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Wie es dem Oberstlieutenant Kreuzschnabel im großen Generalstabe erging.
So rasch geht das nicht! Zug um Zug . . . und aus jeden
Zug zwei Minuten. Sic verlieren Zeit, Kreuzschnabel und
haben sie schon verloren. Setzen Sie zwei Compagnieen Todte
und Verwundete ab, die Geschütze drüben feuern und richten
gräßliche Verwirrung ans Ihrem rechten Flügel an! Da be-
droht auch von Kotzewitz Ihren linken Flügel durch eine Um-
gehung!" — „Hauptmann Gutrinsky," rief ich meinem Unter-
befehlshaber des linken Flügels zu, „verhindern Sie die Um-
gehung !"■—„Schon besorgt", rapportirte Gutrinsky und schwenkte
die Bleifiguren. — „Warum ziehen Sie Ihre Plänkler so weit
nach links?" —„Weil sie sonst in den See kommen."—„Auch
diese Kolonne steht zu weit nach links!" —„Weil sie den steilen
Abhang nicht passiren und erst weiter westlich, beim nächsten
Zug, absteigen kann." —„Und diese hier, auch die geht nicht
direkt auf den Feind los!"—„Sie ist nach der Brücke abge-
schwenkt, welche über den Fluß führt, in den der See einfließt
und die der Gegner bedroht." — Das mochte Alles richtig sein,
und darum schob ich die bereits verrückten Blcifignren wieder in
die ihnen von Gutrinsky gegebenen Stellungen. — „Gilt als Zug,
gilt als Zug!" keuchte der Leitende dazwischen, „scheinen sich
übrigens mit Kartenlesen nicht viel beschäftigt zu haben, lieber
Kreuzschnabel?" — „Erlauben Sie, Herr Oberst! ich habe in
einer Woche mehr Karten gelesen und auswendig gelernt, als
der Generalstab in einem Säkulum fertig stellen kann. Mein
Schädel ist zu einem ambulanten geographischen Lexikon ge-
worden, das ich jeder Postdirektion mit gutem Gewissen zur
Verfügung stellen könnte." —„Ich verstehe Sie nicht ganz", er-
widerte mit einem verblüfften Gesicht Oberst von Brause, „aber
das kann ich Ihnen sagen, daß Sie zunächst ein Bataillon
Todte und Verwundete abzusetzen haben in Folge der Ver-
wirrnng in Ihrem linken Flügel, die sich auch dem Centrum
mittheilen mußte, gegen welches Major von Kotzewitz, der in-
zwischen die Ucüergangspunkte entdeckt hat, soeben einen Offcnsiv-
stos; führt! Ziehen Sie den moralischen Einfluß in Betracht!"
„Herr Oberst! Die Verwirrung bitte ich aus dem Spiel
zu lassen. So etwas steht nicht in meinem Programm. Und der
moralische Einfluß ist der, daß der Oberstlientenant Kreuzschnabel
an der Spitze marschirt. Und so bin ich längst der Erste
gewesen, welcher in den See gestürzt ist und. meine braven
Jungcns sind mir gefolgt. Nicht Einer bleibt zurück. Das
ist der ganze moralische Einfluß. So . . . und hier sind wir
nun und da steht der Feind. Wir werfen die feindliche
Infanterie nieder, erstürmen den Hügel. Sv! Die Geschütze
sind in unserm Besitz. Wir richten sic auf die Bataillone
des Herrn Major von Kotzewitz, der nun wohl an etwas
Anderes >vird denken müssen, als an seinen Offensivposten."
„In Wirklichkeit falsch. Alles falsch, Kreuzschnabel!" —
„In Wirklichkeit längst ausgeführt, Herr Oberst. Hätte
die Geschiitze gar nicht erst da oben hinauf kommen lassen,
vorher längst den Feind gesehen und geschlagen! Denn Sehen
und Verhauen ist bei mir Eins! Weiß es nicht anders, kenne
es nicht anders, Herr Oberst! Habe es nie anders gemacht, auch
ohne Generalstab. Feind gesehen und geschlagen! Alles andere
Opcriren, Strategireu und Manövriren 'ist für die Katze!"
