
als Gnadengabe, wie ihr verstorbener Gatte Gulden bekommen
hatte. Sie verkaufte alle seine Bücher, sogar die Instrumente:
die Violine und das Klavier, aber nicht ohne ihren Sohn zu
fragen; der Bube sagte: „Ach, natürlich, Mutter, wozu brauchen
wir die Scherben!" —
Sie miethetc sich ein in dem Hanse eines Schusters am
Ende des Dorfes. Dorthin brachte sie ihr Bett und ihr Näh-
tischchen und einen Sorgenstuhl in die winzigste Stube, die sich
denken läßt. Und das einzige Fcnsterchen führte nicht einmal I
in's Grüne, sondern auf einen übelriechenden Hühnerhof.
Es war das ein harter, jäher Fall. Es wurde so still
um sie, die sonst einem ganzen Haushalte vorstehcn konnte, daß
sie ihren eigenen Athem zu hören anfing und davor erschrack.
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen