Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
58

Feuerproben der Liebe.

„Herrgott, ist der Junge hübsch geworden!" rief ihm fast
gleichzeitig eine gewaltige, sonore Frauenstimme zu, und anf-
schauend erblickte er seinen ehemaligen Prügelprofessor, die
Victoria.

„Herrgott, ist Die groß und stark geworden!" flüsterte
sich Eduard zu, indem er bewundernd aufsah zu dem Riesen-
mädchen, das, fast eben so hoch wie der Vater, einer Amazone
aus dem Mittelalter glich. Sie war nicht übel von Gesicht,
die Victoria, das mußte man ihr lassen; aber Hände und Füße
hatte sie wie ein rechtschaffener Dragoner, und Schultern und
Hüften wie ein Athlet. „Na, fürchtest Du Dich etwa noch
immer vor mir, Edi?" lachte das Mädchen, indem es diesem
ihre mächtige, wahrhaft Angst erweckende Rechte entgegenstreckte.

„I, bewahre, Fräulein Victoria!" flüsterte Eduard, und
wollte demuthsvoll deren Hand an seine Lippen ziehen.

„Ist Der verrückt?" lachte wie» toll das große Mädchen,
und sah erstaunt nach dem Vater hin, „Fräulein nennt er mich
und die Hand will er mir küssen! . . . Hat Er es denn ganz ver-
gessen, daß wir uns jahrelang dnrchgeprügelt haben und dicke
Freunde gewesen sind?"

„Ich habe Sie nie gehauen, Fränl—" wollte Eduard mit
Entschiedenheit sagen — da fiel ihm Victoria energisch in's Wort.

„Ich weiß, ich weiß! das Vergnügen ist immer meinerseits
gewesen! Aber jetzt lass' das dumme „Fräulein" und nenne
mich wie früher Victoria!"

„Ja, ja," lachte der Wachtmeister vergnügt, „thut nur
vertrant miteinander, wie etwa Braut und Bräutigam!"

„Damit hat's noch Zeit!" warf schnippisch das Riesen-
mädchen hin. „Erst muß man die Waare prüfen, ehe man sie
kauft. Hab' ich Recht, kleiner Krämer?" setzte sie hinzu, gegen
Eduard gewendet.

„Oh, ganz natürlich!" meinte dieser gedehnt; cs verdroß
ihn nämlich ein wenig, kleiner Krämer genannt und mit einer
käuflichen Waare verglichen zu werden.

Diesem ersten Besuch folgte bald ein zweiter von Seite
unseres jungen Handlnngsbeflissenen und bald brachte er jede
seiner freien Stunden im Hanse des Wachtmeisters zu, da er
sich schnell bis über die Ohren verliebt fühlte in das massiv
gebaute Soldatenkind. Fräulein Victoria fand sich sehr ge-
schmeichelt durch die demuthsvolle Art, mit welcher ihr der
hübsche, wenn auch etwas zu zart angelegte Jüngling huldigte —
wußte sie doch, daß mehr als ein Frauenherz sich in Neid und
Galle zusammenzog, wenn sie ans offener Straße mit den;
hübschen Menschen erschien. Wenn also der alte Pimert erst,
wie es' bei ihm längst beschlossen, das Geschäft vollständig in
die Hände des Eduard Tanbenherz übergeben haben würde,
dann ivollte sie diesem in Gottechiamen ihre Hand am Altäre
reichen und in das nette Kanfmannshans hinüberziehen.