„Dies bedarf der Berichtigung, Herr Oberstlieutenant! Ehe
Sie den Feind sahen, hatten jedesmal bedeutende strategische
Operationen und Manöver stattgefunden, die der Generalstab
zum Zwecke des Sehens veranlaßt hat. Und wie man es
machen muß, um den Feind zu Gesicht zu bekommen, sagt
der Generalstab, wie man in die Lage kommt, um den Feind
richtig zu schlagen, bestimmt der Generalstab, wie man den
Sieg auch ordentlich ausnutzt, kommt vom Generalstab, wie
man nach gewonnener Schlacht für die darbende Armee die
nöthige Atzung herbeischafft, ordnet der Generalstab an, auch wie,
wenn Sie sich durch alles dieses ausgezeichnet haben, Ihr Name
am Besten auf die Nachwelt kommt, besorgt der Generalstab."
„Meinen gehorsamen Dank, Herr Oberst! Alles dies weiß
ich, habe es längst gewußt, erkenne es als richtig an. Es
paßt für die allgemeinen Verhältnisse, paßt aber nicht für
Specialfülle, nicht für den Oberstlieutenant Kreuzschnabel.
Meine Herren! Sie kennen den Kreuzschnabel nicht. Im
Frieden mag er wenig werth sein, das gebe ich zu. Allein,
wenn er im Felde steht, ist er Generalstab und Krieger in
einer Person! — Nein, nein, meine Herren! Sie kennen
den Kreuzschnabel noch lange nicht!"
„Wir kennen ihn!" dröhnte jetzt scharf und schneidig, wie
ein Schwert, die Stimme des plötzlich in der Thürc erscheinenden
stellvertretenden Chefs des Generalstabes, das Antlitz dunkelroth
vor Aufregung, die Augen mit flammendem Ausdruck auf mich
gerichtet, „>vir kennen den unverbesserlichen Kreuzschnabel! Er hat
die ihm anvertrauten Güter schlecht verwaltet und dadurch sein
Vaterland gefährdet! Oberst von Brause! Lassen Sie sofort die
Kriegsspiele abbrcchcn. Die Offiziere des Generalstabes sollen
zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten! . . Uner-
hörtes . . Niedagewesenes ist geschehen! Es fehlen Karten aus der
Plankammer!. . Pläne von der äußersten Wichtigkeit! Darunter
solche von den westlichen Grenzdistrikten! Der Registrator
Wie es dem Oberstlieutenant Kreuzschnabel im großen Generalstabe erging.
So rasch geht das nicht! Zug um Zug . . . und aus jeden
Zug zwei Minuten. Sic verlieren Zeit, Kreuzschnabel und
haben sie schon verloren. Setzen Sie zwei Compagnieen Todte
und Verwundete ab, die Geschütze drüben feuern und richten
gräßliche Verwirrung ans Ihrem rechten Flügel an! Da be-
droht auch von Kotzewitz Ihren linken Flügel durch eine Um-
gehung!" — „Hauptmann Gutrinsky," rief ich meinem Unter-
befehlshaber des linken Flügels zu, „verhindern Sie die Um-
gehung !"■—„Schon besorgt", rapportirte Gutrinsky und schwenkte
die Bleifiguren. — „Warum ziehen Sie Ihre Plänkler so weit
nach links?" —„Weil sie sonst in den See kommen."—„Auch
diese Kolonne steht zu weit nach links!" —„Weil sie den steilen
Abhang nicht passiren und erst weiter westlich, beim nächsten
Zug, absteigen kann." —„Und diese hier, auch die geht nicht
direkt auf den Feind los!"—„Sie ist nach der Brücke abge-
schwenkt, welche über den Fluß führt, in den der See einfließt
und die der Gegner bedroht." — Das mochte Alles richtig sein,
und darum schob ich die bereits verrückten Blcifignren wieder in
die ihnen von Gutrinsky gegebenen Stellungen. — „Gilt als Zug,
gilt als Zug!" keuchte der Leitende dazwischen, „scheinen sich
übrigens mit Kartenlesen nicht viel beschäftigt zu haben, lieber
Kreuzschnabel?" — „Erlauben Sie, Herr Oberst! ich habe in
einer Woche mehr Karten gelesen und auswendig gelernt, als
der Generalstab in einem Säkulum fertig stellen kann. Mein
Schädel ist zu einem ambulanten geographischen Lexikon ge-
worden, das ich jeder Postdirektion mit gutem Gewissen zur
Verfügung stellen könnte." —„Ich verstehe Sie nicht ganz", er-
widerte mit einem verblüfften Gesicht Oberst von Brause, „aber
das kann ich Ihnen sagen, daß Sie zunächst ein Bataillon
Todte und Verwundete abzusetzen haben in Folge der Ver-
wirrnng in Ihrem linken Flügel, die sich auch dem Centrum
mittheilen mußte, gegen welches Major von Kotzewitz, der in-
zwischen die Ucüergangspunkte entdeckt hat, soeben einen Offcnsiv-
stos; führt! Ziehen Sie den moralischen Einfluß in Betracht!"
