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Die St.-Stephanskirche in Wilhelmshaven-Fedderwarden — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 1: Hameln: C.W. Niemeyer, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.57438#0037
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des Goslarer Codex110) führt zurück zur oben begonnenen allgemeinen Vergleichs-
kette, die auch zur zisterziensischen Glasmalerei führt. Durch das Färb- und Figuren-
verbot für Fenster waren die Zisterzienser gezwungen, auf Ornamentscheiben auszu-
weichen und diese zu kultivieren.
Sie stellten sich dabei nicht außerhalb der allgemeinen Entwicklung: In Deutschland
wurde etwa bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts die reiche Formensprache der
Spätromanik beibehalten. Band- und Rankengeflechte aus einem weitgehend nicht ve-
getabilen System einander durchdringender Schlingen und Schlaufen, die im übrigen
formal identisch in weit voneinander entfernten Klöstern begegnen und wohl auf ge-
meinsame Vorlagen zurückzuführen sind, lassen sich als eine besonders häufige
104, 105 Grundform zisterziensischer Glasmalerei identifizieren111). Allerdings sind - wie
oben erwähnt - Ranken dieser Art weder an eine bestimmte Kunstgattung noch spe-
ziell an den Orden der Zisterzienser gebunden. Man denke etwa auch an ostfriesische
158 Taufsteine des 13. Jahrhunderts (Nesse/Aurich, Aurich-Middels), die als oberen Ab-
schluß reich entwickeltes Rankenwerk aufweisen.
24, 25 Gleiches gilt auch für den herzförmigen Palmettenstreifen der Fedderwarder Ost-
joch-Rippen. Er findet sich zwar auch in zisterziensischer Buchmalerei, beispielsweise
106 der I-Initiale der Bibel von Clairvaux (Bibi. Troyes, Ms. 27/1 und 27/2). Allerdings
85 wird hier auch eine - zumal in westfälischen Gewölbemalereien (Wormbach, Alten-
beken, Soester Hohnekirche) - sehr gebräuchliche Ornamentform tradiert (Krumm-
107-110 hörn-Eilsum, Weener-Stapelmoor), die darüber hinaus auch in anderen Kunstgattun-
gen zu beobachten ist: auf Altarretabeln („Kreuzigung“ aus der Wiesenkirche in
Soest. Berlin-Dahlem, um 1240; „Diakon Stephan“ von der Rückseite eines Retabels
aus dem Wormser Dom. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, um 1250); dann auch
111 plastisch ausgeformt, etwa an den Chorschranken von St. Michael in Hildesheim, dort
auch an den Arkadensäulchen.
161, 162 Ebenfalls in Krummhörn-Eilsum (Aurich) ruht die Mandorla des Weltenrichters in
der Apsis auf einem Palmettenfries, wie er - allerdings geschichtet - im südlichen
28, 29 Schildbogen des Fedderwarder Ostjochs vorkommt. Auch hier muß auf eine breite
Überlieferung hingewiesen werden und vor allem auf Buchmalereien, etwa das Psalte-
143 rium des Landgrafen Hermann von Thüringen, in dem das Motiv im Jüngsten Gericht
zu finden ist. - Die offensichtliche Häufigkeit des Motivs im Zusammenhang mit Dar-
stellungen himmlischer Visionen spricht dafür, es als ornamentales Kürzel für die
Wolken zu deuten, über denen das Transzendentale erscheint.
9, 18 Besonders schön ist es den Künstlern in der Fedderwarder Kirche gelungen, die Ge-
26 wölberinge zu gestalten. Vorbilder für das lappige, kreuzförmig eingelegte Blattwerk
82 gab es bereits in Weener-Stapelmoor (Leer) und Krummhörn-Eilsum (Aurich), dort
112-114 am ehesten auf rheinische Vorbilder (Limburg, Dom) zurückzuführen. In Fedder-
warden ist allerdings wiederum eine Straffung der Formen zu beobachten, die sie von
ihnen grundsätzlich unterscheidet. Eher als in den genannten Kirchen, in denen das
Vegetabile erkennbar bleibt, knüpfen die schematisierten Zungen- und Palmettenblät-
ter in Fedderwarden an Blattwerk nordfranzösischer Provenienz (Laon, Kathedrale)
an, das meist unter zisterziensischem Einfluß nach Deutschland übertragen wurde. Es
98, 115 sei hier an die streng stilisierten Blattkränze der Marienfelder Kapitelle erinnert.
Gleichzeitig wecken die dicht kreisenden, in wechselnden Farben angelegten Blätter,
die durch ein dünnes Gerüst weißgrundiger Stege eingefaßt sind, Assoziationen zu
Fensterrosen französischer Kathedralen (Paris, Notre Dame). Auch die Kenntnis mo-
tivvereinfachender textiler Werke, beispielsweise einer sächsischen Stickerei mit Sze-
nen aus dem Neuen Testament (ehemals Berlin, Schloß-Museum), die Rosetten mit
vereinfachtem Blattwerk zeigt, ist nicht auszuschließen.
Hält man sich den Ornamentschatz in Fedderwarden vor Augen, fällt der die Gurte
begleitende Bänderfries als durchaus ungewöhnlich gegenüber dem sonst auf vegeta-
bile und geometrische Grundformen zurückzuführenden Formenapparat auf. Er ver-
weist auf den großen Vorbildbereich der Goldschmiedearbeiten, auf die wechselnd
mit Stein- und Zellenschmelzbesatz versehenen Rahmen von Einbanddecken und Re-

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