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Unter dem Bette.

Zeitung von einem jüngst auf der Eisenbahn vorgefallenen grüß- !
lichen Mordansalle gelesen; da sie allein gewesen war, hatte
sie angefangen, sich zu fürchten, als der Abend hercinbrach;
dann war sie eingeschlafen und erst wieder aus ihrem Schlummer
aufgefahren, um die letzten Worte zu vernehmen, welche Lindberg
dem einsteigenden Erpel nachrief: „Gute Beute für den Anfang!
Viel Glück!" Sie konnte Erpel nicht verhehlen, daß er eine'
Atmosphäre von Tabak und Grog mit sich gebracht hatte,
welche ihn, zusammengenommen mit jenen Worten, als den In-
begriff aller Verworfenheit erscheinen ließ; dazu nun das ver-
mummte Gesicht, der Revolver — — sie hatte ihren Schlüssel-
bund, als ihre einzige Waffe, ergriffen, fest entschlossen, sich bis
znm Aeußersten zu vertheidigen.

„Und am Ende habe ich Sie noch gar damit verletzt!
Bitte, zeigen Sie mir Ihre Hand!"

Erpel hatte keine Verwundung davongetragen, wie sich
bei näherer Untersuchung herausstellte; aber dem guten Pastor
wurde ganz wunderlich zu Muthe, als er es dulden mußte,
wie sie ihre Handschuhe auszog und nun mit ihren warmen
rosigen Fingern seine Hand betastete und streichelte. Er war
ja noch nicht dreißig Jahre alt!

Eben war er beschäftigt, der Dame ihre im Coupo zer-
streuten Effecten zusammen zu suchen, und sie wieder in ihre
Ecke betten zu helfen, als ein schriller Pfiff ertönte — Heller-
Lichtschein huschte an den Fenstern vorbei — der Zug hielt.

Die Thüre des Coupss ward ausgerissen: „Bitte, hier
mein Herr!" ertönte die Stimme des Schaffners.

Erpel ging in seine Ecke zurück. Ein Herr stieg ein und nahm
I der Dame gegenüber Platz. Der kostbare Pelz, die eleganten
Handschuhe verriethen den wohlsituirten Mann. Mit lässiger
Nonchalance begann er, als der Zug weiter rollte: „Verzeihen
Sie, meine Gnädige, daß ich noch mehr Külte durch die ge-
öffnete Thüre mit mir gebracht habe, als ohnehin schon hier ge-
herrscht zu haben scheint!"

„Wie meinen Sie das?"

„Einmal meine ich den offenbar polizeiwidrigen Zustand
dieser Behausung; sodann aber" — er warf einen bezeichnenden
Blick auf Erpel — „den Umstand, daß dieser Platz Ihnen
gegenüber unbesetzt ist!" Die Schöne lachte leise.

Erpel drückte sich fester in seine Ecke. Ihn stimmte es
nnbehaglich, daß sie so fröhlich aus das fade Compliment ein-
ging. Erbeschloß, nichts mehr zu hören. Nur noch die Worte:
„Wenn Sie wüßten, wer jener Herr ist!" schlugen an sein
Ohr; dann verschlang das Rasseln der Räder ohnehin alles
Weitere. Die Dame schien wenig zu sprechen; der Herr dämpfte
seine Stimme znm leisen Flüstern herab. Erpel schloß die
Augen — das Bild der Königin Esther mischte sich bei ihm
mit dem der leichtsinnigen Delila. Plötzlich fuhr er auf. Die
! Schöne stand dicht vor ihm, hatte ihre Hände auf seine beiden
: Schultern gelegt und rief ihn an: „Aber so wache doch auf!
Mann, wie kann man nur so verschlafen sein!" Und che er
sich besinnen konnte, hörte er es dicht neben seinem Ohre flüstern:
„Sie müssen meinen Mann vorstcllen, um mich vor den Zu-
dringlichkeiten jenes Herrn zu schützen — — bitte, bitte!"

Ihr warmer Athem streifte seine Wange, ihr kühles,
duftiges Haar berührte seine Schläfe — er war noch nicht
dreißig Jahre alt! Einige unverständliche Worte entschlüpften
seinen Lippen. Mit heller Stimme rief die Schöne weiter:
„Aber, Männchen, wie sitzest Du denn da? Ganz ohne Decke?
Du wirst Dich erkälten! Komm, sei artig, halte stille: ich decke
Dich zu!" Ehe er wußte, wie ihm geschah, war sie aus den
Sitz neben dem seinigen geglitten und hatte mit geschicktem
Schwünge ihren großen Sammetpelz der Art über sie Beide
geworfen, daß Erpel kaum noch aus seiner Hülle hervorzu-

blicken vermochte. Dem guten Pastor schwindelte. Zum ersten
Male in seinem Leben empfand er den eigenthümlichen Duft,
welcher den Kleidern eleganter Damen entströmt; unter dem
Pelze wurde ihm so, wohlig und warm; dicht neben ihm blinkten
die schönen Augen; ja, was war denn das? Zwei weiche, kleine
Hände suchten unter dem schützenden Mantel die seinen — ein
Streicheln, ein elastisches Drücken, und: „Bitte, bitte!" flüsterte es.

Es war eine Lüge, die er beging, ja. Aber galt es nicht
immerhin ein gutes Werk? Und dann — ihn schwindelte —
er war ja noch nicht dreißig Jahre alt! Er gewann es über
sich, lächelnd dem nunmehr lauten Geplauder seiner anfgedrungcnen
Gattin zuzuhören, er bekam den Muth, den Fremden anzusehe»,
der noch immer mit allen Zeichen der Verdutztheit dasaß, an
! dem Schnurrbarte kaute und von Zeit zu Zeit einen scheuen
Blick auf das Paar warf. Am Ende wurde der Pastor so kühn,
daß er einige Male das vertrauliche „Du" der Schönen, wenn
auch mit bebender Lippe, zu wiederholen wagte. Ach, er stand
zum ersten Male seit langen Jahren lvieder unter dem Zauber
der Nähe eines schönen Mädchens! Einst, als er noch studirtc,
war er der Verlockung eines leichtsinnigen Jüngers der Hygieia
gefolgt und hatte mit diesem ein Local besucht, in welchem
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Unter dem Bette"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gepäck
Herr <Motiv>
Pfarrer <Motiv>
Pelzware
Zylinder <Kopfbedeckung>
Pelz <Motiv>
Ehepaar <Motiv>
Dame <Motiv>
Kälte <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Annäherungsversuch <Motiv>
Eisenbahnwagen
Karikatur
Reise <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 67.1877, Nr. 1668, S. 10
 
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