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Seite 3« «««««««««««««««««««««««««««««««««««««««««««««« «r.».

wollte er sterben, als von Einbildungen leben. Das Nieder»
drückendste für ihn aber war die haltlose Natur dieser Leute,
die ohne Gestalt und ohne Tiefe war. Man wußte nicht, wv
man sie anpacken sollte. Da ist der verbohrte Widerstand
eines lener dick- und hartschädligen Geschlechter noch besser, die
keinen neuen Gedanken begreifen wollen. Gegen Kraft ge-
braucht man Kraft, Hacke und Mine, die den Fels schleifen
und sprengen. Was aber soll man gegen eine gestaltlose Masse
ausrichten, die wie Gallert nachgibt, bei leisester Berührung
einsinkt und doch keinen Eindruck bewahrt?

„Feinde waren das nicht. Es waren Leute, die weder
die Kraft zu lieben noch zu hassen hatten, weder zu glauben
noch nicht zu glauben, so m Religion, in Kunst, in Politik, im
täglichen Leben; ihre ganze Kraft gab sich darin aus, das Un-
vereinbare zu vereinen. Besonders seit den deutschen Siegen
taten sie alles, um Kompromisse zu schließen, einen widerlichen
Mischmasch aus neuer Macht und alten Grundsätzen zuftande
zu bringen. Auf den alte« Jdealismus wollte man nicht ver-
zichten, das wäre eine Tat des Freimuts gewesen, zu dem
man nicht fähig war. Man hatte stch, um ihn den deutschen
Interessen dienstbar zu machen, damit begnügt, ihn zu ver-
fälschen. Man folgte dem Beispiel Hegels, des heiter doppel-
züngigen Schwaben, der Leipzig und Waterloo abgewartet
hatte, um den Grundgedanken seinerPhilosophie dem preußischen
Staat anzupassen, und änderte jetzt, nachdem die Jnteressen
andere geworden waren, auch die Prinzipien. War man ge-
schlagen, so sagte man, Deutschlands Ideal sei die Mensch-
heit. Jetzt, wo man die andern schlug, hieß es, Deutschland
sei das Jdeal der Menschheit. Solange die anderen Länder
die mächtigen waren, rief man mit Lessing, daß die Bater-
landsliebe eine heroische Schwäche sei, die man sehr gut ent-
behren könne, und man nannte sich Weltbürger. Jetzt, da
man den Sieg davontrug, konnte man nicht genug Verachtung
für die „franzöfischen Utopien- aufbringen: als da sind Welt-
frieden, Brüderlichkeit, friedlicher Fortschritt, Menschenrechte,
natürliche Gleichheit; man sagte, das stärkste Volk habe den
anderen gegenüber ein absolutes Recht, während die anderen
als die schwächeren ihm gegenüber rechtlos seien. Es schien
der lebendige Gott und der fleischgewordene Geist zu sein,
dessen Fortschritt stch durch Krieg, Gewalttat und Unter-
drückung vollzog." Dies Bild hat ein Schriftsteller den Fran-
zosen entworfen, den wir mit der uns anhaftenden Selbst-
erniedrigung gepriesen und der Welt als Genie und wahrhaft
deutschen Geist und selige Verbindung zwischen uns und Frank-
reich verkündet haben. Es ift doch wohl kaum möglich, daß
alle die begeisterten Verkünder Romain Rollands das Buch
so oberflächlich gelesen haben, um Lber dieses Zerrbild hinweg-
zusehen. Dies ist ein einzelner, aber hinter ihm steht die
Masie. . Ebenso wie der Held des Buches mitansteht, wie
ein Siebzigjähriger, Universitätsprofessor von erstem Rang,
„in knechtischec Unterwürfigkeit" vor einem blutjungen Leut-
nant den Bürgersteig fteigibt und darüber eine Wut gegen
den brutalen Militarismus faßt und aus Deutschland flieht,
um freier Franzose zu werden, so hetzten in Paris und in den
Provinzen Tausend von ebensowohl unterrichteten Leuten gegen
ein Deutschland, das als drohender machtgieriger Raubstaat
in ihrer Vorstellung lebte. Seit vielen Jahren wird das Land
mit aufreizenden Bildern «nd Flugschriften Lberflutet und wie
jener bei uns so gefeierte Rolland in versteckter Art die Desertion
deutscher Soldaten predigt, fo wurden, zumal die Grenzlande,
zum Gegenstand einer plamnäßigen Bearbeitung. Auch unter
den bildenden Künstlern haben stch neben den zahlreichen un-
bedeutenden Leuten vom Schlage des wohlbekannten Hansi,
dessen Tornister man übrigens mit einer Menae Karikaturen
vollgepftopft kürzlich erbeutet hat, auch wirkliche Begabungen
in den Dienst der verwerflichen Sache gestellt. S» waren Jahr
um Jahr im Salon, der großen Kunstausstellung in Paris,
zahlreiche BUder zu sehen, die allein schon durch den rein
anekdotischen Jnhalt volkstümlich zu werden Aussicht hatten,
indem sie teils durch eine Elsaßschleife, teils durch ein Flug-
zeug den Zorn des gallischen Hahns immer aufs neue erregten,
denn diese Gegenstände erwiesen sich dazu so geeignet, wie ein
rotes Tuch für dieses Tier im allgemeinen. Aber abgesehen
von dergleichen platten Erzeugnissen mittelmäßiger Künsiler,
sind eine Reihe wahrhast schöner und durch ihre tiefe Snm-
bolik jedes ftanzösische Herz ergreifende Bilder auch zu diesem
Zweck entstanden und durch Vervielfältigungen besonders auf
Postkarten in die entlegensten Orte geworsen worden. Den
größten »nd künstlerischen Ruhm gewann dabei ein Werk
Debat-Ponsans: „Oux qui veillent". In einer stürmischen
dunklen Herbstlandschast hält ein Gardisi zwei unruhige,
schwarze Gäule. Ein hoher Offizier, gleichfalls abgesesien,
späht mit dem Glas nach Deutschland hinein, und in den
Wolken über ihnen beobachtet ein Militärflieger das Grenz-
gebiet. Der Eindruck ist durch die hervorragende Wiedergabe
der vor Wachsamkeit und Ungeduld zitternden allegorischen Rosse
sehr stark. Die Mehrzahl der Bilder ist in der Art Vautiers
und Pilotys gehalten: der in Gram versunkene riesige Elsäsier

Landmann, der, die Trikolore im Arm, das Antlitz in der
schwieligen Hand verborgen, dasitzt, Lber ihm hängt unter
Glas und Rahmen das Kreuz der Ehrenlegion, und Weib
und Kind machen im Hintergrunde trauernd Figur. Das
Land ist deutsch geworden, und der Elsäsier nimmt trüuernd
Abschied von den geliebten Farben Franfteichs. Oder der
hinter Garben kauernde Desetteur mit dem Napoleonskopf,
den ftanzösische Schnitter, auf ihre Sensen gestützt, schützend
umstehen und den von der Grenze nahenden deutschen Land-
jägern entgeaenrufen: Er ist in Frankeich! Häufiger erscheint
auch der tiefgebeugte Jüngling, der vor der Desertion Ab-
schied vom greisen Elternpaar nimmt; des bessern Eindrucks
wegen stnd die Leute so alt und ehrwürdig, daß ste auch die
Urgroßeltern des jungen Menschen sein könnten. Oder es wird
auch eine drohende Menge, um einen Grenzpfahl gerottet, dar-
gestellt, die voll Zorn zusteht, wie zwei ftanzösische Grenz-
wächter einen Kurzwarenhändler anhalten und verhören, dem
man am teutonischen Kopf und der betont steifen Körperhal-
tung auf tausend Schritt den verkleideten Leutnant ansieht.
Das Bild heißt: Der Spion. Gern auch werden Posten in
einer malerischen Grenzgegend aufgestellt, an denen Geister-
erscheinungen vorüberwandeln, bald das weinende Elsaß als
verwunschene Prinzessin, die stch die Hände nach Erlösung wund
ringt, bald ein lichtumflosiener Krieger der Revolutionszeit,
der dem Soldaten mit anfeuernder Gebärde und deutendem
Säbel das Land jenseits zeigt: ,Ouvre I'oeil, petit." Darunter
steht 1792, das Zahr, in dem die Nationalversammlung den
noch deutsch gebliebenen Rest Elsaß-Lothringens an sich riß,
daneben 19— ?, das Hoffnungsjahr der französtschen Sehnsucht
nach Wiedergewinn. Wir hoffen, daß dies jetzt angebrochene
Jahr Frankeich etwas anderes bringen wird als das Elsaß.
Auch die Frauen werden mobil gemacht, und die hübschen
Wäscherinnen Elsaß-Lothringens gehen den tumben deutschen
Soldaten, die ihnen galant Sträußchen ins Fenster reichen
wollen, mit geschwungenem Besen, Laugeneimern und hand-
lichen Plätteisen tapfer zu Leibe. Ein letztes Bild ist im Salon
1912 ausgestellt gewesen: ..OiseLU <ie krsnce", das in sehr
malerischer Gruppe das elsässtsche Landvolk vom Jüngling bis
zum Greis am Stabe und bis zum Schwerkranken auf der
Bahre um den bekannten Grenzpfahl gedrängt dem ftan-
zöstschen Flieger zujauchzen läßt.