Da, just um Weihnachten herum, kam ein Gast zu Wacht-
meisters. Es war das sein Neffe, der Sohn jener Frau, ivelche
an der Victoria zwölf Jahre hindurch gehosmeistert und geschult
und doch kein anderes Resultat erzielt hatte, als daß das
Mädchen im Turnen, Schwimmen, Schlittschuhlaufen und Kegel-
schieben ihres Gleichen suchte, dagegen den Strickstrumpf zum

Fenster hinauswarf und den Kochtopf mit Abscheu von sich stieß.
Wäre sie allein gestanden dem Mädchen gegenüber, dann hätte
sie es vielleicht doch zu Stande gebracht, den Wildfang
kirre zu machen — sei es durch Einsperren, Hungern oder auch
durch eine angemessene Tracht Prügel. Aber da war ihr eigener
Sohn, ein baumlanger, nichtsnutziger Schlingel, der wenig
lernen mochte, sich dagegen Tage lang in Feld und Wald
herumtrieb, mit aller Welt Händel suchte und schließlich, seiner
Mutter zu völliger Erleichterung, unter die Soldaten gesteckt wurde.
Dieser Schlingel nun war der Anwalt des grobkörnigen Wacht-
meisterkindes; ihn heimelte das ausgelassene Temperament, das
kräftige, wenn auch nnweibliche Wesen desselben ungemein an,
und als er, der achtzehnjährige Bursche, von der zwölfjährigen
Base erst eine ganz „monumentale" Ohrfeige gekriegt hatte, da
' fühlte er sich durch solche förmlich zum Ritter' geschlagen und
trat selbst gegen die Mutter wüthend auf, wenn diese dem
Mädchen nicht in allen Stücken den eigenen Willen lassen wollte.

Besagter Vetter, Georg hieß er, hatte jetzt Urlaub er-
halten und den benützte er dazu, seine ihm gar sehr an's Herz
gewachsene Base Victoria Wiedersehen zu können. Der alte

Wachtmeister war zwar nicht sehr erbaut von dem plötzlich
hereingeschneiten ungebetenen Gast, aber schließlich war dieser
doch seiner Schwester Kind; die Victoria that zudem ganz außer
sich vor Vergnügen, ihren Ritter Georg wieder an ihrer Seite
haben zu können, daß der Alte gute Miene zum bösen Spiel
machen mußte.

Sehr deprimirt aber erschien jetzt der sanfte Eduard, denn
eine maßlose Eifersucht begann in seinem Herzen zu wühlen und
zu nagen wie ein gefräßiger, giftiger Wurm. Er hatte indes;
auch alle Ursache dazu, denn die Victoria lebte nur mehr für
den uniformirten Vetter, der, wenn auch nicht so schön von
Angesicht wie der zarte Edi, doch an Wuchs und Körperformen,
an Haltung und imposantem Auftreten diesen arg in Schatten
stellte. Ging der Vetter Sonntags mit der Base Arm in Arm
spazieren, dann mußte Eduard Tanbenherz mit dem Vater Wacht-
meister schön still und fromm hinterdrein marschiren; denn that er
dies; nicht und wollte er justament an Seite seiner Braut stolziren,
dann gab ihm diese meist einen heimlichen, aber unsanften Rippen-
stoß mit der Bemerkung: „Lass' den Vater nicht allein trollen;
Du spielst ja doch nur eine traurige Figur neben dem Recken da!
(dabei wies sie ans den Vetter). Du Zuckerpüppchen, das der
Wind umblasen kann!" setzte sie meist lachend hinzu.

Vetter Georg durfte seine Base auch umarmen und küssen,
so oft ihm dies; taugte, dagegen that sie meist spröde und
widerwillig dem Bräutigam gegenüber, und wenn dieser sich ja
einmal erlauben wollte, ihre Hand an sein Herz zu drücken,
so zog sic dieselbe immer rasch zurück und meinte: „Nimm
Deinen Brustkorb in Acht, Wachsmännchen, damit er Dir nicht
eingedrückt wird!"

Endlich aber kann's auch einem Tanbenherz zu viel werden
und eines schönen Nachmittags — der unausstehliche Vetter war
eben in der Manege — trat er vor den Wachtmeister hin (dieser
flößte ihm weniger Respekt ein, als die resolute Braut) und
sprach ernst den Wunsch ans: der Tag der Vermählung möge
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen