Fliegende Blätter (64.1876 (Nr. 1589-1614))

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Die verhängnißvolle Leiter

oder

der schaurige Abend im Pfarrhausc.

zu machen. Sie überließ ihren sechs Monate alten Säugling
-der Aufsicht und Pflege ihrer zwar noch jungen, aber sehr
willigen und treugesinnten Dienstmagd und machte sich an einem
schönen..Novembertage auf den Weg nach Roßdorf. Der Weg
ward ihr leicht, denn sic war ein gesundes und dralles Weibchen
und gehörte nicht zu den blutarmen, nervenschwachen Frauen,
die man jetzt so oft airtrifft. Nach der ersten herzlichen Bewill-
kommnung fragte die Freundin: „Aber Lcnchen,' Du bist doch nicht
mutterseelenallein gekommen? wo hast Du denn Deinen Mann?"

„Ach, ich bin jetzt eine Strohwittwc!" lachte das junge
Weibchen. „Mein Männchen ist seit vorgestern zu der Pastoral-
conferenz nach Gnadau gereist und wird erst in zwei bis drei
Tagen zurückkehren!"

„Weißt Du," versetzte die Freundin nach einigen Augen-
blicken stiller Verwunderung, „ich Hütte meinen Mann jetzt nicht
verreisen lassen!"

„Und warum denn nicht, Clärchen?" versetzte die junge
Fra» lachend, „auf ein paar Tage halt' ich's schon aus und
um so süßer ist daun das Wiedersehen."

„Das wohl!" entgegncte die Frenndin, „aber cs ist doch
jetzt eine so unsichere Zeit. Du hast gewiß in den Zeitungen
gelesen, daß allwöchentlich Einbrüche auf den Dörfern in der
Umgegend von Berlin Vorkommen. ..."

„Ach! wir lesen bei uns keine Zeitungen," erwiderte die
junge Pfarrfrau, im Innern lachend über die sichtliche Angst
ihrer Freundin, „wir lesen nur das Qucdlinburger Volksblatt,
und dadrin stehen keine Dicbsgeschichten."

„Und daß die Diebsbandcn cs namentlich auf die Pfarr-
häuser abgesehen haben," fuhr Frau Neumann fort. „Erst in
voriger Woche ist nach dem Berliner Polizeibcricht wieder ein Ein-
bruch in der Pfarre zu Nußhausen verübt ivorden, bei dem man

Pastor Wendling in Eichcndorf, einem ellva zwei Meilen
von Berlin gelegenen Dorfe, war seit zwei Tagen zur Pastoral-
conferenz nach Gnadau gereist und gedächte von dort aus noch
einen Abstecher nach Magdeburg zu machen, wo er Verwandte
hatte, so daß er erst in fünf bis sechs Tagen zurückerwartet
wurde. — Kirche und Pfarre lagen etwa zwei bis dreihundert
Schritte vom Orte entfernt, was daraus erklärt werden muß,
daß der Ort nach einem großen Brande, in welchem nur Kirche
und Pfarre verschenkt geblieben waren, an einer etwas entlegener»
ober günstiger» Stelle wieder aufgebaut ivar. — Die Abwesenheit
ihres Mannes veranlaßte die junge Fran desselben, einen Besuch
bei einer etwa eine Stunde von Eicheudorf wohnenden Freundin
und Verwandten, der Frau des Rittergutsbesitzers in Roßdorf,

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