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Herr und Diene r.

erfuhr. Man suchte vielmehr vor derselben den Schein der
Wohlhäbigkeit zu bewahren.

Die Ehe wurde bald durch ein Töchterchen gesegnet, welches
ohne Geschwister blieb und daher ungemein verhätschelt ward.
Die kleine Julie war aber auch ein sehr hübsches Kind, das
sich körperlich und geistig außerordentlich schnell entwickelte. Die
Eltern bewunderten ihr Kind und verbargen ihre Bewunderung
vor demselben durchaus nicht. Sie unterließen nichts, der
Tochter eine vorzügliche Erziehung zu geben und strengten sich,
als Julie zu einer altarfähigen Jungfrau hcrangercift war,
noch mehr au, einen reichen Schwiegersohn zu erhaschen. Sie
besuchten mit ihr alle Abendgesellschaften, wo sie durch ihre
Schönheit und Bildung vor allen anderen Mädchen glänzte,
und sie gaben auch in ihrem Hause stark besuchte Abendnnter-
haltungen, in welchen hoffnungsvolle Jünglinge die Haustochter
bewunderten, die sich indessen, im Bewußtsein ihrer Vorzüge,
niemals zu viel, oft nicht genug, bewundert glaubte. Sie
machte ihre Uebcrlegenheit überall geltend und freute sich nicht
nur ihrer Siege, sondern auch der Niederlage ihrer Geführtinen.
Dies schreckte endlich die jungen Leute ab, sich um Juliens
Hand zu bewerben. Sic wägten das Joch, ehe sie sich's auf-
legten und fanden es zu schwer. Nur Einer, Lothar Ham-

berg, der fast so viel Selbstvertrauen besaß wie Julie, erklärte
sich als ihren Freier, und da er über ein hübsches Vermögen
gebot, ward seine Bewerbung von Eltern und Tochter auf's
Bereitwilligste genehmigt. Hätte sich der Brautstand nicht so
sehr in die Länge gezogen, so würde dieser Bund in der Kirche
besiegelt worden sein. Während eines zwanzigmonatlichen Ver-
lobungsstandes aber erfuhr der Bräutigam trotz aller Geheini-
thuerei seiner künftigen Schwiegereltern, daß sie bei ihrem Ab-
leben nichts zurücklassen würden, als verstimmte Gläubiger.
Statt sich also in die Kirche fahren zu lassen, suchte er sich
mit so viel Glimpf, als möglich, wieder frei zu machen und
sparte kein Mittel, den Bruch langsam und ohne Geräusch
herbeizuführen. Er stellte sich nicht mehr so häufig wie früher
im Hause seiner Braut ein, und seine Besuche wurden nicht
nur seltener, sondern auch kürzer. Auch suchte er, so oft man
von der Vermählungsfeier sprach, dieselbe durch allerlei Gründe
hinauszuschieben. Zu seinem großen Leidwesen sah er jedoch,
daß Iveder die Braut, noch deren Eltern durch sein Benehmen
in heftige Aufwallungen geriethen, oder ihm einen triftigen

Grund zur Lösung des Bundes gaben. Es blieb ihm am
Ende nichts anderes übrig, als eine dringende Reise vorzuschützen
und während seiner mehrmonatlichen Abwesenheit nur einen
einzigen, kurzen und kalten Brief an Julien zu richten. Julie
beantwortete diesen lakonischen Brief durch einen acht Seiten
langen, in welchem sie es nicht an glühenden Betheuerungen
ihrer Liebe zu ihm fehlen ließ. Lothar war darüber in Ver-
zweiflung, und diese Verzweiflung trieb ihn, ihr schriftlich
mitzutheilen, daß er sie ihres Wortes gegen ihn entbinde,
da er einsche, daß cs ihm nicht gelungen, ihr Herz zu gewinnen
und er um keinen Preis ein Wesen unglücklich machen wolle,
welches wie kein anderes ein glückliches Loos verdiene.

Dieser Brief kam nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel;
wenn er aber die Familie Trübich nicht überraschte, so erregte
er doch nicht weniger ihre Wuth. Sie behielten ihn indessen
als Familiengeheimniß, was ihnen bei Lothar's fortdauernder
Abwesenheit um so leichter gelang. Eltern und Tochter ver-
bissen ihren Grimm vor der Welt und ließen denselben nur
am häuslichen Heerde auflodern.

Es muß hier übrigens bemerkt werden, daß Lothar nicht
zum ersten Male aus dem Bräutigamsstande trat; er war bereits
mehrere Male verlobt gewesen und hatte jedes Mal vor der
nahe bevorstehenden Trauung den Bund gelöst, ohne sich durch
den Kummer und die Thränen der verlassenen Braut sonderlich
erschüttern zu lassen. Er gehörte zu jenen selbstischen Naturen,
die sich als Mittelpunkt des Universums betrachten und deren
Eigenliebe jede andere Liebe erstickt. Ungefähr einen Monat,
nachdem der Briefträger das verhängnißvolle Schreiben über-
bracht, verbreitete sich die Nachricht von dem Ableben des
Fräuleins Euphrasia und von der großen Erbschaft, die sie
dem Herrn Eustachius hinterlassen. Durch dieses Ereigniß
erinnerte sich Leonhard Trübich gegen Mitternacht, als er sich
schlaflos an der Seite seiner Ehehälfte befand, daß er ein Ver-
wandter, beinahe ein Vetter Wolkcnreich's sei. Er war so
hoch erfreut über sein sinnreiches Erinnerungsvermögen, daß er
Lust verspürte, seine Gemahlin aus dem Schlaf zu wecken und
sie davon in Kenntniß zu setzen. Er fürchtete jedoch, sie könnte
durch den Verdruß, den Armen des Traumgottcs entrissen zu
werden, seine Mittheilung nicht mit der gewünschten, freudigen
Ueberraschung aufnehmen; als sic aber mit der anbrechenden
Dämmerung die Augen nufschlug, öffnete er sämmtliche Schleusen
seiner Beredsamkeit und wartete auf die freudige Ueberraschung
seiner anderen Hälfte. Diese antwortete jedoch mit eisiger
Kälte: „Du glaubst Dich immer gescheidter als alle anderen
Menschenkinder! Meinst Du denn, daß mir das Wohl unserer
Tochter nicht eben so sehr am Herzen liegt, wie Dir?"

Und wie ihr Gatte seine Vetterschaft mit Wolkenreich von
der Verwandtschaft ihrer beiden Urgroßväter ablcitcte, tvies nun
Frau Trübich ihre Verwandtschaft mit dem alten, reichen
Erben nach, indem sic auseinandersetzte, daß eine ihrer Groß-
tanten die Schwägerin eines Oheims des Herrn Wolkcnreich
gewesen. Dabei berührte sie alle aufsteigenden, absteigenden
und Seiten-Linien beider Familien, zählte sämmtliche Schwäger
und Schwägerinen, sämmtliche Oheime, Neffen und Nichten,
Bildbeschreibung

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Titel/Objekt
"Herr und Diener"
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Fliegende Blätter
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Entstehungsort (GND)
München

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Fliegende Blätter, 69.1878, Nr. 1727 , S. 66
 
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