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- ^cktellungcn »erben in allen Bnch- und Kunst-

Handlungen, sowie von allen Postämtern und "JÄTro« -M fl

Zeitungs-Expeditionen angenommen. u-d —— B •FzJa^fl

Erscheinen wöchentlich ein Mal.

Preis deS Bandes (26 Nummern) Jt 6.70. Bei directem
Bezüge per Kreuzband: für Deutschland und Oesterreich 7 XXVII
^7.50, für die anderen Länder des Weltpostvereins ^ 8.—

Einzelne Nummer 30

Sic trugen eine arme alte Frau zu Grabe; drei Bretter
Uöreit ihr Sarg; drei Freundinnen gaben ihr das Geleit;
o^er es weinte Niemand, als ihr Sohn, der Tottcl.

Der Tottel schluchzte sehr ernstlich und heftig, und nur
">» die Todte, obgleich er auch sonst wohl Ursache gehabt hätte.

fatu war es aber auf dem Kirchhofe gar nicht still und

b'imlich, wie es Betrübte liebe». Es wurde nämlich eine

hnlbe Stunde nach der alten Frau ein Graf bestattet, den

Hunderte begleiteten, und den der Priester am Grabe gewaltig
^bte, obwohl sein eigner Sohn cs zu keiner Throne um ihn
Gingen konnte, und obwohl eine Gruppe zerlumpter Männer
6ei jedem Ehrennamen, den der Priester dem Tvdtcn gab,
"ul den Füßen stampfte und die Hände ballte; denn der
berühmte hatte sic von Haus und Hof getrieben.

. Weil cs also auf dem Kirchhofe so geräuschvoll war, so
schaufelte der Tottel rasch selber das Grab seiner Mutter zu,
ihm ein Trost war, und was der Todteugräbcr wohl in
nächsten Stunden nicht gcthan hätte, und dann rannte er
ön einen Felsenquell, der still und einsam auf einer Waldwicse
^sprang, warf sich auf die Erde, und fing noch einmal an,

^cht von Herzen zu jammern'.

Als er das eine Weile getrieben hatte, sagte neben ihm
°we klare Stimme: „Laß es endlich genug sein, Tottel! Das
Kammern weckt die Todten nicht auf. Ich hätte wohl gleich
uicl ober mehr Ursache zu Klagen, als Du. Ich bin kein
^ann, und mir haben sie vor Kurzem den Vater begraben,
^r. wie Dir die Mutter, mein Ein und Alles war."

Die so sprach, war des Oberen Grafen Tochter. Das
Thal hatte nämlich seit uralten Zeiten zwei Grafen, den Oberen,
Hessen Schloß auf der Höhe, und den Unteren, dessen Schloß
Thale stand. Jahrhunderte lang wären die zwei Grafcn-

Dcr Tottcl.

Slavisches Märchen van <5. Wbler.

gcschlcchter gleich an Macht und befreundet gewesen; aber in
den letzten Zeiten hatte sich das geändert. Der Untere Graf
hatte sich Großgraf genannt und hatte Druck und Gewalt
gegen manchen Kleinen geübt; der Obere hatte das nicht leiden
ivollen, vielleicht aus Mitleid, vielleicht aus Weisheit, am
wahrscheinlichsten ans beiden Gründen; aber er hatte Wenig
hindern können; der Untere Graf war doch der Großgras
geblieben und des Oberen bitterer Feind geworden.

Als der Tottcl die Worte der Grafentochter vernahm, erhob
er das Gesicht vom Boden und sah die Sprecherin verworren
an; er hatte so gar nicht geglaubt, in Gesellschaft zu sein.

„Du sichst mich unwillig an!" sagte die Grafentochter
wieder. „Ich habe Dich gestört und ich habe Dich genannt,
wie alle Leute Dich schimpfen. Ich weiß Deinen rechten Namen
gar nicht."

Der Tottcl stand ans; er machte eine Handbewegnng, als
wollte er die Mütze zieh'n; aber er hatte keine ans dem Kopfe.
„Meine Mutter nannte mich Constans", sagte er, „aber meistens
mein lieber armer Junge." Und als er das sagte, brachen
ihm die Thränen noch einmal hervor, wie wenn in Mühlgräben
das gestaute Gewässer losgelassen wird.

„Denke Dein Leben lang an Deine gute alte Mutter,
Constans; aber jetzt schlag' sic Dir einmal eine Stunde aus
dem Sinne!" sagte die Grafentochtcr freundlich. „Wo dienst
Du jetzt?"

„Ich habe jetzt gar nirgends keinen Dienst mehr!" erwiderte
der Tottcl und wurde hochroth. Er war eigentlich sehr nett,
der Tottel! Er hatte stattliche Glieder, klare braune Augen
und einen Kopf voll dunkler Locken, und sein Gesicht, das
sehr hübsch war, sah besonders jetzt, sehr klug zwar nicht, aber
dreimal mehr ehrlich, als einfältig, aus.


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