186
Wohn ungsnoth.
Es vergingen wieder einige Tage banger Erwartung, täg-
! lich holte sich Müller Erkundigung beim Doktor, und täglich
kam er trostloser zurück, denn die Krankheit Augustens war in
ein gefährliches Stadium getreten. Mit Ungeduld erwartete er
auch seine verschiedenen Effekten, die hier und dort versetzt waren.
Der Reisende, den seine Mutter darum äbschickte, mußte eine
eigene Tour der Kreuz und Quere machen, um Alles zusammen
zu bringen; dazu waren auch mehrere Tage erforderlich, und
! Müller wollte weder im Vaterhause, noch weniger bei Auguste
! in seinem derangirten Wesen erscheinen.
Um gerecht zu sein, muß hier bemerkt werden, daß Müller
nicht in Ausschweifungen sein Hab und Gut verzettelte, sondern
dieses an verschiedenen Orten opferte, um nur seiner und auch
seiner Kollegen Noth damit zu steuern, wobei seine Gutmüthigkeit
auch viel mißbraucht wurde.
Die Tante Augustens, die als ehrbare, alte Jungfer in
einer gewissen Abhängigkeit von ihrem Bruder lebte, weil er
ihr Vermögen verwaltete, hielt es für ihre Pflicht, ihm über den
Zustand seiner Tochter und die Ursache der jetzigen Krankheit
genaue Nachricht zu geben. Sie wartete lange auf Antwort.
Endlich kam ein Brief, dessen Inhalt aber der Art war, daß
sie erst den Doktor zu Rathe zog, bevor sie gegen Auguste
davon eine Erwähnung machte. Der Doktor verbot dieses
! durchaus bis zur völligen Genesung. Der Brief lautete:
„Liebe Schwester!
Antwortlich Deines Schreibens vom 15. ds. muß ich
Dir meine vollste Unzufriedenheit aussprechen, und ich bedauere
nochmals, daß ich das Mädel nach dem Tode ihrer Mutter
in das von Dir so sehr gerühmte Institut gegeben. Mit
dem Mondscheinschwindel wollte man mich hier auch schon
znm Besten halten. Das könnte Jede sagen, die zu einen:
Liebhaber in's Zimmer schleicht, daß sie der Mondschein
dahin geschickt! Da hätte der Mond viel zu thnn. Mit
solchem Geflunker bleibt mir vom Leibe. Der Doktor soll sie
jetzt kuriren, ich werde ihn gut dafür bezahlen, und dann
wird sie den heirathen, den ich ihr bereits bestimmt habe.
Mache ihr mit meinem Gruße das zu wissen, und ich er-
warte Nachricht, sobald sie gesund ist.
Dein Bruder
R. Belozzi L Sohn." ^
Gewohnheitsmäßig unterschrieb er sogar diesen Brief
mit der Firma. Die gute, alte Tante fühlte herzliches Mit-
leid mit ihrer Nichte, die in ihren Fieberphantasieen jetzt noch
keine Ahnung davon hatte, wie geschäftsmäßig sie bereits ver-
handelt war. Nach und nach traten ruhige Augenblicke bei ihr
ein; da fragte sie gewöhnlich die gute Tante nach Herrn Müller;
ob er noch hier sei, ob er zu ihr kommen werde und dergleichen.
Die Tante sagte dann jedesmal, daß er kommen werde, sobald
sie gesund sei.
Müller setzte indessen täglich seine Erkundigungen beim Doktor
fort; da eröffnete ihm dieser eines Tages, daß Fräulein Auguste
außer aller Gefahr sei und die Tante ihn zu sprechen wünsche, —
es war einige Tage nach dem Eintreffen des Briefes von
Augustens Vater. Müller freute und fürchtete sich auf diese Zu-
sammenkunft; mit schweren Gedanken ging er nach Hause. Dort
angclangt, sah er einen Reisewagcn, von den: eben einige Koffer s
abgeladen wurden. Sogleich erkannte er von Weitem seine Effekten
und den Geschäftsreisenden Frankcnberger ans dem Hause seines
Vaters, welcher das Abladcn und Einbringen der Bagage mit
einer außerordentlichen Wichtigkeit überwachte. Auch der alte
Hanptmann stand unterm Thore und war ganz glücklich und ver-
gnügt, weil er nur wieder einmal etwas zu thnn hatte. Er
stopfte eine Pfeife nach der andern und rumorte im ganzen Hause
herum; auch hatte er den Frankenbergcr gleich solo gepackt
und ein zweites Zimmer für ihn Herrichten lassen, denn bei
ihm wohnen mußte er, da gab's gar keine Widerrede. Als
Frankcnberger den Sohn seines Chefs erblickte, ging er ihm
mit geschäftsmäßig devotem Gruße entgegen. Müller reichte
ihm freundschaftlich die Hand und bat ihn, keine Umstünde zu
machen, der Hauptmann stand vergnügt lächelnd daneben
und war beinahe stolz auf seinen Müller; doch konnte er den
Ansbruch seiner Freude nicht zurückhalten und rief: „Na also!
da haben wir ja die sieben Zwetschgen alle wieder beisammen!
Jetzt kommen Sie nur Beide zu mir herein, meine Alte ist
auch schon sehr neugierig, die kann heute wieder den ganzen Tag
Wohn ungsnoth.
