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Wohn
zum allgemeinen Gelächter der Zuschauer. Das war zu viel. —
Zornentbrannt wandte sich der verhöhnte Polizeidiener an das
Bauernvolk und hielt ihm eine kräftige Strafpredigt, in der es
an zahlreichen Titulaturen, wie Bengel, Lumpenvolk rc. nicht
fehlte und wobei er mit den Sliefelstrupfen in der Hand heftig
herum agirte. Mittlerweile war es Müller gelungen, sich seines
halb angezogenen Stiefels wieder zu entledigen und da ihm an
Erreichung seiner Handhaben gelegen war, so begann er eine
förmliche Jagd darauf, indem er dem mit seinen Strupfen her-
umfechtenden Polizisten dieselben abzufangen suchte, ohne daß
sich jener in seiner Strafpredigt stören ließ. Die Bauern sahen
dieser Scene wie einer Possenreißerei mit Vergnügen zu, hörten
gar nicht auf die Schimpfreden, die sie empfingen und lachten
und riefen: Bravo! als es endlich Müller gelungen war, der
löblichen Behörde die losgerisseucn Theile seiner Fundamente
wieder abzujageu. Müller wurde jetzt auf das Rathhaus ge-
führt und mußte den Weg dahin blosfüßig, seine Kleider unter
dem Arm und die Stiefel in der Hand tragend, zurücklcgen;


eine Schaar Neugieriger folgte lachend diesem Akte vaterlän-
discher Justiz.
Der Herr Landrichter war gerade im Begriffe in die Kirche
zu gehen, als ihm der ankommcnde Polizist den Ausgang ver-
sperrte. Er begriff sogleich niit der ihm cigenthümlichen Scharf-
sicht, daß es sich hier um ein wichtiges Ereignis; handle und
eingedenk des Spruches: „Herrendienst geht vor Gottesdienst",
kehrte er sogleich um und winkte dem Gerichtsdiener mit dem
Arretirten in das Gcrichtszimmcr, wo er sogleich das Verhör
vornahm. Nachdem der Polizist seinen Bericht abgestattet, be-
gannen die Fragen an den Arrestanten folgendermaßen:
„Wer seid Ihr?"
„Wir sind Schauspieler!"
„Warum habt Ihr Euch auf offener Straße unter die
Dreifaltigkeitsstatue gelegt?"
„Weil uns Niemand ein Nachtquartier geben wollte, so

ungsnoth.
blieb uns nichts übrig, als uns mit unseren Habseligkeiten in
den Schutz der heil. Dreifaltigkeit zu begeben."
„Wir, uns, waren denn Mehrere? Warum ist denn nur
Einer arretirt? Wo sind die Anderen?"
„Halten zu Gnaden, Herr Landrichter, es war nur Einer."
„Er spricht aber, als wenn's Mehrere gewesen wären."
„Das geschieht nur, Herr Landrichter, weil Sie mich per
„Ihr" fragten, dcßhalb habe ich per „Wir" geantwortet."
„Ah so, Sie wollen Sie angeredet sein? Ich verstehe,
Künstlcrstolz mit bloßen Füßen, ha, ha, ha, ha!"
„Bitte recht sehr, ich trage meine Stiefel in der Hand."
Der Landrichter, der sonst ein aufgeklärter Mann war,
sah wohl ein, daß er es hier mit keinen; bösartigen Landstreicher,
sondern höchstens mit einem leichtsinnigen Komödianten zu thun
hatte, und sein Urtheilsspruch war daher schnell gefaßt. „Gehen
Sie zu Ihrem Theaterdirektor," sagte er zu ihm, „und wenn er
Sie engagirt, so mögen Sie ungehindert hier bleiben, spielen
Sie dann Ihre Komödie ordentlich und machen Sie keine
Schulden, die Sie^ nicht bezahlen können; einstweilen aber können
Sie beim Nachtwächter schlafen, bis Sie ein Quartier gefunden;
ich werde ihm den Auftrag geben, da er ohnedicß sein Bett in
der Nacht nicht bcnöthigt." Der Landrichter ging nun fort und
Müller war wenigstens für den Nothfall versorgt.
Nachdem er mit vieler Mühe seine Stiefel endlich wieder
an den Füßen hatte, ging er nun den Theatcrdircktor aufzusuchen,
der natürlich von dem ganzen Spektakel schon unterrichtet war
und sich vollkommen vergnügt und befriedigt zeigte, als er die
gnädige Aufnahme Müllers von Seite des Landrichters erfuhr.
Als praktischer Direktor erkannte er augenblicklich den Vortheil,
den ihm das Auftreten Müller's, des neuen Komikers, der sich
schon bei seiner Ankunft auf'so eklatante Weise dem Publikum
bemerkbar machte, gewähren mußte, denn wo kein großer Ruf etwas
nützt, da macht ein öffentlicher Skandal den besten Effekt; das
bleibt sich in kleinen und in großen Städten überall gleich.
Müller bekam sofort zwei Gulden Vorschuß. — Mit diesen
zwei Gulden, als D'rnngeld, hoffte er eine bescheidene Unterkunft
zu finden. Vergebliche Mühe. Niemand wollte ihn aufnehmen.
Theils hatten die Leute wirklich keinen Platz, theils wollten sie
sich des kleinen Erträgnisses halber nicht incommodiren und andere
hatten wieder das Vorurtheil, einen so verrufenen, gottlosen
Menschen nicht aufzunehmeu. Müller blieb also ohne Quartier
und kampirtc einstweilen beim Nachtwächter.
Der nächste geschriebene Theaterzettel verkündete des neuen
Komikers Auftreten mit den Worten: „Erstes Auftreten des neuen
Komikers Müller ohne Quartier." — Ein volles Haus
war das Resultat. Es war so voll, daß das Orchester hätte
geräumt werden müssen, wenn es aus mehr als einer Bank be-
standen hätte, und der Bassist an der Ecke stieß mit dem Ell-
bogen Lei jedem Strich den Buben Honoratioris ersten Platzes
in die Rippen. Es wurde „Lumpazivagabundus" gegeben, und
Müller ürntete als Schuster allgemeinen Beifall. Es verbreitete
sich das Gerücht, daß Müller eigentlich ein hübscher, junger
Mann wäre, was die jungen Damen des Ortes gar nicht
! glauben wollten. Nach der Vorstellung wurde Müller von
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1478, S. 154
 
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