A
EOBACHTER
Nummer 85 Beilage zur Armeezeitung 4. Nebelung (November) 1917
Hundert Jahre Serbien
Van (W* Widenbsuer
... Ppn, Ar'stoß zum Auflösungsprozeß dos!
torki»cheD Reiches-auf der BalkauhalbinseJ
f£ni l .'ra Voriff«> JahrL.un.lorl die Serben,
diech • i-en 8ich auf' Anitiften des Klerus
e cnnstlichen Serben gegen den Steuerdruck
*W^lorte auf, und bald flammte, von Ruß-
end ermuntert, unter Anführung des tapfe-
ren Ueorg Petrovic, genannt Czerny Kara-
georg, ein allgemeiner Aufstand auf, der zur
■^rKtunnung Belgrads und spater zum Kriege
•Kußlands gegen die Türkei (1809—1812) führ-
te. Nach anfänglichen Niederlagen trug
schließlich Rußland den Sieg davon. Im Frie
den von Bukarest, am 12. 5. 1812, erhielt Ser^
bien Amnestie und Selbstverwaltung unter
dem Woiwoden Karageorg zugesichert. Ein
Versuch der Türkei, während der Befreiungs-
kriege ihre Oberherrschaft wieder geltend zu
machen, scheiterte. Wohl drängte sie Kara-
georg auf österreichisches Gebiet; aber die
harte Bestrafung der Rädelsführer führte
Palmsonntag 1815 zu einer neuen Erhebung
unter Milos Obrenovic. Den Türken blieb
schließlich nur der Besitz der Festungen, und
so gaben sie nach. Am 6. 11. 1817 wurde Milos
Ton Bischof, Woiwoden und Volk feierlich
als Oberhaupt anerkannt und von der Pforte
bestätigt, nachdem der eigentliche Urheber
des BefreiungsWerkes im Januar 1817 ermor-
det worden war.
Der 6. 11. ist somit der Geburtstag der
Serbischen Unabhängigkeit. Doch er bedeu-
tete für das Serbenvolk lediglich die Ab-
echüttelung der türkischen Gewalt: die Selbst-
verwaltung blieb auf dem Papier stehen.
Denn in Wirklichkeit regierte Milos noch
willkürlicher als der ärgste türkische Pascha.
Ohne jede Volksvertretung, bereicherte sich
durch Handelsmonopole und hielt seine Wi-
dersacher mit blutiger Strenge nieder, na-
mentlich seit der Friede von Adrianopel 1829
ihn in seiner Würde bestätigt und das Schutz-
iverhältnis Serbiens zu Rußland und der Tür-
kei geregelt hatte. Solange Milos russenfreund-
lich blieb, ließ ihn der Zar ruhig gewähren;
als aber der englische Konsul in Kragujevac,
pen zurück; noch immer wehte aber die tür-
kische Fahne neben der serbischen auf der
Zitadelle Belgrads als Zeichen der türkischen
Oberhoheit. Am 10. ß. 1868 fiel Michael einem
Anschlag zum Opfer. Die Nationalversamm-
lung wählte den einzigen noch lebenden
Obrenovic, den erst 14jährigen Milan, zum
Oberhaupts. Dieser, in Paris erzogen, stand
anfänglich unter einer Regentschaft, die dem
Lande eine freiere Verfassung gab, die Dy-
nastie Obrenovic auch in weiblicher Linie für
thronfolgeberechtigt erklärte und die Kara-
georgevic für immer vom Throne ausschloß.
Am 22. 8. 1872 übernahm Milan, für voll-
jährig erklärt, selbst die Regierung. Er war
ein begabter, aber sittlich haltloser Mann, der
mit seiner russischen Gemahlin Natalie in
fortwährenden Ehehändeln lebte und so sein
Ansehen schwer schädigte. In der äußeren
Politik neigte er zu Oesterreich hin, in der in-
neren lebte er in stetem Kampf mit den Ra-
dikalen, denen gegenüber er seine monarchi-
schen Rechte zäh verteidigte. Unter ihm er-
langte Serbien zunächst wichtige äußere Er-
folge. Der bosnische Aufstand von 1875 fand
in Serbien einen lebhaften Widerhall und
führte am 2. 7. 1876 zur Kriegserklärung Ser-
biens gegen die Türkei, gemeinsam mit Mon-
tenegro. Man schwärmte für ein Großserbien
und fand hierbei die Unterstützung der all-
slavisehen Kreise Rußlands, ja schließlich
ward auch die russische Regierung selbst in
den Krieg verstrickt. Der Berliner Vertrag
von 1878 gab Serbien die völlige Unabhängig-
keit von der türkischen Oberhoheit und be-
deutenden Gebietszuwachs im Morawatal,
11000 qkm mit Vfe Million Einwohnern. Da-
gegen hinterließ es in den Herzen der serbi-
schen Chauvinisten einen bitteren Stachel,
daß Bosnien mit der Herzegowina an Oester-
reich überging; wodurch alle groß serbischen
Hoffnungen vereitelt wurden. Daraus ergab
sich in der Folge eine immer größer werdende
Mißstimmung gegen die benachbarte Groß-
macht. Ebenso empfanden die Serben die
Trennung von Montenegro durch den San-
dschak als einen Schlag gegen die Stammes-
gemeinschaft.
Am 6. 3. 1882 nahm Milan auf Verlangen
Oberst Hodges, den russischen Umtrieben in des Volkes den Königstitel an. Wenige Jahre
Serbien entgegenarbeitete, spielte Rußland j darauf ließ er sich infolge der Eifersucht auf
die allgemeine Unzufriedenheit im Volk ge-;das um Ostrumelien vergrößerte Bulgarien
gen ihn aus. Es begünstigte die Einsetzung1 zum Kriege gegen dieses verleiten, der höchst
eines Senats 1838, der die fürstliche Macht
■wesentlich beschränkte. Schließlich mußte
Milos am 13. 1. 1839 abdanken. Sein Sohn
Milan wurde schon nach wenigen Wochen er-
mordet. Der zweite Sohn Michael, durch den
Tod des Bruders und das Schicksal des Va-
ters gewitzigt, schloß sich wieder eng an Ruß-
land an, vjfurde aber bereits 18-42 durch die
Senate renpartei gestürzt.
Am 14. 11. 1842 ward Alexander Kara-
georgevic, der Sohn des .Schwarzen Georg',
von der Pforte feierlich zum .Oberknäs', d. h.
Großfürst, ausgerufen und auch von Rußland
bestätigt, nachdem das Volk ihn in nochmali-
ger Wahl einhellig erkoren hatte. A]e.xaiuler
War anfänglich ein blindes Werkzeug der Se-
natorenpartei, die ihn auf den Schild erhoben
hatte, geriet später aber unter österreichi-
schen Einfluß und deshalb während des Krim-
krieges (1854—56) in eine schwierige Lage zu
Rußland. Der Pariser Friede (30. 3. 1856)
stellte Serbien unter den gemeinsamen Schutz
der .Vertragsmächte. Im Jahre 1859 führte
ein innerer Zwiespalt die Absetzung des der
-lurkei ergebenen Alexander und die Wieder-
berutung des nun schon 78jährigen Milos her-
wtmii -r ^'d wieder sein patriarchalisches
W7lllkurregim,,nt begann. 1860 folgte ihm
sein Sohn Michael zum zweiten Male. Dieser
suchte, gestutzt auf die gebildeteren Vertreter
der jüngeren Generation, anfangs verfa*-
sungsgemäß zu regi,.rf»ni reformierte den Se-
nat zum Staatsrat, berief die Skuptschina
und ordnete die Wehrmacht. Doch wurde
schon unter ihm Serbien in die revolutionäre
Bewegung der ,Omladina' (Jugend) verstrickt,
die sich bald über Bosnien und die Herzego-
■^ina ausdehnte, Serbien zum Herd allslavi-
s?her und Österreich feindlicher Umtriebe
fachte und sogar die eigene Herrschaft Mi-
chaels bedrohte. Zunächst freilich richtete
Sich der Volksunwille gegen die noch immer
in den serbischen Festungen stehenden türki-
schen Besatzungen. Es ging nicht ohne Rhit
unglücklich verlief. Nur dank der Vermitt-
lung Oesterreichs glückte es ihm im Frieden
von Bukarest (3. 3. 1886), ohne Gebietsverluste
davonzukommen. Diese Niederlage sowie
fortdauernde Ehewirren und die Steigerung
der öffentlichen Lasten untergruben Milans
Stellung und zwangen ihn im März 1889, zu
gunsten seines minderjährigen Sohnes Alex-
ander abzudanken; er lebte fortan meist als
Graf Takowa in Paris. Alexander aber mach-
te sich 1893 auf Betreiben seines Vaters durch
Staatsstreich mündig und ergriff selbst die
Zügel der Regierung.
Mit der Abdankung Milans gewann die
niRsenfreundliche Partei in Serbien Oberwas-
ser. Das Jahr 1889 ist somit zum Schicksals-
jahr Serbiens geworden, das zum Verhängnis
führte. Die serbische Fortschrittspartei, die
österreichfreundlich war, löste sich auf. Die
Wahlen der Skuptschina ergaben eine über-
wiegend radikale Mehrheit, die ebenso wie die
liberale Partei ausgesprochen russenfreund-
lieh war und großserbisch dachte. Vergeblich
bezeugte Oesterreich den Serben durch ,Grenz-
begünstigungen' im Zollverkehr wirtschaft-
liches Entgegenkommen.
Im Innern Serbiens herrschten seit dem
Regierungsantritt Alexanders die heftigsten
Unruhen, hervorgerufen durch seinen Bruch
mit den Radikalen und Begünstigung des Ex-
königs. Als er 1900 eine viel ältere, übel be-
leumundete Witwe Draga Maschin heiratete
und sich von ihr und ihren Brüdern blind lei-
ten ließ, verfiel er allgemeiner Verachtung
und ward am 11. 7. 1903 durch Offiziere er-
mordet.
Darauf wählte die Nationalversammlung
einen Sprossen der Familie Karageorgevic,
Peter, zum König. Ob hier die Verbands-
mächte bereits ihre Hände im Spiele hatten,
läßt, sich mit Sicherheit nicht nachweisen;
sicher aber ist daß seit diesem Jahre, das ja
auch die Verbandsgründun« brachte, nicht
bloß russische, sondern auch französische und
vergießen ab, doch zog am 3. 3. 1867 der Sul-1englische Aufwiegler in Serbien eine rührige
tan schließlich den Re«t der R**»tminir»itnm- • rwdithiwhe Itetee «wn die Mittelmächte ent-
falteten. Der Karageorgevic war nur eine
Puppe in der Hand des Zaren, der ihn gegen
Oesterreich mißbrauchte. Der großserbische
Gedanke fand eifrigste Pflege in der .Narodna
Odbrana', der sogar der Kronprinz angehörte
und die von dem russischeuOcsandten Hartwig
beeinflußt wurde. Serbien war Rußlands ver-
gifteter Dolch, der gegen die Mitglieder der
Dynastie Habsburg gerichtet war. Das zeigte
sich deutlich bei der Einverleibung Bosniens
in die Habsburgische Monarchie 1908/09, durch
die Oesterreich erst wieder eigentliche Bal-
kanmacht wurde, zugleich aber den großserbi-
schen Plan empfindlichst störte. Nur mit
Mühe konnte damals der Ausbruch von
Feindseligkeiten verhütet werden. Der Ver-
band hielt derr serbischen „Kettenhund" noch
zurück, weil er selber noch nicht genügend
gerüstet war, vor allem aber weil Deutsch-
land in vorbildlicher Nibelungentreue offen
für den österreichischen Bundesbruder ein*
trat. Wie dann Serhien in den von Rußland
begründeten Balkanbund eintrat und so mit-
half, die Abschnürung der Mittelmächte vom
Balkan zu vervollständigen, zugleich aber die
Türkei zu schädigen, ist allgemein bekannt;
ebenso auch der Plan Rußlands, Serbien und
damit sich selbst durch Einverleibung Alba-
niens einen Ausgang zum Mittelmeer zu ver«
schaffen, ein Plan, der sogar das treulose Ita-
lien noch einmal zum gemeinsamen Vorgeht :x
des Dreibundes gegen den Dreiverband ver-
anlaß te. Im zweiten Balkankrieg (1913) er-
fuhr Serbien auf Kosten Bulgariens eine be>
deutende Vergrößerung — es war zuletzt von
48 000 auf 87 000 qkm und 4V2 Millionen Ein-
wohner angewachsen —; zugleich aber flamroH
te der Haß gegen Oesterreich von neuen
auf und führte am 28. 6. 1914 zu der schreck-
lichen Bluttat von Serajewo, die zur Brand-
fackel des verheerenden Weltkrieges wurde.
