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Bacchus.

Dieses Söhnchen aber war unser Heinrich.

Da auch seine Mutter bei seinem Eintritte in's Leben der
schönen Welt Lebewohl sagen mußte, so war denn der Knabe
in vollster Form des traurigen Wortes nun eine Waise.
Ein braver Nachbar nahm sich des Verlassenen um so lieber
an, als der Bube nicht nur hübsch, sondern auch auf-
fallend begabt war. Er besuchte die Schulen mit so glänzendem
Erfolge, daß man beschloß, den fleißigen Heinrich studiren zu
lassen. Da nun aber sein Ziehvatcr selber Kinder hatte und für
sie nur wenig zu thun vermochte, so war die Frage, woher
Heinrich die Mittel zum Studiren nehmen solle, eine sehr
bedenkliche.

Ah! Ein talentirter, fleißiger Student findet da und
dort Unterstützung, es gibt Stipendien und aller Art Aushilfen,
es wird also schon gehen!

Darüber war man bald einig, und Heinrich selbst ward

von diesem Gedanken so sehr erfüllt, daß er mit den schönsten

Hoffnungen nach der Universität wanderte.

Sein Erstes war, die Briefe, die er vom Pfarrer und

Anderen, die ihn: wohlwollten, erhalten, in der ihm fremden Stadt
abzugeben. Sie lvaren an Leute von Stellung und guten Ver-
hältnissen adressirt und hatten hauptsächlich den Zweck, dem

armen Studiosen die Wohlthat einiger Freitische zn verschaffen.
Der erste Brief war persönlich abgegeben, und der Empfang
war so verheißend als möglich. Als aber die Frau vom Hause
den Inhalt des Schreibens gelesen und darauf den Empfohlenen
in's Auge faßte, war es, als wäre die Dame plötzlich wie
umgewandelt! Ihr Gesicht war mit einem Male in die Länge
gezogen, und man entschuldigte sich kurz und so reservirt als
möglich damit, „daß es leider gerade jetzt nicht angche, den
Empfohlenen bei Tische zu empfangen. Vielleicht später," hieß
es, und der gute, arme Heinrich war entlassen. Accurat so ging
es dem armen Heinrich in allen Häusern, wo er seine Briefe abgab.

Das ist doch eigens! dachte der Student. Man hat mir
doch alle diese Leute als wohlwollende Menschen geschildert, denen
es Freude macht, armen Teufeln unter die Arme zu, greifen!
Was mag denn nur mit den guten Leuten vorgegangen sein?

Begreiflicherweise sehr hcräbgcftimmt verließ Heinrich das
letzte Haus, in dem er sein letztes Recommandations-Schreiben
abgegeben hatte.

Als er am Thore angelangt, traurig seiner Wege gehen
wollte, vernahm er ober sich ein Fenster öffnen. „Na, sieh'
Dir den Menschen einmal an!" sagte eine Frauenstimme.
Heinrich that einen Blick hinauf. Er sah die Dame des
Hauses im Fenster, dieselbe, die ihm eben wieder ihr Bedauern
ausgedrückt hatte, ihm jetzt eben keinen Freitisch gewähren zu
können. Eine zweite, ältere Frau spähte neben der jüngeren auf
den Abgewiesenen herab.

„Der ist's?" fragte sie.

„Ja, dieser Bacchus mit dem Vollmondsgesicht und dem
hoffnungsvollen Schmerbauch!" lautete die Antwort.

„Der wäre uns abgegangen! Ter hätte das ganze Haus
aufgefressen!"

„Unter 50 Mark monatlich hätte ich dieses Monstrum
nicht füttern können!"

Jetzt fiel es dem armen Teufel wie Schuppen vor den
Augen! Das Schicksal hatte ihn bei seiner Armuth und seinem
Riesenhunger mit einer Körperentwickelung bedacht, welche selbst
an dem Sohne eines Millionärs auffallend erscheinen mußte,
wie viel mehr an einem blutarmen Studenten!

Obwohl noch so jung, sah er aus wie ein ächter und rechter
Bierbrauer, der eben erst aus dem Ei gekrochen, breitschulterig,
mit walzcnartigen, dicken Armen und Beinen, mit einer Brust,
gewölbt, wie die eines wattirten Lieutenants, mit einem voll-
wangigcn, vollmondrunden Gesichte, aus welchem die gut-
müthigen Augen nur mühsam durchzudringen schienen. Freilich,
eine solche Erscheinung mußte den wackern Hausfrauen keinen
kleinen Schrecken cinjagcn, wenn sic sich das junge, obendrein
erst in der Entwickelung begriffene Ungeheuer an ihrem —
Tische dachten!

Von der erlebten, neuesten Erfahrung >var der arme
Schlucker so niedergedrückt, daß ihm die Glieder wie gelähmt
schienen. Es war ihm, als seien ihm seine unglückseligen,
mächtigen Arme und Beine plötzlich steif geworden. Den ganzen
Nachmittag saß er unbeweglich auf einem Baumstrunk eines

Wäldchens außer der Stadt und blickte verzweifelt vor sich hin.
Er brütete über die Möglichkeit, sich von der Calamität zu
befreien, welche seine Noth mit seinem Aussehen in so verderb-
lichen Widerspruch brachte.

„Nur ein Mittel gibt es vielleicht," dachte er endlich,
„um Abhilfe zu verschaffen!" Es war aber nicht etwa der
Gedanke, sich auf irgend eine Art so viel zu erwerben, um jener
Unterstützungen nicht zu bedürfen, auf welche arme Studenten
angewiesen sind, die sich ja trotz alledem kaum über dem Wasser
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Bacchus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Vergleich
Wald <Motiv>
Widerspruch
Nachdenklichkeit
Kummer
Übergewicht
Armut
Karikatur
Sitzen <Motiv>
Aussehen <Motiv>
Bacchus
Körperbild
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 69.1878, Nr.1723 , S. 34
 
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