Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitung der 10. Armee — Wilna, 2.Oktober - Dezember 1917

DOI Heft:
Hefte 401-402, 30.-31. Oktober 1917
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12997#0004
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
thers Vorgang eine deutsche Familie. Was
der Reformator an der Volksschule und an
der gelehrten Schule getan, die er endlich
verweltlichen half auf der christlichen Grund-
lage, wer wollte es in kurzem Wort aus-
schöpfen ? Der Protestantismus und der Hu-
manismus schlössen einen Bund fürs Leben.
Luther schuf seinem Volk mit seiner deut-
schen Bibel die Einheit der Schriftsprache,
wie er den Protestanten das neue Kirchen-
lied schenkte.

Weit über sein eigen Erleben und Ver-
stehen hinaus hat dieser mannigfach mittel-
alterlich gebundene Professor in Wittenberg
die Geister befreit; die Theologie und Reli-
gionswissenschaft gründet ebenso auf ihn wie
die Welt- und Kulturgeschichte. Sind Les-
sing und Herder, sind Goethe und Kant denk-
bar ohne" Luther? Vom Wandel in der Natur-
anschauung war die Rede — hätte Luther
diese sich mählieh entfaltende neue Welt ge-
schaut wie Mose das gelobte Land vom Berge
Nebo, er wäre vor freudigem Schreck ge-
storben. Neben die romanisch-katholische
tritt die germanisch-protestantische Kunst in
der Musik und in der Dichtung, in Luthers
Sprache die Volksgenossen berufend zum
Adel und zur Würde gottgeborener Menschen.
iLuther kam — darum kamen Bach und Beet-
hoven und Rembrandt. Nicht alles hat Luther
erreicht, was er wollte; vieles mißriet oder
schlug seinen eigenen Weg ein. Doch einer
solchen Naturgewalt des Geistes mag nie-
mand gebieten; die Jahrhunderte verarbeiten
allmählich ihre befruchtende und ihre ver-
heerende Wirkung. Am wenigsten- war der
deutsche Reformator eine sogenannte harmo-
nische Persönlichkeit; sein Geist war zweier
Zeiten Schlachtgebiet — mich wundert nicht,
sagt C. F. Meyer von ihm, daß er Dämonen
sieht . . <

Die wirtschaftliche Notlage
Frankreichs und Rußlands

Trotz den schlechten Erfahrungen, die
Frankreich mit seinen bisherigen inneren An-
leihen gemacht hat, will es nun doch noch ein-
mal den Versuch wagen. Der Grund ist aller-
dings zwingend. Denn von 40 Milliarden
Franken, die vom h 1. bis 31. 12. 1917 für den
Krieg ausgegeben sind, sind rund 34 Milliar-
den Franken schwebende Schulden! Mit an-
deren Worten: Frankreich hat fast den gan-
zen Krieg für dies Jahr auf Kredit geführt,
wozu auch die 12 Milliarden Franken gehö-
ren, die die Bank in Frankreich der Regierung
»vorgestreckt4 hat. Die neue Anleihe ist auf
10 Milliarden Franken zu 4 v. H. festgelegt
und soeben von der Kammer genehmigt wor-
den. Aus den Bestimmungen geht hervor, daß
es sich in der Hauptsache darum handelt,
einen Teil der schwebenden Schuld umzuwan-
deln. National Verteidigungsstücke dürfen in
Zahlung gegeben werden, ebenso 3%.- (und
5zinsige Rente. Da wird nicht viel neues Geld
herauskommen, denn der Zweck der Uebung
ist zu offenkundig: einmal soll der Markt von
schwebenden Schulden entlastet, dann aber
auch der außerordentlich tiefe Kurs der fran-
zösischen Rente gehoben werden. Wer sich
darüber unterrichten will, wie die Verbünde-
ten, besonders England, die geldwirtschaft-
liche Lage Frankreichs einschätzen, darf nicht
die künstlich gehaltenen Wechselkurse heran-
ziehen. Deutlicher kommt das im Kursstand
der französischen Rente auf dem Londoner
Markt zum Ausdruck. Dreizinsige Rente no-
tiert nur 54, die fünfzinsige 79. Ungleich
günstiger stehen dafür die anderen Länder im
Kurse, besonders die skandinavischen und
südamerikanischen Staaten. Die 3V2zinsige
Anleihe Uruguays wird mit 71 bewertet, also
um 18 v. H. höher als die 3l/2zinsige französi-
sche Rente! Bei dieser Gelegenheit sei noch
angemerkt, daß Frankreich seine Staatsschuld
während des Krieges um 80 Milliarden Fran-
ken vermehrte. Sie beträgt gegenwärtig rund
110 Milliarden Franken, fast die Hälfte des
gesamten französischen Volksvermögens, wo-
bei die Entwertung durch den Krieg nicht voll
angerechnet worden ist.