„Herr Oberst! Die Verwirrung bitte ich aus dem Spiel
zu lassen. So etwas steht nicht in meinem Programm. Und der
moralische Einfluß ist der, daß der Oberstlientenant Kreuzschnabel
an der Spitze marschirt. Und so bin ich längst der Erste
gewesen, welcher in den See gestürzt ist und. meine braven
Jungcns sind mir gefolgt. Nicht Einer bleibt zurück. Das
ist der ganze moralische Einfluß. So . . . und hier sind wir
nun und da steht der Feind. Wir werfen die feindliche
Infanterie nieder, erstürmen den Hügel. Sv! Die Geschütze
sind in unserm Besitz. Wir richten sic auf die Bataillone
des Herrn Major von Kotzewitz, der nun wohl an etwas
Anderes >vird denken müssen, als an seinen Offensivposten."
„In Wirklichkeit falsch. Alles falsch, Kreuzschnabel!" —
„In Wirklichkeit längst ausgeführt, Herr Oberst. Hätte
die Geschiitze gar nicht erst da oben hinauf kommen lassen,
vorher längst den Feind gesehen und geschlagen! Denn Sehen
und Verhauen ist bei mir Eins! Weiß es nicht anders, kenne
es nicht anders, Herr Oberst! Habe es nie anders gemacht, auch
ohne Generalstab. Feind gesehen und geschlagen! Alles andere
Opcriren, Strategireu und Manövriren 'ist für die Katze!"
„Dies bedarf der Berichtigung, Herr Oberstlieutenant! Ehe
Sie den Feind sahen, hatten jedesmal bedeutende strategische
Operationen und Manöver stattgefunden, die der Generalstab
zum Zwecke des Sehens veranlaßt hat. Und wie man es
machen muß, um den Feind zu Gesicht zu bekommen, sagt
der Generalstab, wie man in die Lage kommt, um den Feind
richtig zu schlagen, bestimmt der Generalstab, wie man den
Sieg auch ordentlich ausnutzt, kommt vom Generalstab, wie
man nach gewonnener Schlacht für die darbende Armee die
nöthige Atzung herbeischafft, ordnet der Generalstab an, auch wie,
wenn Sie sich durch alles dieses ausgezeichnet haben, Ihr Name
am Besten auf die Nachwelt kommt, besorgt der Generalstab."
„Meinen gehorsamen Dank, Herr Oberst! Alles dies weiß
ich, habe es längst gewußt, erkenne es als richtig an. Es
paßt für die allgemeinen Verhältnisse, paßt aber nicht für
Specialfülle, nicht für den Oberstlieutenant Kreuzschnabel.
Meine Herren! Sie kennen den Kreuzschnabel nicht. Im
Frieden mag er wenig werth sein, das gebe ich zu. Allein,
wenn er im Felde steht, ist er Generalstab und Krieger in
einer Person! — Nein, nein, meine Herren! Sie kennen
den Kreuzschnabel noch lange nicht!"
„Wir kennen ihn!" dröhnte jetzt scharf und schneidig, wie
ein Schwert, die Stimme des plötzlich in der Thürc erscheinenden
stellvertretenden Chefs des Generalstabes, das Antlitz dunkelroth
vor Aufregung, die Augen mit flammendem Ausdruck auf mich
gerichtet, „>vir kennen den unverbesserlichen Kreuzschnabel! Er hat
die ihm anvertrauten Güter schlecht verwaltet und dadurch sein
Vaterland gefährdet! Oberst von Brause! Lassen Sie sofort die
Kriegsspiele abbrcchcn. Die Offiziere des Generalstabes sollen
zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten! . . Uner-
hörtes . . Niedagewesenes ist geschehen! Es fehlen Karten aus der
Plankammer!. . Pläne von der äußersten Wichtigkeit! Darunter
solche von den westlichen Grenzdistrikten! Der Registrator
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wie es dem Oberstlieutenant Kreuzschnabel in großen Generalstabe erging"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1883
Entstehungsdatum (normiert)
1878 - 1888
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 78.1883, Nr. 1978, S. 202
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg