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10

Geschriebene Bilder.

Vo-n
Emile Mario Vacano.

2. Der 8pnz:ergang ilurcb ilie 8iaüi.

Z. WMer?

(Genrebild.)
Die Gassen der kleinen Stadt sind unregelmäßig gebaut
und zeigen viele Lücken. Eigentlich besteht die ganze Stadt nur
aus einer breiten, krummen, bauchigen Straße, die an der
Kirche in einem spitzen Winkel zusammenläuft. Die Häuser
haben alle Farben: violett, gelb, grün und grau, und die
Dächer sind alle ziegelroth, was im Falle einer Feuersgefahr
viel beruhigender ist als das Schindelgrau. Die Fenstertafeln
erscheinen alle trübe und schwarz und glanzlos, obwohl ein Hel-
ler Sonnenstrahl über die Stadt fällt. Zwischen den Häusern
stehen einzelne Bäume, deren Laub grellgrün erglänzt und sich
ruhig und unbewegt um den dunkelbraunen, schlanken, kerzen-
geraden Stamm schlängelt. Nur zwei Leute bewegen sich durch
die Straße: der Herr Bürgermeister mit der Allonge ans dem
Haupte und mit dem goldbehelmten Stock in der Hand, und die
Frau Bürgermeisterin mit einem violetten Seidxnhute, von
welchem eine dick schläfrige Feder herabbaumelt, und mit einem
grünseidenen ungeheuren Ridikül am Arm, der fast den Bo-
den streift.
Die Häuser des Städtchens reichen dem Herrn Bürger-
meister kaum bis zu den Knöcheln, und wie sie so gravitätisch
dahinschrciten, wirft die Frau Bürgermeisterin mit ihrer Schleppe
das stattlichste Gebäude um und entwurzelt zwei Bäume.
Denn der Bürgermeister ist acht Jahre alt und die Bürger-
meisterin sieben; und Er hat sich die Allonge des Papa's auf-
gestülpt, und Sie den Federhut der Mama. Und die ganze
Stadt haben sie gestern zum Geschenk bekommen in einer großen
Schachtel und haben sie heute im Kindszimmer aufgebaut.
— „Du darfst nicht so wackeln!" sagt die Bürger-
meisterin.
— „Und Du darfst nicht so schleppen!" — grollt der
Herr Bürgermeister.
— „Was? Ich hab's umgeworfen? Ich spiele nimmer
mit!" — greint Lenchen und reißt den Federhut vom Kopfe.
Der kleine Bürgermeister schiebt sich ganz verzweifelt die
Perrücke schief, und meint: „Aber Lenchen, bis zur Kirche nur
geh mit mir, damit die Leute nicht sagen, daß wir die Hochzeit
versäumt haben!" —
Und Lenchen stülpt sich wieder den Hut auf, ganz schmol-
lend, und sie gehen bis zur Kirche, die ihnen nicht bis zum
Knöchel reicht. Dort bückt sie sich nieder, rafft mit beiden
Hündchen die Häuschen zusammen, daß sie Übereinanderpurzeln,
und ruft: „So, und jetzt spielen wir etwas Anderes, da wir
schon verheirathet sind." —
— „Was denn?" — fragt er, und starrt ganz verdutzt
auf die umgeworfenen Häuser und entwurzelten Bäume herab.
Lenchen aber hat schon die Hand ansgestreckt nach einer
große!: Schachtel im Spielwinkel. „Soldaten!" sagt sie fest.
L> ahnungsvoller Geist der Kindheit! —

(Historienbild.)
Sigismund Bäthori steht an einem offenen Fenster seines
Palastes in Klanscnburg. Auf dem offenen Platze vor dem
Fenster steht das Schaffot, auf welches man eben zwei Brüder
zum Tode führt. Das Schaffot wird niemals abgebrochen,
nicht an heiteren Maitagcn, Ivo sich alle Herzen versöhnen sollten
i und nicht an traurigen Dezemberäbenden, wo man an das
Jenseits denkt; denn Sigismund Bäthori fürchtet alle seine
Unterthanen, weil er sich selber als Tyrannen kennt, und wenn
sich eine zeitlang Niemand empört, läßt er Unschuldige richten,
damit es Keinen: einfallen solle, sich zu empören.
Er steht am'Fenster, in dem schweren gelbseidenen Rock,
in dem brokatnen, mit Pelz verbrämten Oberkleide, die schwarze
Pelzmütze mit den starrenden Rabenfedcrn ans dem Hinterhaupte.
Er steht am Fenster mit den finsteren Augenbrauen, welche jeden
^ freien Gedanken seiner Stirne zu fesseln scheinen und blickt hin-
aus auf das Schaffot, dessen Opfer ihn: durch den dumpfen
j Schrecken der Menge wieder einen Tag der Sicherheit vor Ver-
schwörern geben sollen. Es ist ihn: nicht warn: und es ist ihm
nicht kalt, wie er auf das Schaffot blickt, welches die beiden
! verurtheilten Brüder ersteigen. Beide sind jung, in den Zwanziger-
jahrcn, in den Jahren, wo man zu lieben beginnt und wo man
! mit athemlosem, freudigen Erstaunen den in der Kindheit nie
geahnten Reichthum des Lebens überblickt. Sie haben lange,
wallende Locken, und Augen, die noch hell die Zukunft schauen
möchten.
Zn den Füßen Bathori's kniet eine alte Frau in Trauer;
eine alte Frau mit einem Heldcn-Namen, welchen Siebenbürgen
liebend verehrte.
Es ist eine Mutter; die Mutter der beiden jungen Männer,
i welche eben zum Schaffot geführt werden. Und sie fordert von
Büthori das Leben ihrer Söhne, sie fordert es bei seiner Tank-
j barkeit für ihren todten Gatten und sie fordert es in: Namen
ihres alten Stammes. Und wie sie halb flehend und halb
drohend die Arme nach ihm ausstreckt und ihr graues Haar sich
löst und wie Asche über ihre rothgeweinten Augen rieselt, da
kommt es über ihn wie Scheu; aber ganz bejahen darf er
i nicht — seine Herrschaft besteht ja in dem Schrecken, den er
cinflößt. Und eine böse Lust keimt in seinem Herzen auf,
! welches scho^ längst abgestumpft ist gegen den einfachen köstlichen
> Anblick der Todesangst und Verzweiflung. Wie seltsam wäre
! das Schauspiel, in einem Herzen die Verzweiflung mit der
Freude zu mischen, so eng, so innig, daß sie zu einer viel gräß-
licheren, unerträglicheren Marter werden mußten, als der hoff-
! nungslose Jammer?
So sinnt er.
„Einer Deiner Söhne soll leben!" ruft er und winkt mit
der Hand zum Fenster hinaus; „aber bei der Seligkeit meines
^ Vaters — nur Einer! Wühle den, der leben soll! Welcher?"
Die Mutter starrt den Fürsten an wie versteinert und das
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