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auch die angstvolle Erwartung in Skalmierschütz. Befürchtete
man doch sofort nach der hier vielleicht noch nicht bekannt
gewordenen Kriegserklärung oder wohl gar vor dcrselben
einen russischen Ueberfall. Diese Besürchtung erschien um so
gerechtfertigter, als die Russen die Linie Kalisch-Warschau in
erster Linie nicht des Verkehrs wegen, sondern aus strate-
gischen Gründen gebaut haben. Sie heißt auch Militärbahn
und hat die russische Spurweite, während die von Aleran-
drowo und Sosnowice nach Warschau führenden Bahnen noch
westeuropäische Spurweite haben. Es war also sehr zu be-
sorgen, daß diese Eisenbahn zum Aufmarsch der russischen
Truppenmacht benutzt werden könne; auch standen in Kalisch
so wie so mehrere Regimenter; die russische Grenzbesatzung
ist schon im Frieden ziemlich stark, und die leicht be-
wegliche russische Reiterei konnte schnell einen Ueberfall be-
werkstelligen, den Skalmierschützer Bahnhof zerstören und in
dem Orte selbst barbarisch hausen. Nach der Kriegserklärung
Oesterreichs an Serbien verließen deshalb viele Frauen und
Kinder den Ort, und von den Männern sahen viele ihrer
Einberufung zum Heere entgegen. Jmmerhin blieb die Grenze
noch friedlich; ja die deutschen und russischen Doppelposten
tauschten Scherzworte und Zigaretten mit einander aus, die
russischen Grenzbeamten benahmen sich sogar den Preußen gegen-
über mit einer das früher übliche Maß weit übersteigenden
Höflichkeit. Preußischerseits wurden der Bahnhof und die
Bahnlinie militärisch besetzt; freilich war es gegenüber den
russischen Reqimentern nur ein kleines Häuflein Soldaten,
das unsererseits die Grenze schützte.' Jmmerhin gewährte es
einen erhebenden Anblick, als unsere blauen Jungen — oder
vielmehr, diese Bezeichnung paßt nicht mehr: unsere hechtgrauen
Jungen, kleine, aber geschmeidige und sehnige Gestalten den
hinter Skalmierschütz nach Rußland führendcn Bahndamm
besetzten und den weit zahlreicheren russischen Soldaten zu-
riefen: „Wartet, wenn wir erst hinüberkommen!" Drüben
war jetzt eine sichtliche Bestürzuug zu bemerken; die Soldaten
wimmelten regellos wie in einem Ameisenhaufen hin und
her; wie sich spätcr herausstellte, habcn sie die Stärke der
deutschcn Abteilungen bedeutcnd überschätzt. Jedes Rangieren
unserer deutschen Züge und jedes Hurra-Rufen unserer deut-
schen Soldaten ließ drüben die Vermutung erstehen, es sei
wieder ein Bataillon oder gar ein Regiment unserer deut-
schen Truppen eingetroffen. Dic Spannung in Skalmierschütz
vergrößerte sich unterdes immer mehr und stieg auf den Höhe-
punkt, als Sonnabend, den 1. August, Abends 6Uhr bekannt
wurde, daß unser Kaiser die allgemeine Mobilmachunq angc-
ordnet habe. Allgemein erwartete man für diese lüacht einen
russischcn Angriff, und wie sollten unsere winzigen deutschen
Abteilungen den russischen Rcgimentern Widerstand leisten
können? Die Diakonissen, die hier für Kleinkinderschule und
Gemeindepflege angestellt sind, kamen voller Angst ins Pfarr-
haus und wollten dort die Nacht zubringen; viele Leute gin-
aen nicht schlafen, um für alle Fälle gerüstet zu sein; auf dem
Skalmierschützer Bahnhof wurden die Lichter gelöscht, weil er
ja dem Bombardement cinen hervorragenden Zielpunkt ge-
boten haben würde. Die preußischen Soldaten und auch die
Zollbeamten verbrachten die Nacht hintcr allen möglichen
Deckungen, einige Zvllbeamte bis an die Zähne gewaffnet hin-
ter einer Haferstiege, um einem russischen Reiteruberfall wirk-
sam begegnen und die einrückenden Feinde ins Feuer nehmen
zu können. So verging die lllacht bis früh um 4 Uhr. Da
erdröhnte plötzlich die Lust, anscheinend von russischen
Schüssen, die aus nächster Nähe abgefeuert sein mußten.
