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Anemone silvestris.

gestört wurde und daß der Begriff der Rebellion den guten
Seebacheru eine märchenhafte, unverständliche Sage ist. Der
höchste Stolz der Sccbachcr ist der unter dem Namen „Alle
Neun" auch in weiteren Kreisen riihmlichst bekannte Kegelklub.
Zu ihm zählten die Honoratioren des Ortes, in ihm wurden
die wichtigsten Dinge besprochen, au ihm hingen die ehrenfesten
Bürger Seebachs mit Liebe und Vertrauen, und für ihn schwärmten
sämmtliche Frauen und Mädchen des Städtchens. Der Seebacher
Kegelklub bestand aus fünf ordentlichen und drei Ehrenmitgliedern.
Zu den ersteren zählten der Bürgermeister, der Pfarrer, der
Thierarzt, der Steuereinnehmer und ein wohlhabender Fleisch-
hauer ; Ehrenmitglieder waren der in der Nachbarschaft Seebachs
wohnende Oberförster, der Domänenpächter und der junge
Notar Dr. Ehring. —

Der Kegelklub war eben auf der Kegelbahn Seebachs
versammelt und traf seine Vorbereitungen zur Erfüllung seines
großen Werkes. Die Herren zogen ihre Röcke ans und schoben
die Hüte tief in das Genick, denn es ist undenkbar, anders,
als in diesem Kostüme einen glücklichen Wurf thnn zu können.
Nur der Schullehrer, der nicht Mitglied des Klubs war, sondern
nur zu den Geduldeten zählte, entledigte sich seines Rockes
nicht; offenbar, weil ihm der Zustand seiner Wäsche dies nicht
erlaubte, während er selbst rheumatische Leiden vorschützte.
Dann nahmen die gelehrten Herrn die Kugeln in die Hand,
wägten dieselben mit gelehrten Mienen ab, schüttelten zuweilen
nachdenklich das Haupt, warfen sich gegenseitig gehcimnißvolle
Blicke zu, kurz, thaten Alles, was nur die erhabene Bedeutung
des Kegelschiebens in das rechte Licht stellen konnte.

„Ich dächte, wir könnten anfangen", bemerkte plötzlich der
Bürgermeister, indem er mit majestätischen Blicken um sich schaute.

„Ganz meine Ansicht," seknndirte der Pfarrer, dessen
Stimme hohl aus dem Bierkrnge hervorklang.

„Dr. Ehring fehlt aber noch," sagte der Oberförster.

„Fehlt?" rief der Bürgermeister. „Es ist 4 Uhr vorbei
und nach den Statute» des Klubs ist Herr Dr. Ehring ver-
pflichtet, fünf Maß Strafbier zu zahlen."

Diese Worte des nnfchlbarc» Klnbpräsidenten riefen allgemeinen
Beifall hervor, und die Herren begannen ihr löbliches Thun. —

Während dessen hatte der junge Dr. Ehring eine Geschüfts-
angelegenheit in einem benachbarten Dorfe erledigt, und schritt
wieder der Stadt Sccbach zu. Der Kegelklub schien wenig
Interesse für ihn zu haben, denn er schleuderte langsam durch
die prächtige Waldeinsamkeit. Die Finken, Drosseln, Zeisige
| und Nachtigallen sangen in buntem Chor ihre schönsten Lieder,

, der Frühlingswind rauschte in den grünen Zweigen der
blühenden Bäume und tausend farbige Waldblumen hauchten
ihre süßen Düfte ans. Aber trotz all der Frühlingspracht war
Ehring ernst und in sich gekehrt, und machte den Eindruck
eines Mannes, dem etwas schwer auf dem Herzen liegt.

