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Der Feuerreiter.

„So?" sagte eine tiefe Stimme hinter den Beiden. Sie
fuhren erschreckt empor, der Hofbauer stand hinter ihnen. Eine
stattliche, gedrungene Gestalt, mit festen, markirten Gesichtszügen.
Zornröthe färbte sein Antlitz — Marie hielt ihre Schürze vor
die Augen, Fritz, der noch immer die Hand hielt, war so
überrascht, daß er kein Wort hervorbringen konnte.

„So, Mosjeh?" sagte der Hofbauer und hielt dem Jüngling
die Faust unter die Nase. „Er untersteht sich, mir meine Tochter
stehlen zu wollen — hat Er das in der Stadt gelernt?"

„Aber bester Vater —"

„Den Teufel bin ich sein Vater — will Er einen Brumm-
bär zum Vater haben? O ich habe lange schon so was gemerkt
— gelt, heut' Hab' ich Euch erwischt, ihr Vögel! Du Marie,
gehst in's Haus und wenn du den Platz verwendest —* eine
bezeichnende Geberde vollendete den Satz und Marie schickte sich
gesenkten Hauptes an zu gehen; Fritz aber hielt ihre Hand fest.

„Hosbauer", sagte er, „das Mädchen ist mein!"

Dies war dem Alten zu viel — wie der Blitz hatte er
ausgcholt und Fritz mit der flachen Hand einen schallenden
Schlag in's Gesicht gegeben. Der junge Mann ließ die Geliebte
los, wie trunken schaute er eine Secunde mit wirren Augen
ringsum, dann sprang er mit einem Wuthruf einen Schritt
zurück, ergriff einen im Grase liegenden schweren Baumpfahl
und schwang ihn mit beiden Fäusten über dem Haupt des Hof-
bauern. Er würde ihn getöbtet haben, aber mit einem Angst-
schrei war Marie vor den Vater gesprungen und hielt die Arme
hoch empor zur Abwehr. Einen Augenblick stand Fritz regungs-
los, dann sagte er ruhiger: „Hofbauer, daran sollt Ihr ge-
denken!" zerschlug den Pfahl an einem Stamm, daß die Splitter
umhcrflogen und sprang über die Hecke.

„Na, das fehlte mir noch," brummte der Hofbauer, der
nicht gewankt hatte und keinen Schritt gewichen war, „das
fehlte mir noch, solch' einen Thunichtgut und Obenaus zum
Schwiegersohn. Geh'hinein, Mädchen — sieh', wenn du nicht
meine einzige Tochter wärst — aber eher soll cs Feuer regnen
auf mein Dach und mir Haus und Hof abbrenucn, ehe ich
meine einzige Tochter einem Schrcibersjungen gebe!" —

Ungefähr um dieselbe Zeit ging es sehr lebhaft zu in dem
i Harmoniegarten des vom Dorfe etwa anderthalb Stunden ent-
fernten Städtchens. Harmonie nannte sich die geschlossene Gesell-
schaft der Honoratioren aus letzterem und der ganzen Umgegend;
nur Honoratioren, vom pcnsionirten Rittmeister und dem Amt-
mann oben bis herab zum Stcuerschreiber waren harmoniebesähigt
und der gesammte disharmonische Plebs der Kleinbürger und
Bauern streng ausgeschlossen. Einmal wöchentlich, im Sommer
am Sonntag Nachmittag, war große Harmonie. Da fand sich
zum „Kegelvergnügen", zum Solo und Kreuzmariage zusammen
; was von der Honoration nur fahren, reiten und gehen konnte.
AbendS kamen die Weiber und Töchter nach, und dann gab es
ein kleines „Tanzvergnügen". Kurz, des Vergnügens war
: genug zu haben in der „Harmonie."

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Heute war der Gartensaal des Gescllschaftshauses noch viel
besuchter, als gewöhnlich. Rittmeisters hatten mehrere Herren
aus Braunschweig mitgebracht, auch Acciser's brachten fremde
Gäste, — kurz, es waren neue Elemente unter die alten ge-
rathen. Darum dauerte cs auch recht lange, bis Alles in das
gewohnte Geleise gerieth. Nur nach und nach fand sich das
-treue Kegclclübchcn zusammen, das sich ein Paar fremde Ein-
' dringliche, noch dazu vortreffliche Schieber, mußte gefallen
lassen; nach vielem Eiiithcilcn und Suchen hatten sich die
Kartenparthieen arrangirt, und bald war es im Saale ganz
stille, und man hörte nur noch das Klappern der Marken, das
Aufsetzen der Bierkrüge und das Gepaff der Schmaucher, denn
die Honoratioren auf den: Land und in Städtchen rauchen Alle,
und zwar aus Meerschaumkvpfen, oder aus langen Pfeifen mit
hornenen Abgüffcn. Notiz für Solche, welche sich einmal in
eine ähnliche Gesellschaft wagen wollen: Man braucht gerade
nicht an besonders feinen Tabak gewöhnt zu sein, und muß mit-
rauchcn, sonst erstickt man!

Außer den beiden Kellnern, von welchen der Eine an Wochen-
tagen ehrsamer Leinweber, der Andere Faßküper war, befand ;
sich endlich Niemand mehr auf den Beinen, als der Amtmann,
Fritzens Vater. Umsonst hatten ihn seine gewöhnlichen Partner
zu einem Solo zu bereden versucht, er hatte geantwortet, es
leide ihn nicht auf dem Stuhl, er fühle eine mächtige Aufregung
und cs ahne ihm, er werde nicht lange in der Gesellschaft
bleiben dürfen. Jetzt ging er hastig in dem Saale auf unv ab.
Es war ein hagerer Mann, vielleicht 60 Jahre alt, aber außer- !
ordentlich rüstig und lebendig. Seine langen grauen Haare
umsäumtcn ein höchst anziehendes Gesicht, dcffen Lincamentc
Intelligenz und Festigkeit ausdrückten, in deffen grauen, tief-
liegenden Augen ein fast unheimliches Etwas lag, welches
ebenso sehr anzog, als absticß. Er war ganz schwarz, beinahe
altmodisch gekleidet, trug Reitstiefel mit Sporen über den
Beinkleidern, und hielt in der rechten Hand fortwährend eine
Reitpeitsche auf dem Rücken; die linke trug den Mecrschaum-
kopf, dem er mehr Wolken cntblies, als nölhig war. Der
Amtmann stand in der ganzen Gegend im Rufe der unerschüt-
terlichsten Redlichkeit, Geradheit und thcilnehmcndstcn Menschen-
liebe; aber dennoch hatte er nur wenige Freunde, und das
Landvolk fürchtete ihn sogar. Das machte, weil zugleich von
ihm die Sage ging, „er könne mehr, als Brod essen." Inder
That war er als ein halber Zauberer verschrieen. Er fanv
jeden Dieb heraus, und hatte er ihn gefunden, und ihm eine
Minute in die Augen geschaut, so vermochte auch der hart-
näckigste Verbrecher nicht mehr zu läugnen. Wenn irgend ein
Gegenstand auf unerklärliche Weise vermißt ward, so fand gewiß
der Amtmann ihn auf, und wenig hätte gefehlt, er wäre der
gefährliche Rival des Wascnmeisters geworden, der den Haus-
arzt in den Ställen der Laiidlcutc mit vielem Erfolg für sich
selber spielte.

(Fortsetzung folgt).

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