Geradezu jammerhaft sind im Vergleich zu
9er deutschen Finanzgeschlossenheit die Fi-
nanzverhältnisse in Rußland. Sie eilen un-
aufhaltbar einem Zusammenbruch zu. Das ist
für Rußland um so bedenklicher, als die bis-
herigen Kredite, die ihm die Verbündeten ge-
währt haben, zu einer geradezu knechthaften
wirtschaftlichen, Abhängigkeit Rußlands vom
Verband geführt haben. Rußland sieht sich
nun in der elenden Lage, einen sehr großen
Teil seiner natürlichen Reichtümer an den
Verband abgetreten und dafür noch nicht ein-
mal die Sicherheit seiner Kriegfinanzierung
erhalten zu haben. Wer Gelegenheit hat, in

Der Dreibund

Zelobnnng von üefr. Fred Hendrlo*

wiederhergestellt

die Einzelheiten dieses unerhörten Erobe-
rungsfeldzuges Einblick zu nehmen, der
staunt, daß ein großes Reich sich eine derarti-
ge Vergewaltigung hat bieten lassen. Kohle,
Eisenerze, Silber, Gold, Aluminium, Petro-
leum, Wald, reiche Getreidestrecken, wichtige
Bahnlinien, Schiffswerften, Banken, Fertig-
fabriken, Häfen und andere Umschlagplätze,
alles das ist heute in Händen des Verbands,
besonders der Vereinigten Staaten und Eng-
lands. Auch Japan ist im Osten Rußlands
wesentlich an dieser Beschlagnahme beteiligt.
Die Eroberung der Inseln im Rigaischen
Meerbusen durch deutsche Truppen hat we-
nigstens an der Ostsee der russischen Knech-
tung durch England rechtzeitig ein Ende
bereitet. Wo das Kapital des Verbands nicht
allein genügend Sicherungen schaffen konn-
te, haben die Verbündeten Rußlands sich nicht
gescheut, Truppen hinzustellen, die den
Uebergang des Eigentums sichern sollen. Die-
ser ganze Raubzug wurde zur ,Befreiung Ruß-
lands vom deutschen Wirtschaftseinfluß' un-
ternommen. Aber Deutschlands Kapitalein-
fluß in Rußland ist nicht im geringsten der-
art gewesen wie der des Verbands. Für die
Unterbringung der russischen Freiheitsanleihe
haben die Verbündeten nichts getan. Wohl
aber haben sie den sinkenden Rubel in unge-
heuren Mengen eingeramscht und kaufen nun
die russische Wirtschaft zu Schleuderpreisen
auf. Schon im Frühling 1917 schrieb das
Stockholmer Aftonblad, daß England seine
Fangarme bis nach Sibirien ausgestreckt ha-
be. Man berechnet das Naturalguthaben Eng-
lands in Rußland heute auf weit über 10 Mil-
liarden Rubel. Mehr als die Hälfte des ge-
samten russischen Volksvermögens ist vom
Krieg und besonders von den Verbündeten
Rußlands aufgeschluckt worden. Die russi-
schen Volksmassen kennen diese Entwicke-
lung nicht. Hätten sie Kenntnis davon, so
würden sie den Krieg nicht einen Tag weiter-
führen wollen.