Nun hat sich an dem Mörderstaat, des a
Geschichte besonders in dem Jahrhundert ach
ner .Unabhängigkeit', mit den blutigste \
Greueln ausgefüllt war, das Schicksal erfüllt."
Serbien und sein König büßen heute schwe j
Schuld. An der Jahrhundertwende seiner;
staatlichen Selbständigkeit liegt Serbien zer-
schmettert am Boden, als Opfer seines Gvö-
ßenwahnsinns im Vertrauen auf das russisch-«
französische Bündnis.
Luther und die Kirchenmusik
Elia Nachklang' zum Reformationsjubiläum
Von Walter Dahme
Luther, der Schöpfer der deutschen Spra-i
che, ist auch der Schöpfer des evangelischen
Kirchenliedes und damit der Urquell der deut-
schen Kirchenmusik geworden. Von ihm exnpi
fingen Joh. Scb. Bach und alle, die diesem
nachfolgten, ihre Weihe. Sein Werk war auch
auf dem kirchenmusikalischen Gebiet das
eines Reformators, der Vorhandenes nach
neuen Gesichtspunkten umbildete.
Luther leitete zunächst nicht der Drang
des KünMlers; er wollte die Musik nur in den
Dienst des evangelischen Gedankens stellen.
„Ich bin Willens,"eagt er, „nach dem Exem-
pel der Propheten und der alten Väter der
Kirche teutsche Psalmen für das Volk zu ma-
chen, das ist: geistliche Lieder, daß das Wort
Gottes auch durch den Gesang unter den Leu-
ten bleibe." Luther legte also vorerst Hand
an die Psalmen und Hymnen der alten Kirche,
versah sie mit deutscheu Texten und dachte
dabei immer an den Gemeindegesangr an die
Erfordernisse des Gottesdienstes. Das Re-
formationswerk konnte auch in diesem Punkte
erst allmählich vor sich gehen. Gewiß hatte
man schon vor Luther geistliche Lieder in
deutscher Sprache gesungen; zahlreiche Wall-
fahrtsgesänge der katholischen Kirche und
viele fromme Lieder der Meistersinger zeugen
davon. Aber im Gottesdienst selbsi herrschte
der lateinische Kirch engesang. Es galt also
zunächst der Gemeinde ein Vorbild zu schaf-
fen, nach dem sie sich richten konnte. Dies
war der Chor. Für diesem erschien Luther die
geeignetste Form die Motette, „da einer eine
schlichte einfältige Weise hersinget, neben
welcher drei oder vier oder fünf andere Stim-
men auch gesungen werden, die um solche
schlichte einfältige Weise gleich als Jauchzen
ringsumher spielen und springen und mit
mancherlei Art und Klang dieselbe wunder-
barlich zieren und schmücken und gleichwie
einen himmlischen Tanzrethen führen, einan-
der freundlich hejretmen und sich ß-le^bnam
EOBACHTER
Nummer 85 Beilage zur Armeezeitung 4. Nebelung (November) 1917
Hundert Jahre Serbien
Van (W* Widenbsuer
... Ppn, Ar'stoß zum Auflösungsprozeß dos!