Angstvoll verließen die Bewohner die Betten. Den alten er-
fahrenen Soldaten, u. a. dem evangelischen Gcistlichen, der
1870/71 die Belagerung von Paris mitgemacht hatte, fiel es
freilich gleich nach den ersten Schüssen auf, daß das Zischcn
der durch die Luft sausenden Eranaten und der nochmaliqe
Knall bei ihrem Aufschlagcn nicht zu hören waren, daß alfo
vielmehr Sprengungen zu mutmaßen seien als Artillerieangriffe
und Bombardements. Aber wo war die Möglichkeit, die auf-
geregte mit den notwendigsten Habseligkeiten aus ihren Häusern
auf die Straße stürzende Bewohnerschast zu bcruhigen? Zumal
Schuß auf Schuß erdröhnte und die scheinbare Beschießung
immer näher zu kommen schien. „Fort, fort!" war die einzige
Losung. Endlich gelang es, den Bewohnern eine richtige
Auffassung der Sachlage bcizubringen. Die Russen hatten
zwischen 4 und 5 Uhr mit 16 Sprengschüssen die sämtlichen
Bahnunterführungen zwischen Skalmierschütz und Kalisch ge-
sprcngt. Hinter Skalmierschütz fällt nämlich das Gelände in
das Prosnatal ab, und deshalb ist ein ziemlich hoher Bahn-
damm aufgeschüttet, der auf dieser 6 Kilometer langen Strecke
wohl ein Dutzend oder mehr Durchlässe aufwcist. Nicht nur
diese waren zertrümmert worden, sondern auch den Kalischer
Bahnhof setzten die Russen in Brand, wie unsere Soldaten bald
an den ungeheuren Rauchwolken ersehen konnten. Jnzwischen
wurde auch durch die Meldungen unserer dcutschen Doppelposten
bekannt, daß die russischen Grenzwachen abgezogen waren; ihre
letzten Worte waren: „Schießt nicht auf uns; wir gehen jetzt
zurück!" Auch die russischen Zollbeamten bei Szczypiorno warcn
sämtlich abgerückt mit Ausnahme eines einzigen. Unsere deut-
schen Soldaten zogen nun hinüber und sahen, daß auch die
Szczypiornoer Einwohner ihre Wohnstätten verlassen hatten
und daß dic dortige Kaserne leer stand; auch alle Vorräte
waren zurückgeblieben. Mit dem heranbrechenden Sonntag-
morgen wich nun die beklcmmendc Alblast der Skalmicrschützer
Bewohner; wie die Midianiter vor den 300 Mann Gideons, so
waren die russischen Rcgimenter, Behörden und Beamten, Po-
lizisten und Gendarmen in blindem Schrecken geflohen. Jn
Russisch-Polen bedeutet das noch etwas mehr, als es in
Deutschland bedeuten würde; weicht dort die Staatsmacht, so
hausen die Banditen, und Raub und Mord herrschen. So
war es auch in dem unglücklichen, von allem Schntze verlasse-
nen Kalisch. Bald erschienen von dort Abgesandte mit der
flehentlichen Bitte, die Preußen möchten doch cine Patrouille
herüberschicken und etwas Recht und Ordnung schaffen; denn
schon seien Gewalttaten vorgekommen, und das Schlimmste
sei zu befürchten. Eine preußische Manen-Patrouille tat dies
auch und fand überall das Land vom Feinde leer, die Bahn
zerstört, den Bahnhof brcnnend, die Stadt Kalisch in wilder
Unordnung und heller Aufregung; sie brachte die Nachricht
zurück, daß die Russen sehr weit hinter die Grenze zurück-
gegangen seien. Ja, es scheint, daß sie das offene Land bis
unter die Kanonen der Warschauer Forts hin räumen. Eine
eigentümliche Fügung, daß die Bewohner von Kalisch,
fast ausschließlich Polen, nun die ihncn so verhaßten und
von ihnen in der ganzen Welt, besonders in den
englischen und französischen Zoitungen, verleumdoten Preu-
ßen, um Schutz nnd Hilse anflehen müssen! Der Verkehr
auf der Eisenbahn hatte noch bis Mittwoch den 29. Juli an-
gedauert; Donnerstag ließen die Russen bereits keine Reisenden
mehr hinüber. Jmmerhin war es an dicsem Tage noch mög-
lich, über die oben beschilderte Mggatka „nch Rußland zu
kommen. Wer also in Skalmierschütz ausstieg, zu Fuß oder
zu Wagen den Weg nach Kalisch zurücklegte und sich dort in
den Eisenbahnwagen setzte, konnte noch nach Rußland zurück.
Freitag früh, also bereits Is^ Tage vor der deutschen Mobil-
machung, wurde aberdie Rogatka gespcrrt, und die letzte Möglich-
keit für die zahlreichen aus Deutschland in die Heimat oilenden
Russen, bei Skalmierschütz über die Grenze zu kommen, schwand
dahin. Wir haben eine ganze Anzahl solcher Leute gesprochen:
ein deutscher Kaufmann aus Lodz, dor aus dem Bade Harz-
burg zurückkam, mußte wieder umkchren, ebenso wartet eine
doutsche Pastorwitwe aus Kiew, dio in Wiesbaden zur Kur
gewesen war, in Skalmierschütz günstigere Zeiten ab. Ein
polnischer Arbciter ist eben aus Amerika zurückgekehrt und so
schnell wie möglich von Hamburg nach Skalmierschütz gofahren.
Zu spät! Er muß sehen, wo er in Deutschland Arbeit findet
(und daran wird es ja nicht mangeln, wo so viele Arbeits-
kräfte zum Heere eingezogen worden sind), und seine Frau
und seine fünf Kinder in dem Sieradzer Kreise harren vcr-
geblich auf ihren Ernährer. Die deutschen Truppen, die nun
natürlich wegcn der Spionengefahr erst recht nieniand hinüber-
lassen können, haben hundert Schritt vor der Grenzkette eine
Bretterwand errichtet, um die Zivilbevölkerung auf alle Fälle
vor Grcnzüberschreitungen zurückzuhalten. Vor der Brctter-
wand staut stch die Flut der Neugierigen, die in das wic aus-
gestorben liegende russische Reich hineinsehen. Unsere hecht-
grauen Jungen allein sind zu erblicken; zu Fuß und auf
Motorrädern schwirren sie hin und her. Noch Sonntagnach-
mittag sah man die Rauchwolken des Kalischer Bahnhofes.
Aehnliche Meldungen hört man auch aus anderen Grenzorten.
Es scheint wie ein Schrecken über unsere Feinde gekominen zu
sein. Sie haben eben eine ganz gehöriqe Achtnng vor unserer
deutschen Heeresmacht — die Herren Moskowiter!
Fahr Frieden hin!
Von Johs. Höffner. !
l Nun brach der Tag
Der Rache an.
Auf! Schlag um Schlag,
Mann gegen Mann!
Fahr Frieden hin Tod ist Gewinn!
Und Schwert heraus! Trumpf Herzendaus! g
auch die angstvolle Erwartung in Skalmierschütz. Befürchtete
man doch sofort nach der hier vielleicht noch nicht bekannt
gewordenen Kriegserklärung oder wohl gar vor dcrselben
einen russischen Ueberfall. Diese Besürchtung erschien um so
gerechtfertigter, als die Russen die Linie Kalisch-Warschau in
erster Linie nicht des Verkehrs wegen, sondern aus strate-
gischen Gründen gebaut haben. Sie heißt auch Militärbahn
und hat die russische Spurweite, während die von Aleran-
drowo und Sosnowice nach Warschau führenden Bahnen noch
westeuropäische Spurweite haben. Es war also sehr zu be-
sorgen, daß diese Eisenbahn zum Aufmarsch der russischen
Truppenmacht benutzt werden könne; auch standen in Kalisch
so wie so mehrere Regimenter; die russische Grenzbesatzung
ist schon im Frieden ziemlich stark, und die leicht be-
wegliche russische Reiterei konnte schnell einen Ueberfall be-
werkstelligen, den Skalmierschützer Bahnhof zerstören und in
dem Orte selbst barbarisch hausen. Nach der Kriegserklärung
Oesterreichs an Serbien verließen deshalb viele Frauen und
Kinder den Ort, und von den Männern sahen viele ihrer
Einberufung zum Heere entgegen. Jmmerhin blieb die Grenze
noch friedlich; ja die deutschen und russischen Doppelposten
tauschten Scherzworte und Zigaretten mit einander aus, die
russischen Grenzbeamten benahmen sich sogar den Preußen gegen-
über mit einer das früher übliche Maß weit übersteigenden
Höflichkeit. Preußischerseits wurden der Bahnhof und die
Bahnlinie militärisch besetzt; freilich war es gegenüber den
russischen Reqimentern nur ein kleines Häuflein Soldaten,
das unsererseits die Grenze schützte.' Jmmerhin gewährte es
einen erhebenden Anblick, als unsere blauen Jungen — oder
vielmehr, diese Bezeichnung paßt nicht mehr: unsere hechtgrauen
Jungen, kleine, aber geschmeidige und sehnige Gestalten den
