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Gebrochene Tinten.

das Dach gegenüber, das sonst in allen Farben schimmerte, in
düsterm Grau erscheinen. Das Träumen der beiden Herzen
war schon in ein Wünschen übergegangen, wie jeder Traum,
der oft wicderkehrt, im Herzen des Menschen den Wunsch
nach Besitz erzeugt.

Angelika war in düstrer Stimmung. Der Professor
saß an ihrer Seite und,, mit dem rechten Arme sic um-
schlingend, blickte er auf die schöne Gestalt und drückte sie
wehmüthig an die Brust, wie in bangem Vorgefühle, daß
er dieses theure Wesen bald verlieren werde. In den Seelen
der Beiden ging etwas sehr trauriges vor. Angelika war
offenbar ermüdet von rastlosen Studien und ihr Herz machte
dem Professor stille Vorwürfe und wünschte eine Lösung
der Dinge auf anderem, weniger mühevollen Wege. Der
Professor hingegen Ivußte, daß es keinen anderen Weg in
das Land ihrer Träume gebe, als rastlose Studien und
mochte im Stillen die Muthlosigkeit des Mädchens tadeln.
Es war ein böser Augenblick rathloser Ermüdung, um so
gefährlicher, da er durch die äußeren Verhältnisse eher ge-
steigert, als gehoben wurde. Beide hüteten sich wohl, irgend
ein Wort auszusprechcn, in der Furcht, es möchte durch seinen
düstcrn Klang den bangen Zustand noch verschlimmern.

Da löste der Zufall die düstere Wolke durch ein komisches
Jnterinezzo. Ein Hnusirjude trat in den Hof und schrie mit
gellender Stimme: „Handeln! handeln!"

Wie ein Zauberspruch weckte das Wort die beiden Träumer.
Aus einem Munde riefen sie: „Handeln! ja, handeln müssen
wir, nicht träumen!"

Der Jude hatte wohl keine Ahnung, was sein Wort, das
ja ganz anders gemeint war, für eine Wirkung hatte und wie
cs zwei leidenden Seelen ihre Spannkraft wicdergab. Eine
stürmische Umarmung, ein glühender Kuß, und dann ging es
rasch an's Piano und studirt wurde mit neuer Kraft, um das
geträumte Eldorado zu erreichen, und ermüdete Angelika zuweilen,
so rief sie sich selbst das geflügelte Wort zu, das der Jude
in ganz anderer Bedeutung unter ihrem Fenster gerufen
hatte. Ein wonniger Himmel glühte abermals in prächtigen
Purpurtönen über dem Haupte des Professors und er begann
■,r an die Erfüllung eines Traumes zu glauben, die er noch kurz
vorher für unmöglich gehalten hatte. Seine Phantasie zeichnete
das Bild einer nahen Zukunft in den kühnsten Umrissen und
überkleidete cs mit den prächtigsten Tinten!

Die größten überraschendsten Wendungen in den Geschicken
der Menschen werden oft durch Kleinigkeiten herbeigeführt.
Das Verhängnis; schreitet über Brücken von der Breite eines
Haares und steht vor uns in riesiger Gestalt, zertritt unsere
Saaten unbarmherzig und stößt uns mit rauher Hand vor sich
her in eine trostlose Wüste. —

Der Zufall (uni sich des allgemeinen Ausdruckes zu be-
dienen) wollte cs einmal, daß der Professor seinen Regenschirm
bei Angelika vergaß, was eine sehr leicht mögliche Sache war,
da man beim Abschiede eher an alles Andere dachte, nur nicht
an den Regenschirm. — Des andern Morgens war schönes
Wetter. Im Verlaufe des Tages aber zogen Wolken am

Himmel herauf und ein seiner Sprühregen begann, als der
Professor sich eben in der Nähe des Hauses befand, in dem
Angelika wohnte. Was war natürlicher, als daß er die hohen
Treppen hinanstieg, um — den Regenschirm zu holen? — nun,
das wohl auch, aber mehr noch, um Angelika zu sehen. Es
war zwar nicht seine gewöhnliche Stunde, aber sie hatte ihm
ja oft versichert, er sei zu jeder Stunde willkommen, er werde
sie stets am Piano oder am Zeichentischchen antreffen.

Sei es nun, daß seine rege Phantasie ihn äffte, oder
flüsterte ihm ein Dämon eine Warnung in's Herz, er war
zweimal daran, umzukehren; und es lag ihm wie Blei in den
Gliedern. Aber er schalt sich kindisch, nahm alle Kraft zusammen
und stand endlich vor der weißen Thüre und zog die Klingel.
Aber sic gab heute einen ganz andern Ton; vielleicht hatte er
sie nicht in gewohnter Weise angezogen. Auch kam nicht

Angelika hergchüpst, um die Thüre zu öffnen, wie sie es
ja immer that, da sic seine Art zu klingeln schon kannte,
sondern die alte Mutter, die in der Küche beschäftigt war,
öffnete die Thüre und crschrack beiin Anblicke des Mannes-
Rach kurzem Gruße ging er an ihr vorüber und schritt iiber
die Schwelle des Zimmers, auf der ihm Angelika entgegentrat,
den Regenschirm in der Hand, mit bleichen Wangen und farb-
losen Lippen, zu Tode erschreckt, in größter Bestürzung, nur
die Worte stammelnd: „Den Regenschirm, nicht wahr? — den
Regenschirm suchen Sic?"

In der Fensternische aber saß ein Mann in so behaglicher
Ruhe, die Beine gekreuzt, den Ellbogen aus das Tischchen ge-
stützt, in der Linken eine brennende Cigarre, so bequem, daß
man sah, der Mann sei hier schon zu Hause. Der Professor
hatte sich's nie bequem gemacht, obwohl er hier schon sehr
oft gewesen; der Mann aber that es, obwohl er kein
Bruder oder anderer Verwandter der schönen Angelika war,
sondern ein ganz fremder Mann, der aber entweder schon sehr
oft hier gewesen oder ein Mensch von sehr geringer Bildung
sein mußte, da er von einem Rechte Gebrauch machte, das man
nur sehr intimen Freunden einzuränmen pflegt.

Der Blick des Professors streifte den Mann, verweilte
einen Augenblick schmerzlich auf dem Zeichentischchen, auf welches
der Mann seinen Ellbogen gestemmt hatte, und heftete sich
dann auf Angelika, die schuldbewußt znsammenknickte, völlig zur
Leiche erblaßte und nicht im Stande war, ein Wort hervor
zu bringen. Nach einem Augenblicke der peinlichsten Spannung
erhob sich der Man» aus seiner bequemen Stellung, und empfahl
sich, da er wohl merken mochte, daß er jetzt überflüssig sei.

Angelika hatte sich indeß von ihrem Schreck ein wenig er-
holt und beschwor den Professor, nichts Arges zu denken, sic
wollte längst seinen Rath in dieser Angelegenheit, der sie ohne-
dem sehr geringe Aufmerksamkeit schenke, einholen; der Mann
habe die Absicht, um ihre Hand anzuhalten, aber sie könne da
keinen Entschluß fassen, denn sic träume ja mit ihrem lieben
Professor von einem ganz anderen Himmel. Und nun ver-
doppelte sic ihre Zärtlichkeit gegen den armen Mann, gegen
den sie — wie sie wohl fühlen mochte — sehr unrecht ge-
handelt hatte.
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