torki»cheD Reiches-auf der BalkauhalbinseJ
f£ni l .'ra Voriff«> JahrL.un.lorl die Serben,
diech • i-en 8ich auf' Anitiften des Klerus
e cnnstlichen Serben gegen den Steuerdruck
*W^lorte auf, und bald flammte, von Ruß-
end ermuntert, unter Anführung des tapfe-
ren Ueorg Petrovic, genannt Czerny Kara-
georg, ein allgemeiner Aufstand auf, der zur
■^rKtunnung Belgrads und spater zum Kriege
•Kußlands gegen die Türkei (1809—1812) führ-
te. Nach anfänglichen Niederlagen trug
schließlich Rußland den Sieg davon. Im Frie
den von Bukarest, am 12. 5. 1812, erhielt Ser^
bien Amnestie und Selbstverwaltung unter
dem Woiwoden Karageorg zugesichert. Ein
Versuch der Türkei, während der Befreiungs-
kriege ihre Oberherrschaft wieder geltend zu
machen, scheiterte. Wohl drängte sie Kara-
georg auf österreichisches Gebiet; aber die
harte Bestrafung der Rädelsführer führte
Palmsonntag 1815 zu einer neuen Erhebung
unter Milos Obrenovic. Den Türken blieb
schließlich nur der Besitz der Festungen, und
so gaben sie nach. Am 6. 11. 1817 wurde Milos
Ton Bischof, Woiwoden und Volk feierlich
als Oberhaupt anerkannt und von der Pforte
bestätigt, nachdem der eigentliche Urheber
des BefreiungsWerkes im Januar 1817 ermor-
det worden war.
Der 6. 11. ist somit der Geburtstag der
Serbischen Unabhängigkeit. Doch er bedeu-
tete für das Serbenvolk lediglich die Ab-
echüttelung der türkischen Gewalt: die Selbst-
verwaltung blieb auf dem Papier stehen.
Denn in Wirklichkeit regierte Milos noch
willkürlicher als der ärgste türkische Pascha.
Ohne jede Volksvertretung, bereicherte sich
durch Handelsmonopole und hielt seine Wi-
dersacher mit blutiger Strenge nieder, na-
mentlich seit der Friede von Adrianopel 1829
ihn in seiner Würde bestätigt und das Schutz-
iverhältnis Serbiens zu Rußland und der Tür-
kei geregelt hatte. Solange Milos russenfreund-
lich blieb, ließ ihn der Zar ruhig gewähren;
als aber der englische Konsul in Kragujevac,
pen zurück; noch immer wehte aber die tür-
kische Fahne neben der serbischen auf der
Zitadelle Belgrads als Zeichen der türkischen
Oberhoheit. Am 10. ß. 1868 fiel Michael einem
Anschlag zum Opfer. Die Nationalversamm-
lung wählte den einzigen noch lebenden
Obrenovic, den erst 14jährigen Milan, zum
Oberhaupts. Dieser, in Paris erzogen, stand
anfänglich unter einer Regentschaft, die dem
Lande eine freiere Verfassung gab, die Dy-
nastie Obrenovic auch in weiblicher Linie für
thronfolgeberechtigt erklärte und die Kara-
georgevic für immer vom Throne ausschloß.
Am 22. 8. 1872 übernahm Milan, für voll-
jährig erklärt, selbst die Regierung. Er war
ein begabter, aber sittlich haltloser Mann, der
mit seiner russischen Gemahlin Natalie in
fortwährenden Ehehändeln lebte und so sein
Ansehen schwer schädigte. In der äußeren
Politik neigte er zu Oesterreich hin, in der in-
neren lebte er in stetem Kampf mit den Ra-
dikalen, denen gegenüber er seine monarchi-
schen Rechte zäh verteidigte. Unter ihm er-
langte Serbien zunächst wichtige äußere Er-
folge. Der bosnische Aufstand von 1875 fand
in Serbien einen lebhaften Widerhall und
führte am 2. 7. 1876 zur Kriegserklärung Ser-
biens gegen die Türkei, gemeinsam mit Mon-
tenegro. Man schwärmte für ein Großserbien
und fand hierbei die Unterstützung der all-
slavisehen Kreise Rußlands, ja schließlich
ward auch die russische Regierung selbst in
den Krieg verstrickt. Der Berliner Vertrag
von 1878 gab Serbien die völlige Unabhängig-
keit von der türkischen Oberhoheit und be-
deutenden Gebietszuwachs im Morawatal,
11000 qkm mit Vfe Million Einwohnern. Da-
gegen hinterließ es in den Herzen der serbi-
schen Chauvinisten einen bitteren Stachel,
daß Bosnien mit der Herzegowina an Oester-
reich überging; wodurch alle groß serbischen
Hoffnungen vereitelt wurden. Daraus ergab
sich in der Folge eine immer größer werdende
Mißstimmung gegen die benachbarte Groß-
macht. Ebenso empfanden die Serben die
Trennung von Montenegro durch den San-
dschak als einen Schlag gegen die Stammes-
gemeinschaft.
Am 6. 3. 1882 nahm Milan auf Verlangen
Oberst Hodges, den russischen Umtrieben in des Volkes den Königstitel an. Wenige Jahre
Serbien entgegenarbeitete, spielte Rußland j darauf ließ er sich infolge der Eifersucht auf
die allgemeine Unzufriedenheit im Volk ge-;das um Ostrumelien vergrößerte Bulgarien
gen ihn aus. Es begünstigte die Einsetzung1 zum Kriege gegen dieses verleiten, der höchst
eines Senats 1838, der die fürstliche Macht
■wesentlich beschränkte. Schließlich mußte
Milos am 13. 1. 1839 abdanken. Sein Sohn
Milan wurde schon nach wenigen Wochen er-
mordet. Der zweite Sohn Michael, durch den
Tod des Bruders und das Schicksal des Va-
ters gewitzigt, schloß sich wieder eng an Ruß-
land an, vjfurde aber bereits 18-42 durch die
Senate renpartei gestürzt.
Am 14. 11. 1842 ward Alexander Kara-
georgevic, der Sohn des .Schwarzen Georg',
von der Pforte feierlich zum .Oberknäs', d. h.
Großfürst, ausgerufen und auch von Rußland
bestätigt, nachdem das Volk ihn in nochmali-
ger Wahl einhellig erkoren hatte. A]e.xaiuler
War anfänglich ein blindes Werkzeug der Se-
natorenpartei, die ihn auf den Schild erhoben
hatte, geriet später aber unter österreichi-
schen Einfluß und deshalb während des Krim-
krieges (1854—56) in eine schwierige Lage zu
Rußland. Der Pariser Friede (30. 3. 1856)
stellte Serbien unter den gemeinsamen Schutz
der .Vertragsmächte. Im Jahre 1859 führte
ein innerer Zwiespalt die Absetzung des der
-lurkei ergebenen Alexander und die Wieder-
berutung des nun schon 78jährigen Milos her-
wtmii -r ^'d wieder sein patriarchalisches
W7lllkurregim,,nt begann. 1860 folgte ihm
sein Sohn Michael zum zweiten Male. Dieser
suchte, gestutzt auf die gebildeteren Vertreter
der jüngeren Generation, anfangs verfa*-
sungsgemäß zu regi,.rf»ni reformierte den Se-
nat zum Staatsrat, berief die Skuptschina
und ordnete die Wehrmacht. Doch wurde
schon unter ihm Serbien in die revolutionäre
Bewegung der ,Omladina' (Jugend) verstrickt,
die sich bald über Bosnien und die Herzego-
■^ina ausdehnte, Serbien zum Herd allslavi-
s?her und Österreich feindlicher Umtriebe
fachte und sogar die eigene Herrschaft Mi-
chaels bedrohte. Zunächst freilich richtete
Sich der Volksunwille gegen die noch immer
in den serbischen Festungen stehenden türki-
schen Besatzungen. Es ging nicht ohne Rhit
unglücklich verlief. Nur dank der Vermitt-
lung Oesterreichs glückte es ihm im Frieden
von Bukarest (3. 3. 1886), ohne Gebietsverluste
davonzukommen. Diese Niederlage sowie
fortdauernde Ehewirren und die Steigerung
der öffentlichen Lasten untergruben Milans
Stellung und zwangen ihn im März 1889, zu
gunsten seines minderjährigen Sohnes Alex-
ander abzudanken; er lebte fortan meist als
Graf Takowa in Paris. Alexander aber mach-
te sich 1893 auf Betreiben seines Vaters durch
Staatsstreich mündig und ergriff selbst die
Zügel der Regierung.