hinter Skalmierschütz nach Rußland führendcn Bahndamm
besetzten und den weit zahlreicheren russischen Soldaten zu-
riefen: „Wartet, wenn wir erst hinüberkommen!" Drüben
war jetzt eine sichtliche Bestürzuug zu bemerken; die Soldaten
wimmelten regellos wie in einem Ameisenhaufen hin und
her; wie sich spätcr herausstellte, habcn sie die Stärke der
deutschcn Abteilungen bedeutcnd überschätzt. Jedes Rangieren
unserer deutschen Züge und jedes Hurra-Rufen unserer deut-
schen Soldaten ließ drüben die Vermutung erstehen, es sei
wieder ein Bataillon oder gar ein Regiment unserer deut-
schen Truppen eingetroffen. Dic Spannung in Skalmierschütz
vergrößerte sich unterdes immer mehr und stieg auf den Höhe-
punkt, als Sonnabend, den 1. August, Abends 6Uhr bekannt
wurde, daß unser Kaiser die allgemeine Mobilmachunq angc-
ordnet habe. Allgemein erwartete man für diese lüacht einen
russischcn Angriff, und wie sollten unsere winzigen deutschen
Abteilungen den russischen Rcgimentern Widerstand leisten
können? Die Diakonissen, die hier für Kleinkinderschule und
Gemeindepflege angestellt sind, kamen voller Angst ins Pfarr-
haus und wollten dort die Nacht zubringen; viele Leute gin-
aen nicht schlafen, um für alle Fälle gerüstet zu sein; auf dem
Skalmierschützer Bahnhof wurden die Lichter gelöscht, weil er
ja dem Bombardement cinen hervorragenden Zielpunkt ge-
boten haben würde. Die preußischen Soldaten und auch die
Zollbeamten verbrachten die Nacht hintcr allen möglichen
Deckungen, einige Zvllbeamte bis an die Zähne gewaffnet hin-
ter einer Haferstiege, um einem russischen Reiteruberfall wirk-
sam begegnen und die einrückenden Feinde ins Feuer nehmen
zu können. So verging die lllacht bis früh um 4 Uhr. Da
erdröhnte plötzlich die Lust, anscheinend von russischen
Schüssen, die aus nächster Nähe abgefeuert sein mußten.
Angstvoll verließen die Bewohner die Betten. Den alten er-
fahrenen Soldaten, u. a. dem evangelischen Gcistlichen, der
1870/71 die Belagerung von Paris mitgemacht hatte, fiel es
freilich gleich nach den ersten Schüssen auf, daß das Zischcn
der durch die Luft sausenden Eranaten und der nochmaliqe
Knall bei ihrem Aufschlagcn nicht zu hören waren, daß alfo
vielmehr Sprengungen zu mutmaßen seien als Artillerieangriffe
und Bombardements. Aber wo war die Möglichkeit, die auf-
geregte mit den notwendigsten Habseligkeiten aus ihren Häusern
auf die Straße stürzende Bewohnerschast zu bcruhigen? Zumal
Schuß auf Schuß erdröhnte und die scheinbare Beschießung
immer näher zu kommen schien. „Fort, fort!" war die einzige
Losung. Endlich gelang es, den Bewohnern eine richtige
Auffassung der Sachlage bcizubringen. Die Russen hatten
zwischen 4 und 5 Uhr mit 16 Sprengschüssen die sämtlichen
Bahnunterführungen zwischen Skalmierschütz und Kalisch ge-
sprcngt. Hinter Skalmierschütz fällt nämlich das Gelände in
das Prosnatal ab, und deshalb ist ein ziemlich hoher Bahn-
damm aufgeschüttet, der auf dieser 6 Kilometer langen Strecke
wohl ein Dutzend oder mehr Durchlässe aufwcist. Nicht nur
diese waren zertrümmert worden, sondern auch den Kalischer
Bahnhof setzten die Russen in Brand, wie unsere Soldaten bald
an den ungeheuren Rauchwolken ersehen konnten. Jnzwischen
wurde auch durch die Meldungen unserer dcutschen Doppelposten
bekannt, daß die russischen Grenzwachen abgezogen waren; ihre
letzten Worte waren: „Schießt nicht auf uns; wir gehen jetzt
zurück!" Auch die russischen Zollbeamten bei Szczypiorno warcn
sämtlich abgerückt mit Ausnahme eines einzigen. Unsere deut-
schen Soldaten zogen nun hinüber und sahen, daß auch die
Szczypiornoer Einwohner ihre Wohnstätten verlassen hatten
und daß dic dortige Kaserne leer stand; auch alle Vorräte
waren zurückgeblieben. Mit dem heranbrechenden Sonntag-
