Fliegende Blätter (74.1881 (Nr. 1849-1874))

aus und stürzte, ohne zu frühstücken, aus der Stube zum
Juwelier. Wie ich aber zum Thore hinaus will, verstellt mir

(krau Mirl, meiner Wäsche Schmutz getreue Putzerin, den
^lleg und sagt, sie hätte mir eine vertrauliche Mittheilung
zu machen. Sie hält mir ein sauber gebleichtes, festlich
decorirtes Nachtkorsett unter die Nase mit dem Bemerken,
k>aß das gerade das zehntauseudste Korsett sei, welches seit
25 Jahren ihrer Bleiche anvertraut wurde. Ich erbleichte,
gratulirte aber der Frau Mirl in aller Eile zu ihrem Nacht-
korsett-Jubiläum und lief schnurstracks zum Juwelier, um meiner

Frau das bewußte
Geschenk zn kaufen.
Da mir aber vom
Juwelierladen ein
Zettel entgegenwinkt,
daß das Gewölbe
wegen plötzlich cin-
getretenen Jubiläums
des Geschäftsführers
bis Mittag geschlossen
bleibt, so lenke ich
meine Schritte in ein
Cafs, um unterdessen
ein Frühstück zu
nehmen und die
Zeitungen zu lesen. „Marqueur, eine Melange!" rufe ich,
doch Niemand erscheint. Ich schreie eine viertel, eine halbe,
eine ganze Stunde lang; mein Magen klappert, als ob darin
ein Diurnistenverein soeben seine Generalversammlung abhalten
>vürde, aber im Cafv blcibt's menschenleer. Endlich erfahre
ich, daß Eigcnthümcr, Marqueure, Kassierinnen und Gäste,
alle mitsammen im ersten Stock versammelt sind, um dem
Franz zu seinem 2 5 jährigen Kellnerjubiläum in Ehrfurcht zn
huldigen. Ich will nun meine Gedanken ans ein anderes Ge-
biet lenken, greife mechanisch nach einer Zeitung und komme I

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Extrablatt"
mit zwei Stück
Hochzeitsjubilare im
Porträt erwischt! —
Ganz verstimmt ver-
lasse ich das Lokal
und suche meinen
Hunger beim Greisler
mit einer Kaiser-
semmel zu stillen.
Denken Sic sich
das Malheur: die
Semmel war so alt-
backen , daß sic
mindestens eine
Dccennalfeier über-
standen zu haben
schien. Inzwischen
war beim Juwelier
geöffnet worden. Ich mache meine Einkäufe, und um für meine
Familie ein klebriges zu thun, beschließe ich eine Loge in's Theater
zu nehmen. Aber da bin ich schön angekommen. Ich lause von
einem Theater in's andere: überall Jubiläum, überall ansverkaust.
— Mit solchen Gedanken im Kopfe, einer jubilirtcn Kaiser-
semmel im Magen und keine Loge in der Tasche, den ganzen Tag
lang herumlaufcn müssen, wie ein Briefträger — das ist kein
Spaß, und als ich zur Hofopcr kam und da erfahre, daß die Oper
wegen Vorbereitung zur 100 jährigen Jubiläumsfeier einer in
Ehren grau gewordenen Ballcrinc für heute geschlossen bleibt —
da war's aus, und ich breche ohnmächtig zusammen. Aber die
Kraft, einem
Comfortable zn
-winken, und ihm
meine Adresse zu
stammeln, war
mir noch ge-
blieben. Der
Kutscher indes;
bedauert, mich
nicht fahren zu
können. „Wissen
S'," sagt er,

„ich muß heut'
mein Roß
schonen, weil
ich damit vor
25 Jahren

meine erste Fuhr' g'macht Hab'!" — Dieses Roßjubiläum hat
mir vollends den Garaus gemacht. Was jetzt geschah, weiß
ich nicht. Tags darauf erwachte ich in der Todtenkammcr des
Centralfriedhofes, wohin sic mich als Todtcn transportirt hatten
und mich wahrscheinlich auch begraben hätten, — wenn nicht
der Todtengräber just sein 2 5 jähriges Jubiläum gefeiert hätte!

K. Bauer.