King Stephen im Nördlichen Eismeer

Die norwegische Zeitung Finmarkposten mel-
det unter dem 7. 9. 1917: „Ein neues Drama spielte
sieh Anfang dieser Woche wieder im Nördlichen
Eismeer ab, indem der englische Dampfer Olive
Brauch mit Munition beladen, von England nach
Archangelsk, von einem deutschen Uboot torpe-
diert wurde. Olive Branch war 6000 Tonnen groß
und hatte eine Besatzung von 45 Mann. Alle Mann
kamen in die Boote, und als sie 150 m vom Schiffe
entfernt waren, explodierte das Schiff mit einem
fürchterlichen Knall. Eisen- und Stahlstücke
sausten den Schiffbrüchigen um die Ohren und
ein Eisenstück fiel in das Boot, jedoch ohne Scha-
den anzurichten. Das Uboot, das gewiß nicht
wußte, welche gefährliche Ladung Olive Branch
an Bord hatte, blieb in Ueberwasserstellung in der
Nähe des Schiffes liegen, als eine Explosion statt-
fand. Das Uboot sank augenblicklich. Die Explo-
sion war fürchterlich. Ungefähr 15 Minuten lang
war es ganz dunkel, und als die Leute in dem Boot
wieder sahen, waren viele von dem Pulverschlelm
ganz schwarz geworden. Wie gesagt, das Uboot
sank, und drei Mann seiner Besatzung kamen
schwimmend mit dem Revolver im Munde zu den
englischen Rettungsbooten heran und baten um
Aufnahme. Olive Brandis Kapitän wollte sie auf-
nehmen; die Mannschaft verweigerte es aber, an-
geblich weil die Deutschen Revolver hei sich hat-
ten. Sie blieben, wo sie waren. Die drei Deutschen
hatten dasselbe Schicksal wie ihre Kameraden;
sie mußten mit ihrem Leben büßen."

Das Verhalten der englischen Schiffsbesatzung
erinnert lebhaft an das Verhalten des Kapitäns
des englischen Dampfers King Stephen, der be-
kanntlich die Besatzung des abgeschossenen und
auf dem Meere treibenden Zeppelin-Luftschiffes
L19 in Seenot umkommen ließ mit der Begrün-
dung, die schiffbrüchigen Deutschen könnten be-
waffnet sein und würden dann die Besatzung des
King Stephen überwältigen können. Es spricht für
den Niedergang des englischen Seemannsgeistes,
daß ein englischer Kapitän eine derartige, durch
die Umstände In keiner Weise gebotene Grausam-

keit mit dem trockenen Eingeständnis der Feig-
heit entschuldigt.

Wundernehmen darf jedoch der in diesem
Kriege so oft zutagegetretene Zerfall englischer
.Ritterlichkeit' nicht, wenn die englische Re-
gierung derartige traurige Helden noch mit hohen
Orden auszeichnet. So wurde, wie jüngst die
Times meldete, der Orden für ausgezeichnete Ver-
dienste für sein Verhalten in dem Seegefecht an
der flandrischen Küste vom 15. 6. dem Korvetten-
kapitän Hubert Henry de Burgh verliehen, dessen
Mannschaft die Ueberlebenden des nach tapferer
Gegenwehr gesunkenen und bis zum letzten
Augenblick feuernden deutschen Torpedobootes
S 20 mit Seitengewehren und Hölzern zurück-
schlug, als sie sich an ihrem Kutter festhalten
wollten und um Rettung baten. Der Baralong-
Fall ist ebensowenig eine Ausnahme wie der des
King Stephen oder des Olive Branch, sondern ein
natürlicher Ausdruck des im Zerfall begriffenen
englischen Volksgeistes.

Deutscher Heeresbericht

vom 23. OKtober
Westlicher Kriegschauplatz

Heeresgruppe Kronprinz RuppreohS:
In Flandern war die Feuertätigkeit längs der
Yser-Niederung wiederum stärker als früher, ins-
besondere bei Dixmuden. Zwischen Blankaart-
See und der Straße Menin-Ypern schwoll der Ar-
tilleriekampf zeitweilig zu großer Heftigkeit an.
Morgens griff der Feind an der flachen Einbruch-
steile südwestlich des Houthoulster-Waldes er-
neut an, ohne größere Vorteile als am Vortage zu
erzielen.

