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Nr. 8. Seitc 2,

kompagnie für das Gefecht. Was sollte auch werden, wenn
wir in einer Feldschlacht vernichtet würden und noch ein Flutz
überbrückt werden mügte? Also wir lagen im Chausseegraben
die ganze Nacht mit sieben Gruppen, das sind siebenmal acht
Mann, bei jeder Gruppe ein Unterosfizier. Je ein Mann
mußte wachen, die Lbrigen lagen krumm wie die Hunde in
Mantel oder Zeltbahn gewickelt und schliefen, so gut es ging.
Radfahrer uno Motorfahrer, die vorbeifuhren, wurden ange-
rufen: Halt, wer da? und wurden wütend, daß sie halten
mußten.

Für gewöhnlich war alles ruhig, mitunter nur erhob fich
ein fürchterliches Gewehrknatter. Die Kugeln sauften über
unsere Köpfe durch die Baumkronen.

Am nächsten Tage kam Befehl von der Division, aber nicht
etwa irgendwie anzugreifen, sondern dem Reserve-Jnfanterie-
regiment zu folgen und der Division zur Verfügung zu stehen.

Auf solche Weise gelangten wir heute in das hübsche Lager
bei Genly, nachdem wir einen nächtlichen Umgehungsmarsch
gemacht hatten, so daß wir jetzt im Nordwesten von Maubeuge
stehen. Ob es glücken wird, alle Engländer und Franzosen
in und vor Maubeuge einzuschließen? Am nächsten Abend
ging's weiter und schließlich in südlicher Richtuna bis zum
Holz Bois de Tilleul bei Sars la Bruyere. Hier ist ein Sack,
wo die Enaländer durchbrechen könnten. Die Pioniere haben
daher den Waldrand und das Vorgelände durch Hindernisse zu
sperren. Hecken werden heruntergeschlagen, um für die Jn-
fanteristen in den Schützengräben freies Schußfeld herzustellen.
Ein Maschinengewehr steht an der Chaussee. Da plötzlich ren-
nen die Infanteristen in ihre Stellungen. Wir müffen unsere
schon vorgeschrittenen Arbeiten abbrechen und sammeln uns
im Gehölz, stehen bereit, warten auf Befehl, während vor
uns Gewehre und Kanonen schießen. Man hat sich an den
Betrieb gewöhnt.

Die Feldküche fährt in den Wald -und verabreicht uns
eine Portion Erbsensuppe mit Fettstücken, dazu ein Stück Brot
mit Schmalz und nachher sogar einen Becher Kaffee, wie beim
feinsten Diner. Dann rücke ich mit meinem Zuge ab, um
größere Drahthindernisse, Schützengräben und Astverhaue her-
stellen zu lassen, und wenn es bis zwölf Uhr nachts dauerte!
Da wird denn losgearbeitet: Pfähle geholt, Draht, womit die
Felder eingefriedigt find, wird durchgeknackt und herausgezogen,
Busch heruntergeschlagen, ein Bach gestaut und das Bett mit
Astverhau ausgefüllt.

Wir erfahren, es hätte vorhin ein Bataillon, diesmal nur
Franzosen, einen Norstoß gemacht, wäre aber auf Gewehr-
feuer einer Kompagnie Jnfanterre und ein paar Artillerie-
schüsse hier fluchtartig zurückgegangen.

Wir arbeiten weiter. Aber dann kommt der Befehl:
Alles aufhalten und sammeln an der Chaussee! Und da fahren
und reiten und wandern wieder alle Truppen in bester Laune
— denn in dreiviertel Stunden sind wir in Frankreich.

Also der erste Akt ist vollenoet, nachdem Namur gefallen
ist. Soviel haben wir jetzt gehört. Belgien habe ich also zu
Fuß durchquert. Wir freuen uns alle fehr auf Frankreich. Die
Belgier waren ja dumm genug, geaen uns zu kämpsen. Jetzt
kommen die Franzosen, unsere Erzfeinde, die uns ;a nie zu-
frieden lassen können. Sie werden es bald merken, was wir
können. heute habe ich schon einen französischen Verwundeten
gesehen, von der Kolonial-Jnfanterie: blaue Mütze mit Anker.

... Von den Engländern haben wir ein Buch erbeutet
mit vielen nützlichen Redensarten in Französisch-Englisch.
Das kommt uns sehr zustatten. Eine Reihe Leute haben feine
erbeutete englische Militärmäntel angelegt, oder englische Wickel-
gamaschen, oder auch feine schwarze Schnürschuhe.

Übrigens kam auch schon der erste Franzose als Gefange-
ner, der mir erklärt: „Uienx prisonnier que ck'stre tuö."
Ein schöner Grundsatz.

Am nächsten Morgen wieder ging es von neuem daran,
das Schußfelv für Jnfanterie freizumachen, Bäume nieder-
zuschlagen und Hindernisse anzulegen. Ich ging mit zwanzig
Mann ins Dorf und holte Draht, soviel wir tragen konnten.
Schließlich fanden wir einen Wagen, beluden ihn und konnten
auf solche Weise eine schöne Menge befördern. Ein größeres
Haus am Wege war furchtbar zugerichtet. Es sah schauerlich
aus. Alle Sachen, Möbel, Kleider, Küchengeschirr, Stroh, alles
lag wüst durcheinander. Zwischen dem ganzen Wust sah ich
in einer Ecke auch ein Klavier. Jch probierte es, und es war
sehr schön und krästig: den Radetzky-Marsch habe ich gespielt
zur Aufheiterung der Mannschaften, die danach vergnügt mit
ihrem Drahtwagen weitertrotteten.

Am Nachmittag sollten wir weiter arbeiten und hatten
uns schon in einem großen Eisenwerk häuslich eingerichtet.
Da hieß es: Aufhören und weiterrücken! Nachmittags waren
wir in unserer neuen Stellung bei Maubeuge, konnten aber
nichts anfangen, weil ein fürchterliches Gewitter einsetzte. Links
vor uns brannte ein Heudiemen und rechts vor uns ein Haus.
Prächtige Blitze! Wir wurden ziemlich durchnäßt, und dann
ging's wieder vorwärts. Grad Zeit zum Waschen und Trocken-
machen war noch. Auch aßen wir noch im letzten Augenblick

Gänsebraten, Kartoffeln und Rotkohl. Und dann auf und in
die Nacht hinein. Wagen, Pferde, Soldaten, alles fädelt stch in
richtiger Marschordnung ein nach Bavai, auf einer langen
geraden Straße, links Wald, schließlich abgeschwenkt und in
Fontaine au Bois Quartier in einem großen Hofe. Aber
was für ein Mistweg und dann im Dunkeln. Jch humpelte
zuletzt nur noch. Den Tornister wurde ich auf einem Wagen
los, und die letzte Strecke stellte mir der Oberarzt sein Pferd
zur Nerfügung, ein nettes braunes Tier. Aber da fingen die
Schmerzen erst an. Nach kurzer Zeit werden die Muskeln sich
daran gewöhnt haben, mehr zu leisten. Gestern rückten wir
erst vormittags aus. Zum ersten Male ging ich auf dem
Marsche mit Schnürschuhen unv Gamaschen. Es war wieder
schönes Wetter, wenn auch etwas heiß. Nach anderthalb Stun-
den waren wir in Le Cateau. Es hatte dort ein größeres
Gefecht stattgefunden und mehrere Häuser brannten noch in
dem Städtchen. Am Wege lagen tote Pferde, in der Stadt
saßen verwundete Soldaten vor den Türen: 3000 Engländer
und Franzosen sind durch die Umgehungsbewegung gefangen
genommen worden. Artilleriegeschütze und zahlreiche Maschinen-
aewehre wurden erbeutet. Auf der Straße stand noch ein Wagen
bis oben an mit stanzösischen Spaten und anderem Schanz-
zeug beladen. Wir marschierten genau in südwestlicher Rich-
tung auf der alten Römerstraße weiter, die nach Parrs
führt — es sind bis dahin vielleicht sechs Tagemärsche. Auf
einem omnibusartigen Bagagewagen stand schon von Soldaten-
hand, aber korrekt: Richtung Paris. Die Belagerung von
Maubeuge, für die wir zuerst angesetzt waren, übernehmen die
hinter uns kommenden Reserven.

Wir marschieren, da wir uns im Gefolge der anderen
Truppenteile befinden, ohne Sicherung, stiedensmäßig. Es
handelt sich nur darum, vorwärts zu drängen.

Leider reicht die von Vater gesandte Landkarte nicht mehr
aus. Jch werde aber versuchen, eine zu „requirieren". Die
Zeitungen haben mich sehr gesteut, auch die anderen Herren.
Ebenso hat man Hunzingers Kriegspredigten, die Du sandtest,
mit großem Jntereffe gelesen.

29. August.

Dieser Brief ist morgens zehn Uhr geschrieben, während
wir auf und neben der Straße warten, lns stir alle Truppen
der Besehl zum Aufbruch erfolgt.

Zwei anstrengende Nachtmärsche haben wir hinter uns.
Bei Frieruc (belgisch) — Gagies (französisch) Lberschritten wir
die Grenze, und bei Nacht und Nebel ging es bis tzon, wo
wir bei Regen Zelte aufschlugen. Es war gräßlich ungemüt-
lich, ehe wir glücklich unterkriechen konnten.

Gestern ging es bis Beauvais; wir kamen bei einem
französtschen Bauern unter und aßen Kaninchen in Sauer ge-
kocht, ganz tzut und schmackhast. Aber schon um zwei Uhr
nachts plötzlich Alarm. Also im Dunkeln 'raus und nun einen
großen Marsch nach St. Quentin, einer ansehnlichen Stadt,
wo überall Männer, Frauen und Kinder vor den Türen
standen; die meisten mit ängstlichem Gesichtsausdruck, danach
ohne Aufenthalt nach Homblreres und Richtung Origny.

Der Hauptmann und der Oberleutnant waren vorgeritten,
der zweite Leutnant war auch davongetrabt, um Bretter usw.
aufzutreiben, so war ich allein mit der Kompagnie. Der
Hauptmann hatte mir gesagt, daß ich mit der Kompagnie
nach Origny kommen sollte, der Oberleutnant bei seinem
Wegreiten mir zugerustn: „Sie gehen hinter den ...ern her!"
Dann kam noch ern Motorfahrer und bestellte, ich sollte vor-
rücken, sobald oie Jnfanterie Pause machte. Als ich aber der
Jnfanterie folge, geht die Gesellschaft einen anderen Weg;
das sollte der Motorfahrer mir melden; er erreichte uns aber
erst, als wir schon einen kleinen hübschen schattigen Umweg
um ein Gehölz gemacht hatten.

Nun sitzen wir hier in Lucy nahe bei Origny an der
Oise. Andere Pioniere haben Reservebrücken hergestellt. Mi-
litärflieger sind schon ganz gewöhnliche Erschemungen. Heute
sah ich gerade einen aufsteigen. Wir warten im Schatten
nach anstrengendem Marsche, denn wir waren seit morgens
zwei Uhr unterwegs.

Vor uns tobt der Kampf. Wir kommen am Flügel mit
der ganzen Division zu Hilse, um die Entscheidung herbei-
zuführen. Es scheint sich nunmehr etwas Großes vorzuberei-
ten. Dreieinhalb deutsche (wie man sagt) und sechs ftanzö-
sische Armeekorps stehen sich gegenüber.

Das Gebiet der alten Römerstraße zeigt viele tote Pferde
der Engländer, ebenso englische Autos, die defekt geworden
waren, meist kolossale Dinger. Ein Jnfanterist öffnete eng-
lische Büchsen, um, wie er meinte, die schönsten Konserven ver-
teilen zu können; aber es war Sprengmunition! Eng-
lische sehr gute graugrüne Mäntel, auch MLtzen und Patro-
nen liegen zahlreich am We'ge umher. Bei St. Quentin sahen
wir blaue französtsche Jnfanterie-Uniformen am Wege, vom
10. Regiment. Die Franzosen stnd aber andere Gegner als
diese blöden Belgier. Es ist ein ernster Kampf.

(Forlsetzung foltzt.)
 
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