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82

Der allegorische Marzipan.
(Fortsetzung.)

Unsere Herzen öffneten sich, und wir wurden mittheilsamer,
als je zuvor.
„Was essen Sie denn am liebsten?" frug Hulda.
„Wenn ich in meine Kindheit zurückblicke," entgegnete ich,
„so finde ich, daß damals eine heftige Leidenschaft mein Ge-
müth einnahm, die beinahe bis zur Schwärmerei ging. Ich
liebte nemlich die kurzen, dicken Cervelatwürste bis zum Uebermaß."
„Und ist diese Neigung verblieben?"
„Sie hat sich später zu würdigeren Gegenständen gewen-
det. Zwar will ich nicht sagen, daß ich saftige Fleischgerichte
verschmähe, aber im Ganzen, — ich weiß nicht, wie dieß so ge-
kommen ist, ziehe ich doch jetzt die Mehlspeisen vor."
„Man wird auch sanfter davon," versicherte Hulda.
„Ein guter Kuchen geht mir über Alles."
„Mit einem Füllsel von Eingesottenem, Marillen oder
Pfirsichen zum Beispiel?"
„Vortrefflich," sagte ich. „Auch Macaroni mit Parmesan
esse ich für mein Leben gern."
Wir kamen dann noch auf die verschiedenen Gattungen
von Klößen, insbesondere auf die Kirschen- und Zwetschken-
klößchen, und einigten uns darüber, daß die dünnere Mehlhaut
bei denselben entschieden vorzuziehen sei. Ebenso fanden wir,
daß nach den gemachten Beobachtungen und Erfahrungen ein
guter Aepselftrudel von aller Welt geschätzt werde.
Unter solchen höchst anziehenden und lehrreichen Gesprächen
hatten wir länger, als es anfänglich unsere Absicht war, auf
dieser ersten Haltstation verweilt. Jetzt machten wir uns wieder
auf den Weg und klommen ungefähr noch eine halbe Stunde
lang empor. Leider hatte jedoch die Sonne auf uns nicht ge-
wartet, und das herrliche Naturschauspiel war schon vor sich
gegangen, als wir oben an der Spitze ankamen. Es blieb uns
also nichts übrig, als nach kurzem Rasten die letzten Reste un-
seres Morgenimbisses zu uns zu nehmen; dann traten wir
wieder, eigentlich unverrichteter Sache, den Rückweg an.
So ging das Leben lustig fort, jeder Tag brachte neue
Freuden, aber eben darum floß die Zeit auch schneller dahin,
und ehe man es dachte, kam das Ende der Vacanz heran. Ich
mußte mich jetzt bald verabschieden.
Einige Tage vor meiner Abreise merkte ich, daß Hulda
sowie Großmütterchen dem Alten uni etwas anlagen, weil sie
öfter im Geheimen sich an ihn wandten und mit ihm flüsterten.
Er antwortete darauf immer mit einem sanften aber entschie-
denen: „Nein," und einmal fetzte er hinzu: „Ich habe die
besten Absichten dabei."
Zu meiner innigsten Genugthuung mußte ich erfahren, daß
ich der Familie kein Fremder geblieben sei. Ich erkannte dieß
beim Abschied. Die gute Alte weinte, der Präsident legte ver-
traulich seine Hände auf meine Schulter, und sprach gütig:
„Sie wollen Jurist werden, lieber Hell? Wandeln Sie auf
der neuen Bahn der Wissenschaft, die Sie jetzt einschlagen, mit
Eifer und Ausdauer. Benützen Sie nach Kräften das Jahr, das
vor Ihnen liegt. Und wenn cs vorüber sein wird und die Ferien
wieder herankommen, so sind Sie von nun an immer unser Gast."

Den Wagen, den er mir anbot, schlug ich dankend aus.
Ich wollte zu Fuße nach Wien reisen, denn ich ahnte, daß ich
Heimweh nach Maximiliansruhe bekommen werde, und hoffte,
mich so früher zu zerstreuen. Draußen erwarteten mich- auch
Kaspar und Mathias, die biederen Veteranen des Hauses. Sie
reichten mir beide die Hand.
„Ich möchte nur im nächsten Jahre gewiß wieder kommen," ;
! meinten sie.
Hulda durfte mich mit Erlaubniß der Ihrigen eine Strecke
^ weit begleiten. Sie war heute schrecklich ernst, und bemühte
sich, mir gute Rathschläge auf den Weg zu geben. „Sie haben
keine Mutter mehr," sagte sie, „ich möchte deßhalb Mutterstelle
bei Ihnen vertreten und Ihnen einige Ermahnungen an's Herz
legen. Versprechen Sie mir, Gustav, daß sie dieselben befolgen
werden?"
„Gewiß," erwiderte ich, „ich verspreche es."
„Nun denn, so bleiben Sie vorzüglich auf Ihre Gesund-
heit bedacht. Trinken Sie nicht güh in die Hitze hinein, wahren
Sie sich vor Zugluft und Verkühlung und studiren Sie nicht
gar zu lange in der Nacht. Und," fuhr sie fort, „vor Allem,
Gustav, hüten Sie sich vor bösen Gesellschaften, denn wissen
Sie," setzte sie feierlich mit dem Finger drohend hinzu, „böse
Gesellschaften verderben gute-Sitten."
Wir blieben stehen. Ich hätte diese niedliche Mutter von
fünfzehn Jahren am liebsten umarmen und küssen mögen, aber
ich wagte es nicht, und war selber so bewegt. Ich führte daher
nur ihre kleine Hand an meine Lippen und sah ihr noch einmal
in's feucht glänzende Auge.
So schieden wir von einander.

Anfangs ging es wohl etwas knapp. Meine ganze Baar-
schaft, die ich nach Wien mitbrachte, betrug gerade so viel, daß
ich damit, — wenn ich die dringendsten Lebensbedürfnisse be-
friedigte, sonst aber mich der größten Sparsamkeit befleißigte,
ungefähr zwei Monate ausreichen konnte.
Für jetzt hatte ich blos eine einzige kleine Erwerbsquelle,
nemlich den Elementarunterricht in einem Bürgershause, wohin
mich der Studiendirector meiner Vaterstadt empfohlen hatte.
Das Honorar, das ich dafür empfangen sollte, war noch un-
bestimmt.
Zum Glück fand ich gleich eine billige Wohnung bei recht-
lichen Leuten in einer entlegenen Vorstadt. Der Mann war
seines Zeichens ein Weber, seine Frau ging ihm dabei zur
Hand, beide waren im Alter vorgerückt und kinderlos. Genüg-
sam und friedlich lebten sie bei ihrem bescheidenen Einkommen
wie Philemon und Baucis dahin.
Unsere Wohnung bestand aus drei Piecen. Mau gelangte
durch eine kleine Küche, welche zugleich das Vorzimmer bildete,
in das mittelgroße Wohngemach, wo Meister Haberbeck einen
Webstuhl aufgerichtet hatte. Dann betrat man ein kleines Ka-!
binet. Dieß war meine Behausung. Es war so niedlich, daß
es in dieser Beziehung nichts zu wünschen übrig ließ. Im!
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