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Der allegorische Marzipan.

nicht schwer vor, ich hätte sie eine Ewigkeit so halten mögen.
Jndeß, da sie noch immer nicht Miene machte, zu sich zu
kommen, gerieth ich doch ein wenig in Verlegenheit, was- ich mit
ihr anfangen sollte; zudem lag ihr Mnndchen halb geöffnet wie
eine aufspringende Blnmcnknospe, kaum eine Spanne weit von
mir entfernt und zwei Reihen schneeweißer Perlenzähne guckten
daraus hervor. Ich hielt es daher unter den gegenwärtigen
Umständen für das Beste, einen ganz leisen Kuß auf diese
Lippen zu drücken.
Eine Minute später schlug sie die Augen auf. Es waren
zwei große leuchtende Feuerkugeln, aber so klar wie ein Berg-
quell. Man konnte durch dieselben bis in den Grund der
Seele blicken. Wir sahen uns gegenseitig an. Sie trat jetzt
von mir zurück, und stand wieder auf den eigenen Füßen.
I Ich frug sie, ob sie auf dem Grashügel nicht ausruhen wolle.
^ Sie erwiderte, daß sie schon wieder gefaßt sei und sich erholt
^ habe. „Der böse Pony hat mir diesen Streich gespielt," sagte
I sie. „Er hat sich, seitdem wir miteinander bekannt sind, noch
^ nie so schlecht benommen. Er schreckte an einem Baumstrunk
und ging mir durch." Sie streichelte dabei mit ihren kleinen
Händen halb schmollend den Hals des Thieres, das ich noch
immer am Zügel hielt. „Sie waren gerade zur rechten Zeit
erschienen, mein Herr," sprach sie weiter, „ich danke Ihnen."
Ich bezwang jetzt die Scheu, die sich meiner in der Nähe
dieser holden Maid immer mehr bemächtigen wollte, und gewann
meine natürliche Munterkeit wieder.
„Ach mein Fräulein," entgegnete ich, „ich hätte mir kein
liebenswürdigeres Abenteuer wünschen können, und danke dem
Himmel dafür. Und es war wirklich höchst nothwendig, daß
ich rettend eingriff, denn Sie hatten schon das Gleichgewicht
verloren; ich kam nur noch zurecht, Sie aufzufangen." Sie sah
mich nun ein klein wenig schnippisch von der Seite an und
erwiderte: „Gewiß war auch der Kuß höchst nothwendig.
O", sagte sie, und machte dabei ein sehr kluges und Pfiffiges
Gesicht, „ich hatte es schon bemerkt."
Unterdessen war eine Rcisekutschc herangerollt, in welcher
vier Personen saßen, die zusammen mindestens ein Alter von
dreihundert Jahren haben mußten. Ein betagter etwas ver-
schrumpfter Kutscher lenkte die Pferde, ein ebenso alter Diener
saß rückwärts auf und im Wagen selbst erblickte man in der
Ecke zusammengekauert schlummernd ein eisgraues Mütterchen;
neben ihr einen ansehnlichen Herrn mit dichten aber schneeweißen
Haaren. „Das sind meine Urgroßültcrn", flüsterte das Mäd-
chen neben mir.
Der alte Herr stieg so hastig, als es seine steifen Glieder
erlauben mochten, aus dem Wagen und trat zu seiner Urenkelin,
um mit Besorgnis; und zugleich mit vieler Umständlichkeit sich
von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen. Sie mußte die Arme
heben und einige Schritte weit gehen, damit er gewiß war, daß
sie sich keinen Schaden gethan.
„Beruhige Dich, liebes Großvüterchen", lachte Hulda, „ich
bin gesund und unversehrt, wie vor." Der Alte deutete auf
die schlummernde Matrone im Wagen. „Sie schläft", sprach er
„wecke sie nicht. — Das langsame Fahren bergan und die

Morgenluft hatte mich in Schlaf gewiegt und" fuhr er den
beiden Dienern gntmüthig drohend fort, „ich habe auch die
beiden Schelme da oben in Verdacht, daß sie einnickten. Ich
erwachte erst, als Du schon weg warst und sah noch durch mein
Lorgnon, wie das dahingaloppirende Pferd um die Ecke der
Straße verschwand. Mir ahnte gleich nichts Gutes und ich gab
Befehl, Dich einzuholen, so rasch es ging".
Hulda stellte mich vor. „Dieser junge Mann", sagte sie,
„hat mich durch seine Geistesgegenwart vor einem Unfall be-
wahrt. "
Ich verbeugte mich.
Der alte Herr nahm seine Lorgnette wieder hervor und
musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen, ganz wie es die
reisenden Engländer zu thun pflegen. Er kniff dabei die Lippen
zusammen und unterzog sich diesem Geschäfte mit aller Ge-
nauigkeit. Da ich füglich nichts Rechtes dagegen einwenden konnte, !
so ließ ich es geschehen. Aber ich stemmte die Linke in die
Seite, wiegte mich stolz ein wenig in den Lenden und griff ^
mit zwei Fingern meiner rechten Hand nach jener Stelle meines
Gesichtes, wo dereinst der Schnurrbart Prangen sollte, gegenwärtig
aber kaum noch der erste Flaum hervorgesproßt war. Das Re-
sultat seiner Forschung mußte für mich nicht ganz ungünstig
sein, denn der Alte begann in einem heiteren, und wie mir
däuchte, launigen Tone mich auszufragen.
„Mit wem haben wir die Ehre, mein junges Herrchen?
Wer sind wir? Woher stammen und kommen wir? Wohin
gehen wir?"
„Das sind viele Fragen auf einmal, gechrtester Großpapa." ^
„Nur gemach junges Blut. Wir haben keine Eile. Wir
wollen sie schön der Reihe nach beantworten, eine nach der andern." :
Der Alte legte die Hand mit dem Lorgnon auf den Rücken,
stützte mit der andern das Kinn auf den goldenen Knauf seines !
Stockes und begann wieder:
„Wie heißen wir?"
„Mein Name ist Gustav Hell", sagte ich.
„Charakter und Beschäftigung?"
„Ich bin ein Embryo, d. h. ich bin jetzt noch nichts, !
aber es kann Alles ans mir werden. Ich bin nämlich Student
und habe die Zukunft mit ihren Titeln, Aemtern, Ehrenstellen
und Würden nach vor mir."
„Weß Landes und Geschlechts?"
„Ein romantisches Städtchen im freundlichen Lande Mähren,
am kleinen Flnße Thaja gelegen und Znaim genannt, nenne
ich meine Heimat. Von Abstammung bin ich ein schlichtes
Soldatenkind, mein Vater fiel als tapferer Offizier auf dem
Felde der Ehre. Der Mutter brach darüber das Herz."
Ein Schatten wehmüthiger Erinnerung mochte bei diesen
Worten über mein Gesicht gleiten. Auch griff ich nach meinem
Käppi und blickte einen Augenblick schweigend zu Boden. Als
ich aufsah, waren Hulda's Angen feucht und auch der Alte nickte
theilnehmcud zu mir herüber. Heiterer fuhr ich wieder fort:
„Von da an bin ich zum Theil mein eigener Mentor, mir j
selber Vater und Mutter und Familie zugleich. Von Früh auf
lernte ich ans eigenen Füßen stehen. Ich schlug mich frisch
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