Auch die Bildhauer haben auf zahlreichen Reliefs den
Revanchegedanken schüren helfen. Meist blicken Mädchen mit
Elsaßschleifen in einem HLbschen Panorama ftanzösischen Flug-
eugen sehnsuchtsvoll entgegen; ein andermal richtet sich der
!öwe von Belfort auf und brüllt über die Zitadelle weg nach
Deutschland hinüber: Nicht soviel Lärm da drüben! Er ist
von dem Skandal, den wir Lber Agadir machen, in seinem
Schlummer gestört und will zeigen, daß er auf dem Posten
ist. Wie wird ihm erst werden, wenn er jetzt die Brummer
donnern hört?

Das Unverhüllteste und Aufteizendste ist ein Relief, das
in einer Gruppe die porträtgetreu wiedergegebenen vier Balkan-
fürsten, den Bulgaren, den Griechen, den Montenegriner und
den edlen Serben hinter ihren stegreichen Geschützen zeigt, wie
ste auf ein Schlachtfeld voll hingestreckter Türken blicken. Jn
den Wolken erscheint der ruhmvolle Schatten Napoleons und
bemerkt in Anerkennung der Besieger der deutschen Taktik, die
in der Türkei stch so elend bewährt habe: Voilä äes boinmes.
Auf die zahlreichen zotenhasten und üblen anderen Dar-
stellungen einzugehen erübrigt sich. Nur eine Karte mag noch
erwähnt sein: der abgemaaerte und einem Lämmergeier sehr
ähnlich gewordene preußische Adler, den die deutschen Staaten
als hungernde Junge fchreiend um Nahrung angehen, bricht
sorgenvoll in den Klageruf aus: Der Franzose hat die Luft
erobert, der Engländer das Meer, ach, was bleibt uns? Da ist
denn freilich kein Wunder, wenn wir landhungrig werden.

Wie eifrig die ftanzöstsche Regierung auch in Belgien,
besonders durch überschwemmung des Landes mit aufteizenden
ftanzöstschen Films, auf den Krieg hingearbeitet hat, ist durch
Berichte verftiebener Deutscher genügend bekannt geworden.
Eine hübsche Selbstironie ist dadei, vaß auf fast allen Dar-
stellungen der urdeutsche alemannische Typus mit rundeni
Schädel und hellblondem Haar bei den so heiß nach Frank-
reich begehrenden Elsäffern und Lothringern zum Äusdruck
kommt. Vielfach ist der Titel auch in russtscher und englischer
Sprache gegeben.

Wohl mag diesen Hetzern nun angst und bange werden
beim Anblick des namenlosen Unglücks, das aus ihrer Schier-
lingssaat in ihrem Lande aufgeht, und da Franfteich einsehen
muß, daß seine Jeanne d'Arc, die auf einer der Karten dem
kallenden deutschen Reichsadler vom Roß herab den preußi-
schen Helm vom Kopf stößt und ihn selbst mit der Lanze in
den Boden nagelt, eben eine Wahnvorstellung geblieben ist,
daß es nun den Sturm erntet, den seine besten sorvohl wie
die schlechtesten Gleichwilligen mit ihren windigen Hetzereien
gesät haben. Natürlich muß man aber den bedeutenden Geistern
Verblendung und Verhetzung am schwersten anrechnen.
_ Johannes Höffner.


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