„Weßhalb," murmelte er leise vor sich hin, „weßhalb
muß ich das Unglück haben, Jurist zu sein? Wäre ich etwas
Anderes geworden, so ginge jetzt Anna an meiner Seite und
ich könnte die Schönheit der Natur in ihrer Gesellschaft mit
wahrhafter Freude genießen, während sie mich jetzt trübe stimmt,

und mein Unglück mich so recht erkennen läßt. Verwünscht sei
der Tag, a» dem ich zum erstenmal das vermaledeite vorpus
juris berührt habe !" Aergerlich zog er die Stirn in Falten
und schritt weiter. Plötzlich blieb er wie festgcbannt stehen.
„Anna," sagte er leise und blickte unverwandten Auges auf
eine Mädchcngcstalt, die in einer Entfernung von etwa hundert
Schritten direkt dem Walde znging. — „Sie hat mich noch
nicht bemerkt," flüsterte Ehring und versteckte sich hinter einem
dichtbelaubten Haselnnßstranch, „noch nicht bemerkt, sonst würde
sie längst davongelanfcn sein."

Er hatte Recht. Anna hatte ihn noch nicht bemerkt;
hätte sie ihn bemerkt, so wäre sic sicher davongeeilt. Aber
weßhalb? War er häßlich? Nein, im Gegentheil, ein hübscher,
schlank und hoch gewachsener Blondin, dem die Mädchen Sccbachs
oft genug hinter ihren Blumentöpfen nachschanten. War er nicht
geachtet, nicht geliebt? Schon sein Urgroßvater war Notar in
Seebach gewesen und dies Amt war eine Art von Erbschaft in
der Familie Ehring geworden. Jedermann schätzte und achtete
ihn, denn er war kein Rabulist von der gewöhnlichen Sorte,
hatte ein wohlmeinendes Gemüth, ein weiches Herz, eine feine
Bildung, einen durchweg biederen Charakter. Was war es
also, was des Domänenpächters schöne Tochter veranlaßte, den
Dr. Ehring zu fliehen und zu meiden? —

Anna war jetzt dicht in die Nähe des hinter dem
schützenden Haselnnßstranch kauernden Dr. Ehring gekommen.
Ehrings Herz pochte fast hörbar, als er das liebe Mädchen
ahnungslos in seiner nächsten Nähe sah. Anna hatte ihren
Strohhnt abgenommen, so daß man die goldenen Flechten, die
sie gleich einer Kaiserkrone um ihr liebliches Köpfchen geschlun-
gen, im vollen Maiensonnen-Glanze prangen sah. Auf ihrer
hohen, freien, weißen Stirne lag der Hauch der Jugend-
frische, ihr blaues Auge leuchtete sanft und sinnig und doch
zugleich lebhaft, und auf ihren rothen Lippen schienen alle
Liebesgötter ihren Wohnsitz anfgcschlagen zu haben. Ihr schöner
Fuß glitt leicht und behend über die grünen Matten, und jede
ihrer Bewegungen zeugte von Anmnth, Grazie und jugendlicher
Kraft. Aber trotz aller dieser Vorzüge litt die gute Anna an
einem sehr bedenklichen Fehler. Sie konnte die Juristen nicht
leiden, und das war cs, was den Dr. Ehring so unglücklich
machte. Das arme Kind in seiner Naivität stellte sich unter
einem Juristen nicht einen Wahrer des Rechtes und Gesetzes,
sondern einen Unmenschen vor, der kalten Blutes seinen Mit-
menschen lebenslänglich einsperren, anfhängen, foltern, köpfen,
rädern und viertheilen ließ. Das Alles, so sehr es auch Vor-
nrtheil war, widerstrebte ihrem zartbesaiteten Gemüth, und es
war bekannt, daß sie jedesmal, wenn der stelzfüßige Amtsdiener
mit einem Bündel Akten beim Hanse ihres Vaters vorbeiging,
entsetzt die Flucht ergriff; und ebenso bekannt war, daß sic
laut weinte, wenn irgend ein Landstreicher dem Ortsgefängnissc
im Rathhanse zu Seebach zngeführt wurde. Sie hatte oft zu
ihrer Mutter und ihren Freundinnen geäußert, der Dr. Ehring
wäre ein gar so lieber Mann, nur sei es schade, daß er eben
Jurist sei. Das gute Mädchen ahnte in dem Augenblicke nicht,
da es fröhlich lächelnd an dem Strauche vorbeischritt, der Ehring
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