Es vergingen wieder einige Tage banger Erwartung, täg-
! lich holte sich Müller Erkundigung beim Doktor, und täglich
kam er trostloser zurück, denn die Krankheit Augustens war in
ein gefährliches Stadium getreten. Mit Ungeduld erwartete er
auch seine verschiedenen Effekten, die hier und dort versetzt waren.
Der Reisende, den seine Mutter darum äbschickte, mußte eine
eigene Tour der Kreuz und Quere machen, um Alles zusammen
zu bringen; dazu waren auch mehrere Tage erforderlich, und
! Müller wollte weder im Vaterhause, noch weniger bei Auguste
! in seinem derangirten Wesen erscheinen.
Um gerecht zu sein, muß hier bemerkt werden, daß Müller
nicht in Ausschweifungen sein Hab und Gut verzettelte, sondern
dieses an verschiedenen Orten opferte, um nur seiner und auch
seiner Kollegen Noth damit zu steuern, wobei seine Gutmüthigkeit
auch viel mißbraucht wurde.
Die Tante Augustens, die als ehrbare, alte Jungfer in
einer gewissen Abhängigkeit von ihrem Bruder lebte, weil er
ihr Vermögen verwaltete, hielt es für ihre Pflicht, ihm über den
Zustand seiner Tochter und die Ursache der jetzigen Krankheit
genaue Nachricht zu geben. Sie wartete lange auf Antwort.
Endlich kam ein Brief, dessen Inhalt aber der Art war, daß
sie erst den Doktor zu Rathe zog, bevor sie gegen Auguste
davon eine Erwähnung machte. Der Doktor verbot dieses
! durchaus bis zur völligen Genesung. Der Brief lautete:
„Liebe Schwester!
Antwortlich Deines Schreibens vom 15. ds. muß ich
Dir meine vollste Unzufriedenheit aussprechen, und ich bedauere
nochmals, daß ich das Mädel nach dem Tode ihrer Mutter
in das von Dir so sehr gerühmte Institut gegeben. Mit
dem Mondscheinschwindel wollte man mich hier auch schon
znm Besten halten. Das könnte Jede sagen, die zu einen:
Liebhaber in's Zimmer schleicht, daß sie der Mondschein
dahin geschickt! Da hätte der Mond viel zu thnn. Mit
solchem Geflunker bleibt mir vom Leibe. Der Doktor soll sie
jetzt kuriren, ich werde ihn gut dafür bezahlen, und dann
wird sie den heirathen, den ich ihr bereits bestimmt habe.
Mache ihr mit meinem Gruße das zu wissen, und ich er-
warte Nachricht, sobald sie gesund ist.
Dein Bruder
R. Belozzi L Sohn." ^
Gewohnheitsmäßig unterschrieb er sogar diesen Brief
mit der Firma. Die gute, alte Tante fühlte herzliches Mit-
leid mit ihrer Nichte, die in ihren Fieberphantasieen jetzt noch
keine Ahnung davon hatte, wie geschäftsmäßig sie bereits ver-
handelt war. Nach und nach traten ruhige Augenblicke bei ihr
ein; da fragte sie gewöhnlich die gute Tante nach Herrn Müller;
ob er noch hier sei, ob er zu ihr kommen werde und dergleichen.
Die Tante sagte dann jedesmal, daß er kommen werde, sobald
sie gesund sei.
Müller setzte indessen täglich seine Erkundigungen beim Doktor
fort; da eröffnete ihm dieser eines Tages, daß Fräulein Auguste
außer aller Gefahr sei und die Tante ihn zu sprechen wünsche, —
es war einige Tage nach dem Eintreffen des Briefes von
Augustens Vater. Müller freute und fürchtete sich auf diese Zu-
sammenkunft; mit schweren Gedanken ging er nach Hause. Dort
angclangt, sah er einen Reisewagcn, von den: eben einige Koffer s
abgeladen wurden. Sogleich erkannte er von Weitem seine Effekten
und den Geschäftsreisenden Frankcnberger ans dem Hause seines
Vaters, welcher das Abladcn und Einbringen der Bagage mit
einer außerordentlichen Wichtigkeit überwachte. Auch der alte
Hanptmann stand unterm Thore und war ganz glücklich und ver-
gnügt, weil er nur wieder einmal etwas zu thnn hatte. Er
stopfte eine Pfeife nach der andern und rumorte im ganzen Hause
herum; auch hatte er den Frankenbergcr gleich solo gepackt
und ein zweites Zimmer für ihn Herrichten lassen, denn bei
ihm wohnen mußte er, da gab's gar keine Widerrede. Als
Frankcnberger den Sohn seines Chefs erblickte, ging er ihm
mit geschäftsmäßig devotem Gruße entgegen. Müller reichte
ihm freundschaftlich die Hand und bat ihn, keine Umstünde zu
machen, der Hauptmann stand vergnügt lächelnd daneben
und war beinahe stolz auf seinen Müller; doch konnte er den
Ansbruch seiner Freude nicht zurückhalten und rief: „Na also!
da haben wir ja die sieben Zwetschgen alle wieder beisammen!
Jetzt kommen Sie nur Beide zu mir herein, meine Alte ist
auch schon sehr neugierig, die kann heute wieder den ganzen Tag
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)