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Sternlein Edelweiß.

Dann wurde es lebhafter im Thale; eine Heerde schöner
Kühe trottete aus dem nächsten Stalle und blökte vergnügt in
den frischen Morgen hinein. Die schönste Kuh aber war
schneeweiß und hatte rothe Bänder an den Hörnern, und ein
hübsches junges Mädel ging neben ihr mit rothen Backen und
rothen Lippen und himmelblauen Augen. Dem Sternlein wurde
es angst und bange, denn die Kühe kamen ihm näher und näher
und schnupperten bedenklich am Boden. Doch das Mädchen
bückte sich plötzlich zu ihm nieder und mit dem Ausrufe: „Eine
Sternblume... so früh am Morgen schon ganz aufgeblüht — das
bedeutet Glück!" hob es das Sternlein zu sich empor. Diesem
aber bedeutete es kein Glück, denn das schöne Kind zupfte ihm alle
seine Strahlen einzeln aus und murmelte dabei: „Er liebt mich
— liebt mich nicht —und als es zum letztcnmale „Er liebt
mich nicht" gerufen hatte, warf es den zerpflückten Stern
weit von sich und weinte bitterlich. Da fing unser Sternlcin
auch an zu weinen und sehnte sich nach seinem Himmel zurück,
und weil der ihm so dicht über den Bergen zu hängen schien,
kroch es höher und höher hinauf, bis es am Trient-Gletscher
zwischen Felsen und ewigem Eis todtmatt liegen blieb.

Der liebe Gott aber hat Erbarmen selbst mit seinen ver-
irrten Sternen; in den Himmel konnte er's nicht wieder nehmen,
nachdem es seine Strahlen verloren hatte, aber er ließ ihm
einen warmen weißen Pelz wachsen, wie ihn die Edelleute nicht

Und wieder nach Monaten zogen Leute desselben Weges
und fanden das Mädchen. Aber niemand kannte es, und so
begruben sie es, pflanzten aus sein Grab die weißen Sternlein,
in deren Nähe sie es gesunden hatten, und setzten ihm ein
kleines schwarzes Kreuz; auf das schrieben sie mit weißen Buch-
staben: „Edelweiß".

Die weißen Sternlein hielten auf dem Grabe treue Wacht

schöner haben und schenkte ihm Kinder; die hatten alle den-
selben silberweißen, weichen Pelz an, und die Menschen, die
das sahen, nannten die Sternlein „Edelweiß" und sangen laut
vor Vergnügen, wenn sie eines gefunden hatten. So lebten sie
so glücklich und zufrieden, als man es am Rande des ewigen
Schnees nur sein kann.

Monate waren vergangen. Von den Bergen stieg der
Winter herunter an die Seen, und Kühe und Menschen lagen
in ihren warmen Hütten im Thale. Unsere Sternchen hatten
sich unter eine Felsplatte versteckt, und rings umher war
es so still geworden, daß man die Schneeflocken konnte fallen
hören - so still wie im Himmel. Da kam mühsam den
Berg heraus eine schwankende Gestalt, oft zusammenbrechend
und leise schluchzend, und als sie sich näherte, erkannte unser
Sternlein das Mädchen, das ihm seine Strahlen geraubt hatte.
Ach, auch diesem war kein Strahl der Jugend und Schönheit
geblieben! Ein hochzeitliches Kleid hatte es an, aber nicht
seine Hochzeit war gewesen. Sein Brusttuch hatten die Berg-
kiefern zerzaust, sein Röckchen die Dornen zerrissen; die Haare
flatterten ihm im eiskalten Winde, und die Wangen waren
bleich und abgehärmt. „Er liebt mich — nicht", sprach
es leise vor sich hin, dann sank es um, und der Schnee häufte
Flocken auf Flocken und bettete es unter weißer Decke.

und blühten fort und wuchsen und mehrten sich, und als das
Kreuz im Wetter vermodert und zerfallen war, da wanderten sie
von einer Bergspitze zur andern und dort blühen sie noch und
laden den Sohn der Berge, daß er emporklimmt mit Gefahr
seines Lebens, die leuchtende Blume zu pflücken und sie der
Liebsten zu bringen zum Gruße und Zeichen der ewigen Treue
und der Todes verachtenden Liebe.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sternlein Edelweiß"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Wagner, Erdmann
Entstehungsdatum
um 1883
Entstehungsdatum (normiert)
1878 - 1888
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 78.1883, Nr. 1965, S. 098
 
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