Fliegende Blätter (94.1891 (Nr. 2371-2396))

Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst-
c>i Handlungen, sowie von allen Postämtern und
Zeitungs-Expeditionen angenommen.
Erscheinen wöchentlich ein Mal.

3391

Preis des Bandes (26 Nummern) M. 8.70. Bei direktem
Bezüge p e r K r e u z b a n d: für Deutschland und Oesterreich 04
^ 7.S0, für die andere» Länder des Weltpostvereins ^ 8.—
Einzelne Nummer SO Jj.

(Alle Rechte für sämmtliche Artikel und Illustrationen Vorbehalten.)

1492.

Eine Eisenbahn-Episode. Bon Arthur Achleitner.

at eine Eisenbahnver-
waltung alte ausge-
fahrene Personen-
wagen mit niedrigen
Nummern, dann
glaubt sich jeder
Passagier verflichtst,
über diese „Schlam-
perei" und die
knickerige Direction
loszuwettern. Sind
dagegen neue Wag-
gons mit schwellen-
den Polstern, Gas-
beleuchtung, Dampf-
Schutzgitter gegen Ruß und Fliegen, Toilette ver-
sehen, so ist auch noch nicht Alles zur völligen Befriedigung
der Fahrgäste gethan, denn man schimpft dann über die unan-
genehm hohen Wagennummeru und daß ein Mnemotechniker dazu
gehört, selbe bei etwaigem Stationsaufenthalt und Besuch der
Bahnrestauration im Kopf zu behalten, was zur raschen Auf-
findung des innegehabten Coupes bei einem langen Courierzug
unbedingt nöthig ist.

Die „zwölsstündigen Bewohner" des Coupes v Waggon
Nr. 1492 im Schnellzug 255 München —Wien erörtern dieses
Thema mit allen Einzelheiten, seit sich den drei Reisenden
in Papier, Kattun und Gummi ein biederer Schwabe im

IM

Münchener Cxntralbahnhof zugesellt hat. Zwar meinen die
Muster-Reisenden, die Sache wäre nicht so gefährlich und wer
viel reist, erwirbt die Fähigkeit des Nummernmerkens bald. Aber
der Schwabe von der württembergischen Grenze „ischt" von der
kulturverbreitenden Eisenbahn zu weit entfernt und er reist zu
wenig, daher er die Mnemotechnik zum Kuckuck wünscht. Wenn
er nicht erbschaftshalber nach der Kaiserstadt an der Donau
müßte, kein lebendiger Mensch brächte ihn in dieses Sodom.
Und dann dieses Drängeln des Wiener Notars, so daß er
auch noch den theuren Schnellzug benützen muß!

Eine Viertelstunde nachdem sich der Zug in Bewegung
gesetzt — just bei der Einfahrt in den Ostbahnhof, verspürt
Herr Dämpfte bereits eine Oede in seinem Magen, welche die
Sehnsucht nach Sauerbraten mit Spätzle auskeimen ließ. Die
Drei von Papier, Kattun und Gummi konnten Herrn Dämpfie
nur den einen Trost spenden, daß in Rosenheim knappe fünf
Minuten Zeit zur Requirirung von heißen Würsteln und Bier
dem Reisenden behördlicherseits gegönnt seien. Das ist doch
ein Trost — wenn auch ein schwacher!

Nur fünf Minuten und diese hohe Wagennummer! Herr
Dämpfte schließt die Augen, um sich die ominöse Zahl 1492
kräftiger in das Gehirn zu prägen, allein wie ihn der Herr
in Gummi nach derselben fragt — Herr Dämpfie weiß sie
nimmer. Herr Dämpfte schwitzt vor Aufregung — weiß der
Himmel, wie es ihm in Rosenheim ergehen wird!

Ein Hoffnungsstern winkt am wolkenlosen oberbayerischeu
Himmel. Der Reisende in Kattun erinnert sich, daß im Jahre
1492 irgend etwas von Bedeutung los gewesen sei — aber
was? Der dreißigjährige Krieg war es nicht, auch nicht die
Erbauung Karthagos durch die Spartaner — aber los war
was. Die vier Passagiere studiren eisrigst nach, was sich im

S1