Mit der Abdankung Milans gewann die
niRsenfreundliche Partei in Serbien Oberwas-
ser. Das Jahr 1889 ist somit zum Schicksals-
jahr Serbiens geworden, das zum Verhängnis
führte. Die serbische Fortschrittspartei, die
österreichfreundlich war, löste sich auf. Die
Wahlen der Skuptschina ergaben eine über-
wiegend radikale Mehrheit, die ebenso wie die
liberale Partei ausgesprochen russenfreund-
lieh war und großserbisch dachte. Vergeblich
bezeugte Oesterreich den Serben durch ,Grenz-
begünstigungen' im Zollverkehr wirtschaft-
liches Entgegenkommen.
Im Innern Serbiens herrschten seit dem
Regierungsantritt Alexanders die heftigsten
Unruhen, hervorgerufen durch seinen Bruch
mit den Radikalen und Begünstigung des Ex-
königs. Als er 1900 eine viel ältere, übel be-
leumundete Witwe Draga Maschin heiratete
und sich von ihr und ihren Brüdern blind lei-
ten ließ, verfiel er allgemeiner Verachtung
und ward am 11. 7. 1903 durch Offiziere er-
mordet.
Darauf wählte die Nationalversammlung
einen Sprossen der Familie Karageorgevic,
Peter, zum König. Ob hier die Verbands-
mächte bereits ihre Hände im Spiele hatten,
läßt, sich mit Sicherheit nicht nachweisen;
sicher aber ist daß seit diesem Jahre, das ja
auch die Verbandsgründun« brachte, nicht
bloß russische, sondern auch französische und
vergießen ab, doch zog am 3. 3. 1867 der Sul-1englische Aufwiegler in Serbien eine rührige
tan schließlich den Re«t der R**»tminir»itnm- • rwdithiwhe Itetee «wn die Mittelmächte ent-
falteten. Der Karageorgevic war nur eine
Puppe in der Hand des Zaren, der ihn gegen
Oesterreich mißbrauchte. Der großserbische
Gedanke fand eifrigste Pflege in der .Narodna
Odbrana', der sogar der Kronprinz angehörte
und die von dem russischeuOcsandten Hartwig
beeinflußt wurde. Serbien war Rußlands ver-
gifteter Dolch, der gegen die Mitglieder der
Dynastie Habsburg gerichtet war. Das zeigte
sich deutlich bei der Einverleibung Bosniens
in die Habsburgische Monarchie 1908/09, durch
die Oesterreich erst wieder eigentliche Bal-
kanmacht wurde, zugleich aber den großserbi-
schen Plan empfindlichst störte. Nur mit
Mühe konnte damals der Ausbruch von
Feindseligkeiten verhütet werden. Der Ver-
band hielt derr serbischen „Kettenhund" noch
zurück, weil er selber noch nicht genügend
gerüstet war, vor allem aber weil Deutsch-
land in vorbildlicher Nibelungentreue offen
für den österreichischen Bundesbruder ein*
trat. Wie dann Serhien in den von Rußland
begründeten Balkanbund eintrat und so mit-
half, die Abschnürung der Mittelmächte vom
Balkan zu vervollständigen, zugleich aber die
Türkei zu schädigen, ist allgemein bekannt;
ebenso auch der Plan Rußlands, Serbien und
damit sich selbst durch Einverleibung Alba-
niens einen Ausgang zum Mittelmeer zu ver«
schaffen, ein Plan, der sogar das treulose Ita-
lien noch einmal zum gemeinsamen Vorgeht :x
des Dreibundes gegen den Dreiverband ver-
anlaß te. Im zweiten Balkankrieg (1913) er-
fuhr Serbien auf Kosten Bulgariens eine be>
deutende Vergrößerung — es war zuletzt von
48 000 auf 87 000 qkm und 4V2 Millionen Ein-
wohner angewachsen —; zugleich aber flamroH
te der Haß gegen Oesterreich von neuen
auf und führte am 28. 6. 1914 zu der schreck-
lichen Bluttat von Serajewo, die zur Brand-
fackel des verheerenden Weltkrieges wurde.
