Fliegende Blätter (67.1877 (Nr. 1667-1692))

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Capitel I.

Es war an einem wundervollen Herbstabcnde des Jahres 1811.
Uebcr die Rebenhügel, welche die alte Reichsstadt rings um-
gaben und sich in ihrer Nähe an beiden Ufern eines majestätischen
Stromes hinziehen, breitete die scheidende Sonne ein purpurnes
Licht; sic spiegelte sich in den zitternden Wellen des eilig dahin-
strömenden Wassers, sic vergoldete das Dach des alten, stolzen
Schlosses, welches sich hoch über der Stadt erhob und schaute
durch seine Fenster neugierig in die weiten Gemächer, welche
schon längst die Pracht eines früheren Herrschersitzes gegen die
düstere Einfachheit actengefüllter Gerichtszimmer vertauscht hatte.

In einem derselben saß auf einem hohen Lederlehnstuhle
ein alter Mann; er hatte sein greises Haupt, dessen hohe falten-
reiche Stirn noch dichtes und mit großer Sorgfalt gepflegtes
aber schneeweißes Haar umgab, auf die eine welke Hand gestützt,
während die andere mechanisch Blatt für Blatt in einem dick-
leibigen Actenstück Umschlag, welches er vor sich auf einem wurm-
stichigen, schwarzangestrichenen Secretär liegen hatte. Plötzlich
schob er dasselbe mit einer fast heftigen Gebcrde von sich und
stand auf; — er ließ seine Augen finster über das blühende,
heitere Bild streifen, welches sich vor den Fenstern seines weiten
Gemaches ausbreitete und ging dann mit hastigen Schritten an
einen großen, runden Tisch in der Mitte des Zimmers, um
eine Glocke, die auf demselben stand, ertönen zu lassen. „Es
muß sein," sagte er fast lautlos, als der schrille Ton verhallt
war, „es muß sein; •— ein schweres Leiden verlangt entschlossene
Hülfe! — Johann," rief er dann einem eben eintretenden alten
Diener in etwas abgetragener Livre zu, „Johann, melde dem
gnädigen Fräulein, daß ich mit ihm nothwendig zu sprechen
habe!" Seine Stimme hatte etwas gezittert bei diesen Worten,
und als der Diener das Zimmer verlassen, schien den alten

; Herrn die Kraft noch mehr zu verlassen. Er wankte nach seinem
Lehnstuhl, ließ sich auf denselben nieder und vergrub sein
Gesicht in beiden Händen.

Er mochte noch nicht fünf Minuten so dagescsscn haben
— da öffnete sich leise die Thür. Ein junges Mädchen von

ungefähr 17 Jahren trat herein. Es war eine zierliche, nicht
große Erscheinung; das Gesichtchen war ausgezeichnet durch eine
seine, aber nicht.ungesunde Blässe, um die Lippen spielte beim
Hereintreten ein freundliches Lächeln und die blaugrauen Augen
blickten fast schelmisch durch das Zimmer, so lange sic den alten
Herrn ans seinem Lehnstuhle noch nicht entdeckt hatten. Jetzt
schweiften sie auch in die Gegend des Fensters, in dessen Nähe
! derselbe stand. Da wurde plötzlich ihr frisches, bis jetzt so froh-

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