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W oh nu
„Ein Schauspieler," antwortete hartnäckig Müller.
Ohne ein Wort zu reden, stand die Wirthin auf, ging
zu ihrem Manne, gab ihm einen Stoß, indem sie ihm zurief:
„Du, hörst, ein Comödiant ist da, will bei uns übernachten."
„Soll vorauszahlen," war die mürrische, halb schlaf-
trunkene Antwort des Wirthes.
„Na, also," wendete sich die Wirthin zu Müller.
Das war zu viel. — Ohne ein Wort zu sagen, wandte
er der unverschämten Wirthin den Rücken und schritt stolz zum
Thorc wieder hinaus. Da stand er nun, hinausgeworfen aus dem
bevorzugten Kreise der Menschen, die ans Dach und Fach Anspruch
machen können, ohne voraus um die Bezahlung gefragt zu werden.
Was war nun zu thun? — Die löbliche Direktion der
wandernden Truppe wollte er jetzt nicht aufsuchen, denn er
schämte sich, won dem Banden - Direktor augenblicklich eine
Kleinigkeit von Geld zu verlangen, noch mehr aber, denselben
um die Vermittelung zu einem Nachtquartier anzusuchen, und so
befand er sich Plötzlich mitten am Platze vor einer großen Statue,
die seinen Schritten Einhalt gebot. Es war eine Dreifaltig-
keitsstatue, mit Stufen und einem Geländer umgeben. Bis
hierher und nicht weiter, dachte er, indem er sie betrachtete.
Ermüdet setzte er sich auf eine der steinernen Stufen und
augenblicklich überkam ihn jenes wohlthuende Gefühl der Er-
schlaffung, in welchem man alle Verhältnisse, die uns sonst tief
im Innersten berühren, nur als außenstehend betrachtet; der
müde Körper macht seine Rechnung und der Mensch muß diese
vor allem Andern zahlen.
Inzwischen war ein Ereigniß im Orte eingetreten — das
Theater war aus. Das Publikum strömte nicht wie ein Strom,
sondern rieselte wie ein Büchlein auf die Straßen. Müller
wurde aufmerksam und bekam praktische Gedanken: Wie viel
mögen die heute eingenommen haben? So viel ich im Finstern
beurtheilcn kann, ist das meiste Publikum vom 3. Platz „nach
Möglichkeit", und diese letztere mag bei den schreienden Buben,
die sich da Herumbalgen, nur sehr unbedeutend sein; von den
schweren Stiefeln hingegen, die da auf dem schlechten Pflaster
mit ihren lockeren Hufeisen durch die Nacht schlürfen, wird die
Möglichkeit nicht geleistet, und endlich die Honoratioren des
Ortes scheinen alle in der Wirthsstube unten Platz gefunden
zu haben und zwar an dem einzigen Tische, den ich mit meinen
nassen Kleidern bedrohte. Das Facit dieser Gedanken war,
daß sich Müller in diesem neuen Engagement keine glänzende
Existenz versprach. — Da kamen einige „Publikümer" nahe an
der Statue vorbei und Müller fand es schicklicher, sich ihren
Blicken zu entziehen, um den Leuten diesen Genuß lieber bei
der glänzenden Beleuchtung der Talgkcrzen oder rauchenden
Lampen vollständig aufzusparen.
Er kroch durch das Steingeländer und befand sich so allen
Blicken der Welt entzogen in einem engen, durch das hervor-
stehende Gesimse des Piedestals gedeckten Raume, der ihm hin-
länglich bequem zu einem Nachtquartier schien. Nachdem das
Publikum sich verlaufen und alles wieder still und ruhig war,
bereitete er sogleich sein Lager mit Hilfe des Wachsleinwand-
Packetes, welches als Kopfkissen verwendet wurde, und so wäre

gsnoth.
alles gut gewesen bis ans das, daß er seine früher in der
Wirthsstube abgelegten nassen Kleider und Wüsche auch so ver-
sorgen wollte, um sie den andern Tag wieder trocken zu haben.
Müller war also hinlänglich entschuldigt, wenn er den Plan
faßte, es sogleich zu thun, um so mehr, als er in diesem
seinem neuen Quartier allen Comfort dazu entdeckte.
Das Steingeländer hatte nämlich 4 Ecken, auf jeder
derselben eine Figur mit verschiedenartig ausgestreckten Händen,
die gleichsam um ein Stück Gewand zu bitten schienen,
und er ließ sich gern herbei, seine Habseligkeiten so sicheren
Händen anzuvertrauen. Es wurde sogleich an die Ver-
keilung geschritten: ein Strumpf paradirte als Hand-
schuh an der ausgestreckten Hand der ersten Figur, mit
dem Hemde wurde die Zweite dekorirt, die Dritte mußte die
nassen Stiefel dem Winde entgegen halten und der Vierten
wurde der von Nässe glänzende Rock anvertraut. Als der



fahrende Künstler mit dieser Dekorirung fertig war, verschwand
er in der Tiefe zwischen dem Geländer und bald verfiel er in
einen festen Schlaf, nachdem er noch ein kurzes Nachtgebet
verrichtet, wobei er nicht vergaß, den Himmel uni Verzeihung
zu bitten, daß er seine Verkünder zu so profanen Zwecken be-
nützte, was er mit seiner Noth entschuldigte.
(Fortsetzung folgt.)

19*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1477, S. 147
 
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