Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Sritrll Nr. 7.

„Es ist das Zimmer," flüsterte Napoleon, „es ist das
Zimmer, in dem der Kaiser damals seine Abdankung unter-
schrieben hat."

„Und was bedeutet das?"

„Jch weiß nicht," zögerte Napoleon, „ich weiß nicht
. .. die Leute im Schlotz reden allerlei."

„Wir haben in Deutschland eine Menge Schlotz-
gespenster," sagte Vismarck, „ich habe in vielen gotischen
Zimmern geschlafen, in denen sonst nur die weitzen Frauen
wohnen. Aber ich habe noch keine persönlichen Bekannt-
schaften schließen können. Sie weichen einem ehemaligen
Deichmeister aus."

Er schlich mit Jägervorficht weiter. Bisweilen schwand
der Lichtschimmer vor ihnen, dann blinkte er wiedcr auf.
Jetzt schlugen sie nafle Jasminranken zurück, traten hinaus
— leer und dunkel lag die Front des Schlofles nach links
und rechts in die Finsternis gedehnt.

„Dort drüben," sagte Bismarck und wies auf ein
Häuschen, das mit zwei erleuchteten Fenstern unter einer
Wand schwarzen Gebüsches unweit stand.

„Mein Gott, es ist wahr," seufzte der Kaiser erleich-
tert, „es war der Widerschein aus der Wohnung derGärt-
nergehilfen." ^

Bismarck hatte dem Geführten den Arm zurückgegeben,
der Abstand, den diese Regennacht für eine kurze Zett hin-
weggewischt hatte, lag wieder zwischen dem Kaiser und
dem Gesandten.

„Kommen Sie, die Kaiserin wartet auf uns!" sagte
Napoleon. Sie gingen einen gepflasterten Pfad um das
Gärtnerhäuschen herum, lenkten in den Hauptweg, durch--
schritten die hallenden Bogen eines hohen Tores, in dem
Hcrkules dastand, auf seine Keule gestützt, und Diana mit
einer Meute von Hunden. Da war der Jnnenhof, Licht
rann von allen Fenstern in ihn herab, Diener sprangen vor,
die Wache trat raflelnd unters Gewehr.

Sie schritten die breite Treppe empor, von der ihnen
ein roter Teppich entgegenfloß.

„Denken Sie über das nach," sagte der Kaiser, „was
ich Ihnen gefagt habe. Es lohnt vielleicht der Mühe."
Hohe Flügeltüren wichen vor ihnen, von den Decken hingen
Tropfsteingebilde ans Licht, eine Frau trat lächelnd auf
siezu.

Vismarck neigte sich vor der schönsten Frau Europas.

Ein paar Stunden danach stieg Bismarck die steile
Treppe der Pariser Gesandtenwohnung empor, diese Treppe,
die gewunden und unbequem war wie ein Aufstieg zu beson-
derer Seligkeit. Aber es erwartete den glücklichen über-
winder gar keine Seligkeit irgendwelcher Art, sondern Ein-
samkeit, Kälte und übler Geruch. In den Wänden saß der
Schwamm, und die französische Kultur, die sonst allerlei
Kleinigkeiten des täglichen Lebens mit großem Eifer nach-
zusinnen pflegte, hatte gerade jene Bequemlichkeiten nicht
sehr liebevoll bedacht, die das Nnvermeidliche durch den
Reiz der Sauberkeit erträglich machen können.

Bismarck durchschritt einige kleine Räume und trat
ins Schlafzimmer, ohne die unsichtbare Dienerschast herbei-
zurufen. Auf dem Nachttisch lag ein Brief, Roons frauen-
hast zierliche Züge versprachen Nachrichten aus Berlin.
Der ümschlag flog zerfetzt unter das Bett, Bismarcks Augen
riflen die Zeilen an fich. Nichts! Nichts! Versprechungen,
Vertröstungen, Umschweife,Wollen und Nichttönnen,Hohen-
lohe und Bernstorff und Schleinitz und Tod und Teufel
und sechstausend Manichäer. . .!

Bismarck sank ins Himmelbett. Das war das einzige
Geräumige im ganzen Haus und hätte für sechs preußische
Gesandte von Vismarcks Güte nebeneinander Platz gehabt.
Bismarck löschte das Licht, zog den Vorhang vor seine Ge-
danken und war im Augenblick der Heeresorganisation, der
liberalen Kammermehrheit und selbst Seiner Majestät, dem
König, entrückt.

K 88 «

14

Preußenbrauchte Soldaten; das war es, nichts weiter.
Es liefen sehr viele junge Leute herum, die man nicht in
des Königs Rock stecken durfte, weil die Zahl der Rekruten
voll war. Und so war es gekommen, daß bei der Mobil-
machung des Jahres 1869 sehr viele brave Landwehr-
männer hatten den Schießprügel ergreifen müflen, um sich
auch noch auf dem Felde der Ehre auszuzeichnen, nachdem
sie sich auf dem Felde der Ehe schon redlich abgerackert
hatten und das Vaterland ihnen als Gatten und Vätern
verpflichtet war. Und daß indeflen das junge Volk daheim-
bleiben und sich vergnügen durste.

Um dieRekruten, die neuenRegimenter und das Geld,
das dazu nötig war, ging der Handel. Und es war ein so
wenig ersteulicher Handel mit Vorbehalten und Hinterhalten
oben und unten, mit kleinlichen Geschäftskniffen, Leise-
tretereienund Mißverstehenwollen bei Regierung und Volks-
vertretung, daß sich Bismarck seiner angegriffenen Gesund-
heit entsann, um alledem zu entgehen. Er ließ Berlin Ber-
lin und Paris Paris sein, nahm einen Urlaub und fuhr ins
Sonnenland.

Da war es freilich erstaunlich, was in Bordeaur und
im Medoc für Weine wuchsen, von denen man weder in
Schönhausen, noch in Reinfelden, noch auch in den geseg-
neten Kellern der Suworow, Troubetzkoi oder Obolenski
eine Ahnung gehabt hatte. Wenn man so durch einige Lagen
hindurch immer tiefer in die dunkeln Gewölbe eingedrungen
war, bis dort, wo in den kleinsten Fäflern die ganz großen
Kostbarkeiten aufbewahtt wurden, da sahen alle Verdrieß-
lichkeiten allmählich wie singende junge Mädchen aus, die
ganze Zukunst war mit flatternden grünen Hoffnungsbänd-
chen herausgeputzt, und selbst die königlich preußische Dienst-
galeere hatte alle Wimpel aufgezogen und bollette drauflos,
als sollten die Gebuttstage sämtlicher Preußenkönige vom
allerersten bis auf Wilhelm herab auf einmal gefeiett werden.

Freilich, wenn dann die rosige Medocbrille abgelegt
war, dann war die Dienstgaleere wieder der alte, graue,
wurmstichige Kasten, mit dem man nichts Rechtes anzu-
fangen wußte, weil jeder insKommando dreinreden wollte,
und die Zukunst hatte ein Gesicht, wie vier Wochen Regen-
wetter, und inBerlin stank derparlamentattsche Unfug zum
Himmel. Da war es am besten, alles das wegzuwerfen wie
ein Bündel alterFetzen und aus einer Stunde in die andere
zu leben, mit keinem anderen Gedanken, als ihre sechzig
Minuten wie ein leichtes Gleiten in sich zu fühlen und für
nichts anderes die Sinne offen zu haben, als für die Schön-
heit dieser Welt.

Alte Schlöfler standen da, von jener vornehmen Schwer-
mut, die Bismarck in Fontainebleau zum erstenmal deutlich
verspütt hatte. Hier standen sie unter einem lodernden
Sonnenhimmel, aber die leise Trauer war dem Gemäuer
nicht auszutreiben. Dieseswehmütige Zusammensinken, das
in keiner deutschen Ruine so ans Gefühl trat. Jm zer-
fallensten deutschen Mauerrest konnte man denken, daß
man bloß unten aus dem Dorf ein paar Bauernburschen
zu holen oder sechs preußische Musketiere hineinzustellen
hatte, und der Trümmerhaufen würde wieder von strotzen-
dem Leben erfüllt sein. Hier aber saß die Vergänglichkeit
in eigener Person in den grasbewachsenen Burghösen und
war durch nichts hinauszukttegen.

In den Städten freilich war das Leben lustiger und
lärmvoller als anderswo in der Welt, das Lachen lief auf
allen Gaflen, unddieLiebe hatte große, schwarze, brennende
Augen und sprach von den Balkonen ganz unbekümmert
zu den Vorübergehenden. Jn San Sebastian kam man
schon recht ins Spanische herein mit Mantillen und Fan-
dango undSenores,die daherstiegen, als habejeder von ihnen
unter Fernando Cottez an der Eroberung Merikos teilge-
nommen. Die Pyrenäen bäumten sich auf, mit Schnee-
häuptern, Felsenzirkussen und Wasserfällen, mit einem Pic
du Midi, von dem man aber, wenn man im Nebel oben
stand, ebensowenig sah, wie vom Hügel über den Zampel-
 
Annotationen