Heeresgruppe Deutscher Kronprinz:
Am Oise-Aisne-Kanal verstärkte sich die Feuer-
tätigkeit bei Brancourt und Anizy le Chateau.
Nachmittags stießen starke französische Kräfte
tief gegliedert am Chemin des Dames östlich von
Filain und nordwestlich von Braye gegen unsere
Linien vor; sie wurden überall blutig abgewiesen.

— Bei Souain, Tahure und Le Mesnil in der Cham-
pagne führten unsere Stoßtrupps erfolgreich Un-
ternehmungen durch. — Auf dem östlichen Maas-
ufer unterhielten die Franzosen starkes Feuer auf
die von uns im Chaume-Walde kürzlich gewonne-
nen Gräben.

Auf dem

Oestliebsa Kriegschanplatz
und an der
Mazedonischen Front
keine größeren Kampfhandlungen.

Italienische Front

Die schnelle Weiterführung des gemeinsamen An-
griffs am Isonzo brachte auch gestern volle Er«
folge. Italienische Kräfte, die unseren Divisionen
den Austritt aus dem Gebirge zu verwehren such-
ten, wurden in kraftvollem Stoß zurückgeworfen.
Abends drangen deutsche Truppen in das bren-
nende Cividale, die erste Stadt in der Ebene, ein.

— Die Front der Italiener bis zum Adriatischen
Meer ist ins Wanken gekommen; auf der ganzen
Linie sind unsere Korps im Nachdrängen. Görz,
die in der Isonzoscb lacht viel umkämpfte Stadt,
ist heute früh von österr.-ungarischen Divisionen
genommen worden! Die Zahl der Gefangenen ist
auf mehr als 80000 gestiegen, die Zahl der Ge-
schütze hat sich auf mehr als 600 erhöht.

AbendbericKt

Die italienische zweite und dritte Armee sind
im Rückzüge nach Westen. Unsere Verfolgung
ist vom Gebirge bis zum Meer in schnellem Fort-
schreiten. An Gefangenen sind bis jetzt 100 000, an
Geschützen über 700 gezählt.

Heeresberichte der Verbündeten

Oesterreich-Ungarn

29. Oktober
Italienischer Kriegschauplatz

Am 24. firüh begannen die Österreich-ungari-
schen Streitkräfte des Generals von Below und der
Nordflügel der Heeresgruppe des Generalobersten
von Boroevic ihren Angriff. Gestern am Abend
des fünften Scblachttajres, war alles Gelände zu-
rückgewonnen, das uns der Feind — jeden Qua-
dratkilometer mit etwa 4500 Mann Verlust er-
kauft — in elf blutigen Schlachten mühsam abge-
rungen hat.

Auf der Karsthochfläche stießen unsere Trup-
pen, den Monte Micheke nehmend, an den Isonzo
vor. Unsere Abteilungen setzten über den hoch-
gehenden Fluß.

Görz wurde im Straßenkampf gesäubert, die
Podgora spät abends erstürmt. Der Raum von
Oslavija. der Monte Sabotino und die Höhe von
Kordaro bildeten den Schauplatz von mitunter
sehr heißen Kämpfen. Jeglicher Widerstand der
Italiener war vergeblich. Die Verfolgung des in
großer Verwirrung zurückweichenden Feindes
führte uns über Cormons und den Monte Quarln.

Deutsche und Österreich-ungarische Truppen
stehen vor Üdine.

Auch Im Gebirgslande nordwestlich von Civi-
dale sind wir in raschem Fortschreiten begriffen.

Die italienische Kärntener Front ist in den
wichtigsten Abschnitten erschüttert. Im Schnee
und Sturm entrissen unsere Truppen dem Feinde
die in VA Jahren ausgebauten Grenzstellungen
südwestlieh von Tarvis, bei Pontafel, im Plöcken«
Gebiet und auf dem Großen Pal.

Das rasch alle Hindernisse brechende Vordrin-
gen der Verbündeten macht es unmöglich, über di«
 
Annotationen