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Sei bescheiden!

in seiner Beize; die bunten Federn einiger prachtvoller Fasanen
schillerten von der Wand; Torten und Backwerk in Fülle standen
ans schönen Glasschüsscln, mit lieblichem Duft die Atmosphäre
durchwürzend, und, in Eis vergraben, harrten Schlag-Obers
und „Bsrri-Aepfel" der letzten Vollendung durch die Meisterhand
der Hausfrau. Diese überblickte mit Stolz all' diese Vor-
bereitungen und rief nach der Köchin und dem Stubenmädchen,
um ihnen ihre Befehle zu crtheilen.

Das Mittagsmahl war vorüber, und der Herr Hofrath
von Köhlersberg hatte sich zu seiner Spielpartie begeben.
Seine Gemahlin beschloß, einen Spaziergang zu machen, um
sich in frischer Luft für die morgige Campagne zu stärken.
Somit umhüllte sie sich gehörig, wie es bei unserem Klima ge-
boten ist, und verließ das Haus, ihre Schritte nach der Ring-
straße lenkend, wo es sich Abends gar anmuthig ergeht, besonders
wenn Jupiter Pluvius schläft, und Gott Aeolus eben anderswo
umherzutoben beliebt.

Dies war nun an besagtem Abend gerade nicht ganz
der Fall — denn schwere, drohende Wolken hingen am Himmel.
Die Hofrüthin bummelte durch die Straßen und blieb hie
und da an einem Schaufenster stehen; schließlich gewährte
j sie auch, von vielen Gasflammen tageshell erleuchtet, eine
neu errichtete Delikatessen - Handlung, vor welcher sich mehrere
Neugierige angesammclt hatten. Sic blieb stehen und besah
sich all' diese Leckerbissen, unter denen ein prachtvoller Branzin
wie ein König thronte, und plötzlich fiel ihr ein, wie herrlich
es wäre, wenn sic morgen ihre Gäste mit diesem Prachtfisch
bewirthen könnte. Rasch entschlossen, in Erinnerung an den
Ueberschuß ihrer Kasse, trat sie in das Geschäftslokal, dessen
! Inhaber ihr diensteifrig cntgegenstürzte, und erkundigte sich nach
dem Preis des Fisches. Die Antwort lautete nicht sehr tröst-
lich. „12 fl., meine Gnädik." — Aber der Branzin schillerte
so appetitlich silbern, und die Dame erstand das schöne Tafel-
stück nach einigem Handeln mit dem Herrn des Geschäftes,
einem Italiener, um 10 fl. Dieser packte cs in doppeltes
Papier und frag: „Soll ick sicken der Fiß?" — „Nein,"
entgegnete Frau von Köhler, „ich nehme ihn selbst mit — sagen

Sie mir aber nur, was
riecht denn hier so ent-
setzlich?" - „Ah!

gnöstöinalaäottsböstio!"
rief der Italiener, die
Faust gegen einen mit
Meerspinnen gefüllten
Korb schüttelnd, „un
birbante nt mick be-
trokehn!" — „Be-

daure," sagte kühl Frau
von Köhler, nahm das
schwere Packet und ver-
ließ das Lokal, gefolgt von den neidischen Blicken der außen
Stehenden.

Sie mochte eine Viertelstunde gegangen sein, als sic stehen
blieb. Was war das? Der üble Geruch aus km Delikatessen-

laden schien sie zu verfolgen. „Am Ende hat sich eine Mcer-
spinnc an mein Kleid gehängt," murmelte sie und schüttelte ihre
Röcke, sich von allen Seiten betrachtend — allein cs fiel nichts
zu Boden, und zu sehen war auch nichts. Sie ging weiter
— der Fisch war entsetzlich schwer. Dort stand ein Dicnst-
mann an der Straßenecke. Sic winkte; der Dienstmann sprang,
die Mütze ziehend, heran. Frau von Köhler nannte ein Hans
in der Nähe des ihren, bei welchem der Mann sie erwarten
sollte, gab ihm den Fisch und setzte ihren Weg fort. Es
währte jedoch nicht lange, so öffnete der Himmel seine Schlcußen,
und es goß ganz ergiebig herab. So blieb denn nichts zu thnn,
als die Gesundheitspromenade abzukürzen und eiligst heimwärts
zu fliehen, was die Hofräthin auch that. Schon von ferne eilte
der Dicnstmann auf sie
zu und konnte kaum er-
warten, seiner Bürde los
zu werden.

Frau von Köhler gab
ihm seinen Lohn; der Mann
dankte und entfloh, nach-
dem er ihr das Packet über-
geben und „Küß' d' Hand"
gerufen.

Sic eilte nun ihrer
Behausung zu — aber da
war ja wieder der furchtbare Geruch aus der Dclikatessen-
Handlung! Von einer schrecklichen Ahnung erfaßt, senkte die
Dame ihre Nase auf den Branzin her-
nieder — leider zu spät! entsetzlich!
So war denn das Unglaubliche ge-
schehen — die unfehlbare Hausfrau
hatte einen stinkenden Fisch gekauft!
Was nun thnn? — Im Trcppenflur
des von der Hofräthin bewohnten
Hauses stand eine Wäschrolle — dort-
hin flüchtete die unglückliche Frau und
stützte sich auf sie, wie Desdemona:
„Gelehnt an die Cypresse, das Herz so
bang und trübe," während der elende
Fisch aus der blauen Adria seine Düfte zu ihr emporsendete.

Lange stand sie so — da endlich wurde oben auf der Treppe
eine Thürc zugeschlagen, und hastigen Schrittes hörte man Je-
mand abwärts eilen. Das konnte eine der Mägde sein, und die
Gebieterin floh entsetzt wieder in die Regcnnacht hinaus. Was
sollte sie thnn? Zn dem betrügerischen Wälschcn zurückkehren, den
Fisch hinwerfen, ihr Geld fordern? — Nimmermehr! Dabei
konnte sic gesehen, von Außen beobachtet und in dem tagcshell
erleuchteten Laden erkannt werden. Wohin gcricth dann ihr
Ruf? Nein, der Fisch mußte vernichtet werden, verschwinden
vom Erdboden — in's Wasser mußte er zurück, woher das
Ungethüm gekommen. — Und die Dame eilte fort durch die
Gassen, hinaus gegen den Stadtpark, wo eine luxuriös ver-
goldete Brücke, welche den Namen eines modernen Seehelden
führt, über das schmutzigste, unschönste Flüßchen Europas gespannt
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sei bescheiden!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1881
Entstehungsdatum (normiert)
1876 - 1886
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 74.1881, Nr. 1856, S. 58
 
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