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34

So langes n

und die Kinder schauten groß auf und wichtig und wunderten
sich, wann wohl die schwärzlichen, schlanken Hausfreunde fort-
ziehen würden. Denn Mariä Geburt war's ja, — aber so
sonnig der Tag, das; die Schwälblein ganz fröhlich um den
Dachfirst flogen und nicht daran zu denken schienen, daß ein
Mahnen ging durch die Welt an's Fortziehen und Wandern.
So ohne Ende erscheint uns der Spätsommer in der Sonne,
so ohne Ende erscheint uns das Dasein in der Jugend.

Festlich gekleidete Leute schritten die Feldwege neben der
Landstraße her und hin in Gruppen. Stcifgewandete Bauern-
mädchen und Bursche mit Silberknöpfen auf den Jacken. Manch-
mal fuhren schöne Herrschaftswagen die Straße entlang, gold-
glänzende Staubwolken aufwirbelnd. Die Arbeit auf den
Feldern ruhte, und auch alle Sorge schien zu ruhen. Glocken-
töne sangen durch die reine, hellhörige Luft. Die nettgekleidcte
Wirthin gab dem Leierkastenmanne, der eben vor dem Hause
zu spielen begann, eine Gabe auf seinen Kasten. Ein junger
Mensch in Hemdärmeln, die Blouse und ein kleines Reisc-
täschchen neben sich, saß auf einer Bank, welche er sich in den
Schatten des Holzschuppens am Hause getragen hatte, um sein
Glas Wein in der frischen Luft zu trinken.

Die Sommerluft lüstete seine blonden Locken, seine Augen
folgten den Schwalben in ihren fröhlichen Kreisen uni den Dach-
first, seine Seele lauschte auf die grellen, fröhlichen Klänge des
Leierkastens und auf die fernen, frommen Töne der Glöcklein,
welche sagten: „Es ist Mariä Geburt, da ziehen die Schwalben
fnrt . . . !"

Ein kleines Mägdlein der Wirthin, ein langlockiges, weiß-
haariges Kind mit großen Kornblumenaugen und einem Fcst-
tagskleidchen, spielte in der Nähe der Bank mit einem kleinen,
jungen Hunde, der einen entsetzlich dicken Kopf und entsetzlich
große Tatzen hatte. Da überkam es den Wandersmann, als
müsse er das Kind mitsammt dem Hunde zu sich ziehen und
sic an's Herz drücken und ihnen leise süße Schmeichelworte sagen.
Dann ließ er sie wieder von sich und barg sein Gesicht in den
beiden Händen.

Die fröhliche Musik des Leierkastens war verstummt, und
der Eigcnthümer desselben war sammt Weib und Kind weiter-
gezogen die Landstraße entlang. Und auch das Geläute war
verklungen.

Feiertagsstille und Feiertagsfriede aus Erden. Da begann
der Wandersmann sich leise zu schütteln; wie ein Zittern lief
es über sein ganzes Wesen. Die Hände schloßcn sich fester
über seinem Antlitze. Es schien, als weine er bitterlich.

* .. *

Ein schöner Herbsttag war's, aber doch ein Tag des
Herbstes, und graue Nebel zogen sich vom Rande der Hügel
empor bis in's Blau des Himmels und überzogen denselben
höher und immer hoher, dünn zwar, daß es nur wie tieferes
Blau anssah, aber allmälig allen Glanz verdrängend von den
Gegenständen und den Tag gleichsam ernüchternd, und ein
wilder Wind strich über die Landschaft, zuerst dicht am Boden
hin, als sei er noch ein Kind, dann aber höher und höher

och Zeit ist.

fluchend, und endlich in allen Büschen zausend und durch das
Geäst der Bäume brausend.

In einer Stube des stattlichsten Bauerngehöstes, gegen
die Laaben zu, saßen drei Personen. Ein junges Mädchen
saß auf der Fensterbank und schaute in die freie, windlante
Gegend hinaus, das hübsche Kinn in die Hand gestützt. Ihre
großen, braunen Augen hatten einen übermüthigen Ausdruck,
ihr hübsches Naschen trug sic keck in der Luft, und um ihre
vollen Lippen spielte ein muthwilliger, lebensfroher Zug. Sie
war in gar hübsche, halbstädtische, rauschende Feiertagskleider
gekleidet; um den feinen, weißen Halskragen trug sie ein präch-
tiges, rosaseidenes Band, ans dem dunklen Haar ein schönes,
schwarzes Kopftuch — kurz, sie war eine echte, reiche Bauers-
tochtcr und Hof-Erbin, die schöne Ploni.

Ans der Ofenbank saß ihr Vater, der reiche Bcrnauhof-
Bauer, gemächlich sein Pfeifchen rauchend und im Geiste die
sicher hereingebrachte Ernte überzählend und abschätzend. Neben
ihm stand der Weinkrug und lag das Hausbrod.

Die dreifarbige, alte Katze Miez saß schnurrend auf dem
Ofen selber. Das Thier hatte sich einmal in seinen jungen
Tagen die Ohren erfroren, und die waren ihm seitdem ver-
krümmt geblieben.

Am großen Tische der Stube saß die Schwester des
Bauern, die alte Regerl-Mahm. Sie war auch nett gekleidet,
aber dunkel, und in ihrem hagern, von vielen Runzeln durch-
furchten und von ergrauenden Haaren umrahmten Gesichte lag
der unverkennbare Typus der unverheirathet Gebliebenen. Bor
ihr auf dem Tische lag eine weiße Näharbeit, auch ein Körbchen
mit Nährequisiten war da, nnd sic arbeitete mit der Brille
auf der Nase. Die Wanduhr tickte, die alte Miez mit den
gefrorenen Ohren schnurrte, nnd draußen strich der Wind immer
heftiger durch die Obstbäume hinter dem Hanse. Sonst war
Alles still ringsum.

lind die Ploni schaute hinaus in die Ferne und dachte
daran/ ob jetzt der Gfellbauer Seppl wohl schon fortgewandert
sei in die Ferne?

Der Gfellbauer Sepp war der Sohn eines kleineren
Höflers, aber ein braver, hübscher Bursch, dem sein sicheres
Anwesen in Aussicht stand. Und er war, wie alle anderen
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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"So lang's noch Zeit ist"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Wagner, Erdmann
Entstehungsdatum
um 1881
Entstehungsdatum (normiert)
1876 - 1886
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 74.1881, Nr. 1853, S. 34
 
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