morgen wich nun die beklcmmendc Alblast der Skalmicrschützer
Bewohner; wie die Midianiter vor den 300 Mann Gideons, so
waren die russischen Rcgimenter, Behörden und Beamten, Po-
lizisten und Gendarmen in blindem Schrecken geflohen. Jn
Russisch-Polen bedeutet das noch etwas mehr, als es in
Deutschland bedeuten würde; weicht dort die Staatsmacht, so
hausen die Banditen, und Raub und Mord herrschen. So
war es auch in dem unglücklichen, von allem Schntze verlasse-
nen Kalisch. Bald erschienen von dort Abgesandte mit der
flehentlichen Bitte, die Preußen möchten doch cine Patrouille
herüberschicken und etwas Recht und Ordnung schaffen; denn
schon seien Gewalttaten vorgekommen, und das Schlimmste
sei zu befürchten. Eine preußische Manen-Patrouille tat dies
auch und fand überall das Land vom Feinde leer, die Bahn
zerstört, den Bahnhof brcnnend, die Stadt Kalisch in wilder
Unordnung und heller Aufregung; sie brachte die Nachricht
zurück, daß die Russen sehr weit hinter die Grenze zurück-
gegangen seien. Ja, es scheint, daß sie das offene Land bis
unter die Kanonen der Warschauer Forts hin räumen. Eine
eigentümliche Fügung, daß die Bewohner von Kalisch,
fast ausschließlich Polen, nun die ihncn so verhaßten und
von ihnen in der ganzen Welt, besonders in den
englischen und französischen Zoitungen, verleumdoten Preu-
ßen, um Schutz nnd Hilse anflehen müssen! Der Verkehr
auf der Eisenbahn hatte noch bis Mittwoch den 29. Juli an-
gedauert; Donnerstag ließen die Russen bereits keine Reisenden
mehr hinüber. Jmmerhin war es an dicsem Tage noch mög-
lich, über die oben beschilderte Mggatka „nch Rußland zu
kommen. Wer also in Skalmierschütz ausstieg, zu Fuß oder
zu Wagen den Weg nach Kalisch zurücklegte und sich dort in
den Eisenbahnwagen setzte, konnte noch nach Rußland zurück.
Freitag früh, also bereits Is^ Tage vor der deutschen Mobil-
machung, wurde aberdie Rogatka gespcrrt, und die letzte Möglich-
keit für die zahlreichen aus Deutschland in die Heimat oilenden
Russen, bei Skalmierschütz über die Grenze zu kommen, schwand
dahin. Wir haben eine ganze Anzahl solcher Leute gesprochen:
ein deutscher Kaufmann aus Lodz, dor aus dem Bade Harz-
burg zurückkam, mußte wieder umkchren, ebenso wartet eine
doutsche Pastorwitwe aus Kiew, dio in Wiesbaden zur Kur
gewesen war, in Skalmierschütz günstigere Zeiten ab. Ein
polnischer Arbciter ist eben aus Amerika zurückgekehrt und so
schnell wie möglich von Hamburg nach Skalmierschütz gofahren.
Zu spät! Er muß sehen, wo er in Deutschland Arbeit findet
(und daran wird es ja nicht mangeln, wo so viele Arbeits-
kräfte zum Heere eingezogen worden sind), und seine Frau
und seine fünf Kinder in dem Sieradzer Kreise harren vcr-
geblich auf ihren Ernährer. Die deutschen Truppen, die nun
natürlich wegcn der Spionengefahr erst recht nieniand hinüber-
lassen können, haben hundert Schritt vor der Grenzkette eine
Bretterwand errichtet, um die Zivilbevölkerung auf alle Fälle
vor Grcnzüberschreitungen zurückzuhalten. Vor der Brctter-
wand staut stch die Flut der Neugierigen, die in das wic aus-
gestorben liegende russische Reich hineinsehen. Unsere hecht-
grauen Jungen allein sind zu erblicken; zu Fuß und auf
Motorrädern schwirren sie hin und her. Noch Sonntagnach-
mittag sah man die Rauchwolken des Kalischer Bahnhofes.
Aehnliche Meldungen hört man auch aus anderen Grenzorten.
Es scheint wie ein Schrecken über unsere Feinde gekominen zu
sein. Sie haben eben eine ganz gehöriqe Achtnng vor unserer
deutschen Heeresmacht — die Herren Moskowiter!
Fahr Frieden hin!
Von Johs. Höffner. !
l Nun brach der Tag
Der Rache an.
Auf! Schlag um Schlag,
Mann gegen Mann!
Fahr Frieden hin Tod ist Gewinn!
Und Schwert heraus! Trumpf Herzendaus! g