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130 Auch ein Menschenfreund.

M e i n e Tischnachbarin.

(Schluß.)

Das Eis war gebrochen. Unser ferneres Gespräch war nicht
ernst, im Gegentheil, die Baronesse wurde sehr lebhaft und lustig;
auffällig war mir nur, daß Großpapa Excellenz und Papa Oberst
ihr, was ich sonst nie bemerkt hatte, mit verständnißinnigem Blick
zutranken, daß die Baronin Zieritz dies ebenfalls that und, nach-
dem mich ein Blick gestreift hatte, bedeutungsvoll über den Tisch
ffüsterte: „Que nous aimons", und daß Alice dabei wie mit
Glut übergossen schien und später lange Zeit brauchte, um eine
gewisse Befangenheit los zu werden. Man schien also schon allseitig
bemerkt zu haben, daß ich endlich Feuer fing.

Ja, ich hatte Feuer gefangen. Am folgenden Tage ging ich
wie im Traume umher; ich rang nach einem Entschluß. Dabei
durchschritt ich, was ich noch nie seit dem Tode meiner guten
Mutter gethan hatte, mein schönes, altes Haus von oben bis unten.
In dem großen Südzimmer, in dem ich als Bube mit meinen
älteren Schwestern gespielt, bekam ich sentimentale Anwandlungen

— das würde auch einmal das Spielzimmer meiner Kinder sein;
dann kam das Schlafzimmer meiner Eltern mit dem mächtigen
Betthimmel von irischem Mousseline und den gewaltigen Garderobe-
schränken — es war im ganzen ersten Stock so geblieben, wie es
einst gewesen —, das Boudoir mit der geradlinigen Einrichtung aus
hellpolirtem Ahornholz und den großen Basen aus Nymphenburger
Porzellan und endlich der altmodische Salon mit den nachgedunkelten
Mahagonimöbeln und den Ueberzügen und Vorhängen aus gelben:
Seidendamast.

Als ich wieder in meinem Zimmer war — ich bewohne die
Hellen Parterreräume hinter dem Vorgarten — brachte der Diener
eine Einladung zum Souper bei Alicen's Excellenz-Großpapa. Aha

— da war die Gelegenheit — ich würde sie wieder zu Tisch führen

— mich erklären — und ehe es Lenz geworden, würde Alice hier
einziehen als Hausfrau — ich wurde ganz weich — das Vorgärtchen
fottte wieder an gepflanzt werden, wie zur Zeit meiner Mutter —
im März schon sollten Krokus, Hyazinthen und bunte Tulpen hier
blühen, und dann in jedem Monat ein neuer Blüthenflor. Als ich

Meine Tifchnachbarin.

zu mir kam, erschrack ich; ich war ernstlich verliebt. Ach Thorheit!
Verliebt in Alice, in meine lästige Tischnachbarin? Und doch, ich
war es wirklich; den letzten Beweis lieferte ich am Nachmittag, wo
ich zum Thee zur Baronin Zieritz gehen wollte und dann plötzlich
den Muth nicht hatte, einzutreten. Als ich später Frau von Andorf
traf, flüsterte ich ihr nur geheimnißvoll zu: „Sie sollen mit mir
zufrieden sein."

Endlich kam der Abend, an dem ich sie wieder sehen sollte. Ich
machte gewähltere Toilette als sonst, steckte, um etwas jugendlicher
zu erscheinen, eine Rosenknospe in's Knopfloch, denn immerhin, ich
war sechzehn Jahre älter als sie. Für Alice bestellte ich in aller
Eile einen Strauß frischer Maiglöckchen. Dann stand ich ihr gegen-
über, reichte ihr die Blumen und drückte ihr die Hand.

„O diese Liebenswürdigkeit!" rief sie sichtlich überrascht.

„Es ist eine nachträgliche Huldigung; wir haben ja vor acht
Tagen ein Jubiläum gefeiert," meinte ich vertraulich.

„Wir?" fragte sie erstaunt, „wir Beide?"

„Ja freilich, wir Beide; es war drei Jahre her, daß wir zum
ersten Male Tischnachbarn gewesen!"

„O das wissen Sie so genau?" fragte sie lachend und verbarg
ihr erröthendes Gesicht in den duftenden Maiglöckchen, wobei sie
jedoch forschend umherspähte, als wollte sie sich vergewissern, daß
es Niemand gehört habe.

„Natürlich habe ich heut wieder das Glück" —

Jetzt stieg ihr tiefe Glut iu die Wangen und sie war in ihrer
Verlegenheit und mädchenhaften Schamhaftigkeit ganz entzückend;
ich war nur erstaunt, daß ich alle ihre Reize nicht schon früher
gewürdigt hatte. Aber die Antwort, die ich erwartet hatte, blieb
aus, das seit drei Jahren natürliche „natürlich" kam nicht, sie
flüsterte etwas wie, „ich weiß nicht — ich glaube", und sah dabei
wie hilfesuchend umher.

Ein heftiger Schreck durchfuhr mich. „Sollte gerade heute eine
Aenderung beliebt worden sein?" fragte ich peinlich berührt.

„Großpapa meinte —", sagte sie stockend; da kam Großpapa
gerade vorbei.

„Wen führt denn der Graf zu Tisch?" fragte sie.

„Natürlich Dich," ineinte Excellenz, ohne erst den Zettel anzu-
sehen, den er in der Hand hielt.

Ich athmete auf; Alice aber schien mir über die Antwort fast
erschrocken zu sein; sie flüsterte dem alten Herrn mit übertriebener
Wichtigkeit etwas in's Ohr, er lächelte listig und flüsterte ebenso
einige Worte zurück — nun lächelte sie.

„Also doch, natürlich Sie," sagte ich, sie mit leuchtenden Augen
anseheud; am liebsten hätte ich ihr nrein Herz schon jetzt enthüllt,
aber wir konnten jeden Augenblick unterbrochen werden. Später
bei Tisch, wenn Alles mit sich selbst und seinen Nachbarn beschäftigt
war, vielleicht bei der Mehlspeise!

Excellenz war sehr aufgeräumt und die Anzahl der Geladenen
auffallend groß; namentlich bemerkte ich viel junge und sehr junge
Leute, die ich hier noch nicht getroffen hatte, darunter einen Baron
Geldern, einen reichen Gutsbesitzer aus Franken, der soeben den
ersten Fasching bei uns vertanzte. Er saß bein: Souper auf der
anderen Seite neben Alice und hatte sonderbarer Weise Frau von
Zieritz geführt, ein Glück, um das ich ihn nicht weiter beneidete.
Alice war heut still und schien mir in einer etwas nervösen Er-
regung zu sein; mir war es fast, als ahnte sie, was ihr bevorstand.
Ich sprach indessen auch wenig und überlegte, wie ich ihr's sagen
sollte — möglichst einfach selbstverständlich, ohne allen Phrasen-
aufputz, sie war viel zu gescheidt, als daß ich ihr gegenüber hätte
Redensarten machen können. Das Herz klopfte mir doch gewaltig,

I
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Auch ein Menschenfreund"
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Serientitel
Fliegende Blätter
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

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Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
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Fliegende Blätter, 93.1890, Nr. 2359, S. 130
 
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