Nun hat sich an dem Mörderstaat, des a
Geschichte besonders in dem Jahrhundert ach
ner .Unabhängigkeit', mit den blutigste \
Greueln ausgefüllt war, das Schicksal erfüllt."
Serbien und sein König büßen heute schwe j
Schuld. An der Jahrhundertwende seiner;
staatlichen Selbständigkeit liegt Serbien zer-
schmettert am Boden, als Opfer seines Gvö-
ßenwahnsinns im Vertrauen auf das russisch-«
französische Bündnis.
Luther und die Kirchenmusik
Elia Nachklang' zum Reformationsjubiläum
Von Walter Dahme
Luther, der Schöpfer der deutschen Spra-i
che, ist auch der Schöpfer des evangelischen
Kirchenliedes und damit der Urquell der deut-
schen Kirchenmusik geworden. Von ihm exnpi
fingen Joh. Scb. Bach und alle, die diesem
nachfolgten, ihre Weihe. Sein Werk war auch
auf dem kirchenmusikalischen Gebiet das
eines Reformators, der Vorhandenes nach
neuen Gesichtspunkten umbildete.
Luther leitete zunächst nicht der Drang
des KünMlers; er wollte die Musik nur in den
Dienst des evangelischen Gedankens stellen.
„Ich bin Willens,"eagt er, „nach dem Exem-
pel der Propheten und der alten Väter der
Kirche teutsche Psalmen für das Volk zu ma-
chen, das ist: geistliche Lieder, daß das Wort
Gottes auch durch den Gesang unter den Leu-
ten bleibe." Luther legte also vorerst Hand
an die Psalmen und Hymnen der alten Kirche,
versah sie mit deutscheu Texten und dachte
dabei immer an den Gemeindegesangr an die
Erfordernisse des Gottesdienstes. Das Re-
formationswerk konnte auch in diesem Punkte
erst allmählich vor sich gehen. Gewiß hatte
man schon vor Luther geistliche Lieder in
deutscher Sprache gesungen; zahlreiche Wall-
fahrtsgesänge der katholischen Kirche und
viele fromme Lieder der Meistersinger zeugen
davon. Aber im Gottesdienst selbsi herrschte
der lateinische Kirch engesang. Es galt also
zunächst der Gemeinde ein Vorbild zu schaf-
fen, nach dem sie sich richten konnte. Dies
war der Chor. Für diesem erschien Luther die
geeignetste Form die Motette, „da einer eine
schlichte einfältige Weise hersinget, neben
welcher drei oder vier oder fünf andere Stim-
men auch gesungen werden, die um solche
schlichte einfältige Weise gleich als Jauchzen
ringsumher spielen und springen und mit
mancherlei Art und Klang dieselbe wunder-
barlich zieren und schmücken und gleichwie
einen himmlischen Tanzrethen führen, einan-
der freundlich hejretmen und sich ß-le^bnam