Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
202

G oldammer.

sie den Förster das Pferd wieder aus dem Stalle führen, und
an's Wäglein spannen. Ehe sie sich vom Erstaunen hierüber
erholen konnte, war der Förster schon fertig und nahm die
Zügel in die Hand.

„Wohin denn?" fragte die Försterin zagend.

„So Gott will, bringe ich Gäste!" lautete die geheimniß-
volle Antwort, und fort rollte das Wägelchen dieselbe Richtung
hin, die es vor Kurzem hergckommen war.

Es hatte angefangen, dunkel zu werden, und wenn die
Fahrt weit hinaus hätte gehen sollen, war's bei zunehmender
Nacht auf der verwehten schmalen Straße schier bedenklich ge-
wesen, wenn nicht eben der Schnee das Sternenlicht, das sich
wieder hinter Wolken barg, erseht hätte.

Rasch fuhr der Förster seinen Weg. „Dieses Vöglein,
dieses Vöglein!" sagte der Förster ans seiner Fahrt zu sich.
„Wie hat es mich so plötzlich ans meinem bitteren Denken
erweckt! . . . Die arme Frau mit dem Kinde auf der Straße!
. . . Diesen Weg muß sie kommen, denn nach Spirlau muß
sic am Forsthaus vorüber! . . ." Er trieb dabei das etwas
schlaff auftretende Rößlein zu größerer Eile an. Endlich —
immer verwirrender hemmte die Dämmerung den Blick — glaubte
er ans der Seite der Straße ans einem Steinhaufen eine Gestalt
sitzen zu sehe». „Vorwärts, Brauner!" animirte der Förster
das Rößlein.

Eben erhob sich wieder der Bergrücken. Es mußte lang-
samer gefahren werden, denn der müde Gaul that's nimmer
anders. Da war cs dem Förster, als käme von der Stelle,
wo er die Gestalt deutlicher zu sehen anfing, ein leises Wimmern,
vermischt mit einem heftigen Schluchzen. Es schnitt dem Manne
in die Seele. „Geh', Brauner! Thu' dein Aenßerstes!"
schmeichelte er dem Thicre, das nun wirklich energischer anzog.

Da waren sic endlich bei der Gestalt, die fast regungslos
auf dein Steinhaufen saß. Es war das Weib mit deni Kinde,
an welchem der Förster kurz zuvor vorübergefahren war.

Der Wagen hielt.

„Sitz' auf!" sagte der Förster.

„Aber ich muß nach Spirlau!" lautete die Antwort.

„Wenn's sein muß, auch dahin!" sagte der Förster, in-
dem er das Gefährte umkehrtc. „Aber bei mir im Forst-
hause gibt's Unterkunft und morgen am Tage gcht's dann
leichter weiter."

Die Frau mit dem Kinde bestieg das Wäglein, und nun,
offenbar viel behender, that das Pferd seine Schuldigkeit.
Bald fuhr der Förster mit seinen Gästen, ohne zu fragen, wer
sie seien, bei seinem Hanse wieder vor. „Da habe ich Euch
Gäste gebracht!" rief er mit sichtlicher Heiterkeit den Seinen zu,
die aus dein Erstaunen nicht zu sich kommen sollten.

„Macht's Euch bequem drin!" sprach er die Fremde freund-
lich an, „Ihr sollt heute die Weihnacht fröhlich bei mir zu-
bringen !" Damit ging er wieder daran, fein wackeres Pferd zu
versorgen, dem er eine doppelte Portion Heu in die Krippe steckte.

Als er in die Stube trat, hatten sich seine Gäste, und
die Seinen mit diesen bereits zurecht gefunden. Was war der
fremde Knabe — im gleichen Aller wie Roscl — doch für ein
strahlend schönes Kind! Aber auch dns fremde Weib, sichtlich die

Mutter des Bübchens, zeigte Spuren ehemaliger Schönheit, welche
Arbeit, Kummer und Noth frühzeitig zerstört hatten.

„Großvater!" sagte Roscl zu diesem, nachdem sie sich an
den Fremden satt gesehen; „das Vöglein ist noch da! . . .
Dort droben sitzt es auf der Schlaguhr! ... Ja, es hat
sogar einmal ganz deutlich gesungen!"

„Das liebe Vöglein!" sagte durch seine Gedanken er-
griffen mit einer gewissen Rührung der Alte.

Plötzlich erinnerte er sich des Packeis, das ihm heute in
der Stadt übergeben worden war. Er suchte in seiner Rocktasche.
Nichts war zu finden. Er dnrchstöberte den Mantel, den Wagen,
die Stallkammcr — vergebens! Er erinnerte sich, daß er sich
bei der ersten heutigen Rückfahrt über den Bergrücken einmal
absteigend gebückt habe, um den Radschnh fester einzuketten.
Da mußte er das Packet verloren haben. Verstimmt kam er
in die Stube zurück. „Gehen wir zu Tische!" sagte er er-
zwungen heiter, um die Seinen nicht wieder zu beunruhigen.

Man setzte sich zu Tische. Gar verlockend roch cs von
den Schüsseln und die Kinder griffen sogleich gierig zu. Die
Försterin aber merkte, daß ihrem Alten wieder etwas durch
den Sinn gefahren. „Du suchtest in der Brusttasche," sagte
sic nach einer Weile, „hast Du etwas verloren?"

„Verloren, Alte!" erwiedcrte ärgerlich der Förster, „auf
der Straße wahrscheinlich. Hm! Ein paar Amtswische!"

Da stand die fremde Frau auf und zog aus ihrem Bündel
ein versiegeltes Packet heraus. „Jst's vielleicht das?" fragte sie.

„Ja, dns ist's!"

„Ich fand's am Wege!"

Nun wurde die Mahlzeit heiterer fortgesetzt. Nachdem
sie beendet, lehnte sich der Förster in seinen Stuhl zurück und
öffnete das Packet. Er nahm ein gedrucktes Heft heraus, das
er bei Seite legte. Da war aber noch ein Brief dabei und

zwar mit der Adresse an ihn und der Bezeichnung: „Private
Mittheilnng." Im hohen Grade neugierig öffnete er diese
Beilage. Dieselbe enthielt ein Schreiben vom Oberforstrath an
ihn und lautete:

„Mein lieber Reinfelder!

Ich bemerke ausdrücklich, daß die nachfolgende Mit-
theilnng streng privater Natur ist. Sie ward mir durch

die Ueberzeugung dictirt, daß Ihnen das heutige Fest sehr
unangenehm gemacht werden könnte! Um kurz zu sein: der
neue Forstrath, ein sonst sehr begabter junger Mann, ivill
lauter „neue Besen." Da sollte auch der brave Reinfelder,
wenn möglich, Platz machen. Ich roch den Braten, ich
beugte vor — in wenigen Tagen werden Sic, lieber, braver
Rcinfelder, das Dekret als Oberförster in Spirlau er-
halten. Vorläufig bleibt es unter uns! — Recht frohe
Feiertage!"

Der Förster zitterte vor. Freude, das Blatt entfiel seiner
Hand. „Lese!" Mehr vermochte er zu seiner Frau nicht zu
sagen. Sie hob das Blatt auf und las. Freudeschluchzend
sank sic dem Gatten an die Brust.

„Dns Vöglein! das Vöglein!" sagte der Förster und zeigte
nach der Uhr, auf welcher der Ammerling ganz vergnügt saß, als
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen