Bismarcks Haus in Petersburg. Erinnerungen von Rudolf Braune,
Königlicher Strafanstaltspfarrer a. D.
Zur Pflege und Erziehung der Kinder, Marie, geb. am
21. August 1818, Herbert, geb. am 28. Dezember 1849 und
Bill, geb. am 1. August 1W2, die also damals 11, 10, 7 Jahre
alt waren, gehörte zum Hause noch Mademoiselle Jenny Fatio
aus Orbe bei Lausanne, die noch lange Iahre die treue Stütze
der Hausfrau im Bismarckschen Hause bleiben sollte. Erst
später in St. Petersburg kam dazu als Lehrerin FrSulein
Störich, die aber den Todeskeim der Schwindsucht in sich trug
und auch dieser Krankheit bald erlegen ift. Jn einem Briefe
an eine Freundin schreibt Frau von Bismarck über dieselbe:
„Ein reizendes MSdchen, die uns nach allen Direktionen hin
in jeder Beziehung wohlgesällt. Der Toktor fürchtet sehr eine
Abzehrung, und ich zitlere gleichfalls unendlich vor all diesen
Schrecknissen, die wir schon einmal mit dem ersten Lehrer
durchgemacht, und ick» möchte vergehen in Jammer und Klagen
um dies allerliebste iunge Wesen, das wir so lieb gewonnen
wie ein eigenes Kind." Der Ausdruck „wie ein eigenes Kind"
charakterisiert so recht Herz und Gemül von Bismarcks Frau.
Auch ich kann sagen, daß ich in all und jeder Hinsicht mich
wie ein Kind im Hause fühlen konnte, wie ja denn allezeit
der regste Anteil an meinen Familienangehörigen und an
meinem persönlichen Ergehen genommen wurde.
Die Bismarckschen Kinder standen entsprechend ihrem
Alter auf drei verschiedenen Stufen und hätten eigentlich in
drei Abteilungen unterrichtet werden müssen.
Jch bin ost gefragt worden, welcher von den Söhnen der
befähigtere gewesen sei, und ich habe immer nur sagen können,
dah jeder in seiner Art der befähigtere war. Herbert war
wohl tiefer und, wenn ich sagen darf, „ernster" veranlagt.
Er hatte größere Neigung für Geschichte. Bill war beweg-
licherer Art und faßte spielend die Sprachen. Jedenfalls kam
es sehr bald dazu, daß aus den drei Abteilungen nur eine
gebildet werden konnte.
Jch darf, wenn auch mit einigem Erröten, ein Zeugnis
vorweg anführen, das Frnu von Bismarck bald nach meinem
Eintritt in Petersburg Lber mich ausgestellt hat in eincm
Briefe, den Frau von Cell in dem Buche „Fürst Bismarcks
Frau" mitgeteilt hat: „Der neue Lehrer ist ein recht ange-
nehmer. scharmanter Jüngling, der sich durch sein frisches, hei-
teres Wesen die Licbe der Kinder erwirbt und sich mit ruhiger
Entschiedenheit doch in gehörigen Respekt zu sctzen weiß. Sie
lernen alle möglichen kopfzerbrechenden Dinge mit großem
Eifer, Mathematik, Latein usw., und spielen in der Zwischen-
zeit höchst selig mit allerlei Getier, mit Menschen und Puppen,
von denen ihuen Unmassen zu Gebote stehen." Selbstredend
waren bei den Knaben „die Puppen" Bleisoldaten, die fleißig
miteinander KSmpse auszufechten hatten.
Tesgleichen hat auch der FLrst selbst sich geäußert in einem
Briefe an seinen Bruder: „Mit dem neuen Lehrer bin ich
recht zufrieden, Bcrliner von Natur, etwas Pedant, läßt aber
mit stch reden." Die Außerung „läßt aber mit sich reden"
gehört in die Petersburger Zeit und wird später zu erläu-
tern sein.
Von Hohendors aus wurden gelegentlich auch Ausflüge
unternommen, so am M. April nach dem Oberländischen Ka-
nal mit der schiefen Ebene zum Drausen-See, und äm 15. Mai
nach der Marienburg in Gesellschaft des Herrn von Puttkamer,
der Frau von Bismarck, des Herrn von Poyda und des Bau-
meisters Michaelis.
Am 90. Mai erfolgte die Abreise von Hohendorf zunächst
nach Königsberg, wo Nachtquartier im Deutschen Hause ge-
nommen wurde.
Es war erklärlich, daß ich die Zeit bis zum Abendessen
benutzte zu einer kleinen Umschau mit meinen beiden Zög-
lingen in der Stadt Kants. Der Spaziergang hatte stch wohl
etwas länger ausgedehnt als erwartet wurde — kurz, ich
wurde bei der RLckkehr besonders von der Mutter mit etwas
verängsteten Gesichtszügen empfangen.
Außer den zuvor erwähnten Persönlichkeiten gehörten nicht
selten zu den Gästen in dem stets gastfteien Hause in Peters-
burg unser Militärbevollmäckstigter am Petersburger Hofe von
Loen und der würtiembergische Eesandte von Spitzemberg.
Letzterer stellte sich öfter unvermutet zu Tische ein. Es ging
ja niemfts etwa knapp zu bei Tische — nicht selten wurden
doch Delikatessen mancher Art reichlich aufgetischt — und wäre
stcher auch niemand zu kurz gekommen, wenn außer Spitzem-
berg noch ein anderer Gast in die Suppe gefallen wäre.
Bismarcks Regel lautete in solchem Falle „eine Flasche mehr
und einen Teller mehr" — aber die vorsorgliche Hausfrau
dachte doch in solchem Falle nicht minder praktisch, und infolge-
desseN erhielt, wenn Cpitzemberg kam, der Diener — es war
der treue Engel — den Anftrag: „Sagen Sie dem Koch, daß
er einen .Spitzemberg' backen soll." Herr von Spitzemberg aß
nämlich für sein Leben gern Eierkuchen, die man anderswo
auch wohl Psannkuchen nennt und die der Koch in vorzüg-
licher Eüte zu backen verftand. Dem gern gesehenen Gast zu
Ehren erhielt dann das leckere Gebäck den Namen „Spitzem-
berg". Es zeugt von der Herzlichkeit des Verkehres, daß der
Koch reichlich Gelegenheit hatte, sich in der Kunst „Spitzem-
bergs" zu backen womöglich noch zu vervollkommnen. —
An dem Tisch des Hauses fanden sich außerdem auch oft-
mals einige Herren aus den Ostseeprovinzen ein. So auch
der livländische Zivilgouverneur von Oettingen. Besonders
herzlich begrüßt wurde Graf Kayserling, der Kurator der Uni-
versität Dorpat, ein Jugendfteund Bismarcks. Gern gesehen
war ein Herr von Eckert, der in russischen Diensten stand.
Eelegentlich kam auch Besuch von Militärs aus der Heimat,
die aus besonderer Veranlassung nach Petersburg entsandt
waren. Bei einer solchen Gelegenheit ereignete sich die von
Hesekiel zuerst erwähnte Eeschichte mit den zwei kleinen Bären.
die zum Nachtisch von den Dienern auf die Tafel gesetzt wurden,
wo sie zwischen den Gläsern und Tellern umherpatschten.
Machten da die Herren Eäste aber Augen! Bismarck erklärte
ihnen, das sei des Landes so der Brauch, und amüsierte sich
und die Gäste köstlich, als hernach die kleinen drolligen Ge-
schöpfe den Dienern in die Waden kniffen. Bismarck hatte
die kleinen Bärchens von der Bärenjagd mit nach Hause ge-
bracht, wo sie mit der Milchflasche wie kleine Kinder groß-
gezogen wurden. Jn dem Speisesaale stand eine Rutschbahn,
die im Winter dazu diente, daß man sich gelegentlich etwas
Bewegung machen konnte. Man stieg vier Stufen in die Höhe,
schlitterte dann auf der glatten, polierten, schiefen Ebene hinab,
und setzte das Spiel fort, bis man genug hatte. Die kleinen
Bären sahen das mit an, und wir haben auch wohl ein biß-
chen nachgeholsen, bis auch sie endlich Geschmack an diesem
eigenartigen Jugendspiel fanden. Daß die Bismarckschen
Kinder und ihr Lehrer diesem Sport auch oblagen, ist im Hin-
blick auf das strenge Klima eines Petersburger Winters ver-
ständlich. Als die Bären größer und bissig wurden, hörte
das mit ihnen getriebene Spiel auf, und sie wurden in
die Zoologischen Gärten in Köln und Frankfurt a. M. über-
wiesen.
Jm Jahre 1861 kam auch Herr von Keudell nach Peters-
burg zu Besuch und erfteute durch sein musikalisches Spiel die
Herrschaften in wirklich aufopfernder Weise, so zwar daß er
außer dem Bismarckschen Hause nicht viel Vcrkehr in Petcrs-
burg gepflogen hat. Besonders erinnerlich ist mir sein Vor-
trag der Ballade „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd".
Vor und nach Tische wurde von der ganzen Tischgesell-
schaft, hinter den Stühlen stehend, ein stilles Gebet gehalten,
und von dieser Sitte wurde auch bei Anwesenheit von Frem-
den nicht abgegangen. Bismarck nannte das wohl gelegent-
lich: „dem lieben Gott Honneur machen". Sehr viel Gewicht
legte er auf das Geradesitzen bei Tische, und wenn Hesekiel
von jemand erzählt, der öfter bei Tische mit gewesen und er-
zählt habe, daß er selbst zwei Zoll gewachsen sei, weil Bis-
marck oft den Bill ermahnte, daß er geradesigen möge, so be-
kenne ich, daß ich selbst dieser Jemand gewesen bin, und wenn
ich mich noch jetzt, 83 Jahre alt, schnurgerade halte, so habe
ich das Bismarck zu verdanken.
Viel gab er auch darauf, daß einer mit Meffer und Gabel
zu essen verstand, und wenn einer gar mit dem Messer in den
Mund ftihr, dann gingen die buschigen Augenbrauen gewaltig
in die Höhe!
Die Unterhaltung bei Tisch wurde natürlich durch den
Hausherrn ganz besonders belebt, der ja in Wiedergabe von
Erlebnissen und Erfahrungen ganz unerschöpflich war. Aber
auch die Hausfrau verstand es köstlich, den Gästen den Platz
bei Tische heimisch zu machen.
Die gewöhnliche Anrede zwischen Mann und Frau war
die, daß Frau von Bismarck ihren Mann mit „Ottochen" an-
redete, während er seine Frau kaum jemals anders als „mein
Engel" oder „mein Engelchen" angeredet hat. Das war tat-
sächlich gewiß auch nicht leere Gewohnheit, sondern ich bin
fest überzeugt, daß sich in solcher Anrede immer die tiefe,
innige Dankbarkeit konzentrierte für die Frau, die eine an
das Wunderbare grenzende Umrvandlung in seinem Leben
hervorgerufen hat.
Von Petersburg ist Bismarck nach Paris versetzt worden.
Dorthin ist ihm aber die Familie nicht gefolgt. Wir sind in
der Zwischenzeit in dem stillen Reinfeld geblieben, und erst
nach seiner Berufung nach Berlin sind auch wir dorthin über-
gesiedelt. Nach Reinfeld kamen in jener Zeit zahlreiche köst-
liche Briefe, die Bismarck an seine Frau geschrieben hat, und
aus denen sie auch uns die Mitteilungen machte, die ihr be-
sonders erfteulich waren.
1
Königlicher Strafanstaltspfarrer a. D.
Zur Pflege und Erziehung der Kinder, Marie, geb. am
21. August 1818, Herbert, geb. am 28. Dezember 1849 und
Bill, geb. am 1. August 1W2, die also damals 11, 10, 7 Jahre
alt waren, gehörte zum Hause noch Mademoiselle Jenny Fatio
aus Orbe bei Lausanne, die noch lange Iahre die treue Stütze
der Hausfrau im Bismarckschen Hause bleiben sollte. Erst
später in St. Petersburg kam dazu als Lehrerin FrSulein
Störich, die aber den Todeskeim der Schwindsucht in sich trug
und auch dieser Krankheit bald erlegen ift. Jn einem Briefe
an eine Freundin schreibt Frau von Bismarck über dieselbe:
„Ein reizendes MSdchen, die uns nach allen Direktionen hin
in jeder Beziehung wohlgesällt. Der Toktor fürchtet sehr eine
Abzehrung, und ich zitlere gleichfalls unendlich vor all diesen
Schrecknissen, die wir schon einmal mit dem ersten Lehrer
durchgemacht, und ick» möchte vergehen in Jammer und Klagen
um dies allerliebste iunge Wesen, das wir so lieb gewonnen
wie ein eigenes Kind." Der Ausdruck „wie ein eigenes Kind"
charakterisiert so recht Herz und Gemül von Bismarcks Frau.
Auch ich kann sagen, daß ich in all und jeder Hinsicht mich
wie ein Kind im Hause fühlen konnte, wie ja denn allezeit
der regste Anteil an meinen Familienangehörigen und an
meinem persönlichen Ergehen genommen wurde.
Die Bismarckschen Kinder standen entsprechend ihrem
Alter auf drei verschiedenen Stufen und hätten eigentlich in
drei Abteilungen unterrichtet werden müssen.
Jch bin ost gefragt worden, welcher von den Söhnen der
befähigtere gewesen sei, und ich habe immer nur sagen können,
dah jeder in seiner Art der befähigtere war. Herbert war
wohl tiefer und, wenn ich sagen darf, „ernster" veranlagt.
Er hatte größere Neigung für Geschichte. Bill war beweg-
licherer Art und faßte spielend die Sprachen. Jedenfalls kam
es sehr bald dazu, daß aus den drei Abteilungen nur eine
gebildet werden konnte.
Jch darf, wenn auch mit einigem Erröten, ein Zeugnis
vorweg anführen, das Frnu von Bismarck bald nach meinem
Eintritt in Petersburg Lber mich ausgestellt hat in eincm
Briefe, den Frau von Cell in dem Buche „Fürst Bismarcks
Frau" mitgeteilt hat: „Der neue Lehrer ist ein recht ange-
nehmer. scharmanter Jüngling, der sich durch sein frisches, hei-
teres Wesen die Licbe der Kinder erwirbt und sich mit ruhiger
Entschiedenheit doch in gehörigen Respekt zu sctzen weiß. Sie
lernen alle möglichen kopfzerbrechenden Dinge mit großem
Eifer, Mathematik, Latein usw., und spielen in der Zwischen-
zeit höchst selig mit allerlei Getier, mit Menschen und Puppen,
von denen ihuen Unmassen zu Gebote stehen." Selbstredend
waren bei den Knaben „die Puppen" Bleisoldaten, die fleißig
miteinander KSmpse auszufechten hatten.
Tesgleichen hat auch der FLrst selbst sich geäußert in einem
Briefe an seinen Bruder: „Mit dem neuen Lehrer bin ich
recht zufrieden, Bcrliner von Natur, etwas Pedant, läßt aber
mit stch reden." Die Außerung „läßt aber mit sich reden"
gehört in die Petersburger Zeit und wird später zu erläu-
tern sein.
Von Hohendors aus wurden gelegentlich auch Ausflüge
unternommen, so am M. April nach dem Oberländischen Ka-
nal mit der schiefen Ebene zum Drausen-See, und äm 15. Mai
nach der Marienburg in Gesellschaft des Herrn von Puttkamer,
der Frau von Bismarck, des Herrn von Poyda und des Bau-
meisters Michaelis.
Am 90. Mai erfolgte die Abreise von Hohendorf zunächst
nach Königsberg, wo Nachtquartier im Deutschen Hause ge-
nommen wurde.
Es war erklärlich, daß ich die Zeit bis zum Abendessen
benutzte zu einer kleinen Umschau mit meinen beiden Zög-
lingen in der Stadt Kants. Der Spaziergang hatte stch wohl
etwas länger ausgedehnt als erwartet wurde — kurz, ich
wurde bei der RLckkehr besonders von der Mutter mit etwas
verängsteten Gesichtszügen empfangen.
Außer den zuvor erwähnten Persönlichkeiten gehörten nicht
selten zu den Gästen in dem stets gastfteien Hause in Peters-
burg unser Militärbevollmäckstigter am Petersburger Hofe von
Loen und der würtiembergische Eesandte von Spitzemberg.
Letzterer stellte sich öfter unvermutet zu Tische ein. Es ging
ja niemfts etwa knapp zu bei Tische — nicht selten wurden
doch Delikatessen mancher Art reichlich aufgetischt — und wäre
stcher auch niemand zu kurz gekommen, wenn außer Spitzem-
berg noch ein anderer Gast in die Suppe gefallen wäre.
Bismarcks Regel lautete in solchem Falle „eine Flasche mehr
und einen Teller mehr" — aber die vorsorgliche Hausfrau
dachte doch in solchem Falle nicht minder praktisch, und infolge-
desseN erhielt, wenn Cpitzemberg kam, der Diener — es war
der treue Engel — den Anftrag: „Sagen Sie dem Koch, daß
er einen .Spitzemberg' backen soll." Herr von Spitzemberg aß
nämlich für sein Leben gern Eierkuchen, die man anderswo
auch wohl Psannkuchen nennt und die der Koch in vorzüg-
licher Eüte zu backen verftand. Dem gern gesehenen Gast zu
Ehren erhielt dann das leckere Gebäck den Namen „Spitzem-
berg". Es zeugt von der Herzlichkeit des Verkehres, daß der
Koch reichlich Gelegenheit hatte, sich in der Kunst „Spitzem-
bergs" zu backen womöglich noch zu vervollkommnen. —
An dem Tisch des Hauses fanden sich außerdem auch oft-
mals einige Herren aus den Ostseeprovinzen ein. So auch
der livländische Zivilgouverneur von Oettingen. Besonders
herzlich begrüßt wurde Graf Kayserling, der Kurator der Uni-
versität Dorpat, ein Jugendfteund Bismarcks. Gern gesehen
war ein Herr von Eckert, der in russischen Diensten stand.
Eelegentlich kam auch Besuch von Militärs aus der Heimat,
die aus besonderer Veranlassung nach Petersburg entsandt
waren. Bei einer solchen Gelegenheit ereignete sich die von
Hesekiel zuerst erwähnte Eeschichte mit den zwei kleinen Bären.
die zum Nachtisch von den Dienern auf die Tafel gesetzt wurden,
wo sie zwischen den Gläsern und Tellern umherpatschten.
Machten da die Herren Eäste aber Augen! Bismarck erklärte
ihnen, das sei des Landes so der Brauch, und amüsierte sich
und die Gäste köstlich, als hernach die kleinen drolligen Ge-
schöpfe den Dienern in die Waden kniffen. Bismarck hatte
die kleinen Bärchens von der Bärenjagd mit nach Hause ge-
bracht, wo sie mit der Milchflasche wie kleine Kinder groß-
gezogen wurden. Jn dem Speisesaale stand eine Rutschbahn,
die im Winter dazu diente, daß man sich gelegentlich etwas
Bewegung machen konnte. Man stieg vier Stufen in die Höhe,
schlitterte dann auf der glatten, polierten, schiefen Ebene hinab,
und setzte das Spiel fort, bis man genug hatte. Die kleinen
Bären sahen das mit an, und wir haben auch wohl ein biß-
chen nachgeholsen, bis auch sie endlich Geschmack an diesem
eigenartigen Jugendspiel fanden. Daß die Bismarckschen
Kinder und ihr Lehrer diesem Sport auch oblagen, ist im Hin-
blick auf das strenge Klima eines Petersburger Winters ver-
ständlich. Als die Bären größer und bissig wurden, hörte
das mit ihnen getriebene Spiel auf, und sie wurden in
die Zoologischen Gärten in Köln und Frankfurt a. M. über-
wiesen.
Jm Jahre 1861 kam auch Herr von Keudell nach Peters-
burg zu Besuch und erfteute durch sein musikalisches Spiel die
Herrschaften in wirklich aufopfernder Weise, so zwar daß er
außer dem Bismarckschen Hause nicht viel Vcrkehr in Petcrs-
burg gepflogen hat. Besonders erinnerlich ist mir sein Vor-
trag der Ballade „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd".
Vor und nach Tische wurde von der ganzen Tischgesell-
schaft, hinter den Stühlen stehend, ein stilles Gebet gehalten,
und von dieser Sitte wurde auch bei Anwesenheit von Frem-
den nicht abgegangen. Bismarck nannte das wohl gelegent-
lich: „dem lieben Gott Honneur machen". Sehr viel Gewicht
legte er auf das Geradesitzen bei Tische, und wenn Hesekiel
von jemand erzählt, der öfter bei Tische mit gewesen und er-
zählt habe, daß er selbst zwei Zoll gewachsen sei, weil Bis-
marck oft den Bill ermahnte, daß er geradesigen möge, so be-
kenne ich, daß ich selbst dieser Jemand gewesen bin, und wenn
ich mich noch jetzt, 83 Jahre alt, schnurgerade halte, so habe
ich das Bismarck zu verdanken.
Viel gab er auch darauf, daß einer mit Meffer und Gabel
zu essen verstand, und wenn einer gar mit dem Messer in den
Mund ftihr, dann gingen die buschigen Augenbrauen gewaltig
in die Höhe!
Die Unterhaltung bei Tisch wurde natürlich durch den
Hausherrn ganz besonders belebt, der ja in Wiedergabe von
Erlebnissen und Erfahrungen ganz unerschöpflich war. Aber
auch die Hausfrau verstand es köstlich, den Gästen den Platz
bei Tische heimisch zu machen.
Die gewöhnliche Anrede zwischen Mann und Frau war
die, daß Frau von Bismarck ihren Mann mit „Ottochen" an-
redete, während er seine Frau kaum jemals anders als „mein
Engel" oder „mein Engelchen" angeredet hat. Das war tat-
sächlich gewiß auch nicht leere Gewohnheit, sondern ich bin
fest überzeugt, daß sich in solcher Anrede immer die tiefe,
innige Dankbarkeit konzentrierte für die Frau, die eine an
das Wunderbare grenzende Umrvandlung in seinem Leben
hervorgerufen hat.
Von Petersburg ist Bismarck nach Paris versetzt worden.
Dorthin ist ihm aber die Familie nicht gefolgt. Wir sind in
der Zwischenzeit in dem stillen Reinfeld geblieben, und erst
nach seiner Berufung nach Berlin sind auch wir dorthin über-
gesiedelt. Nach Reinfeld kamen in jener Zeit zahlreiche köst-
liche Briefe, die Bismarck an seine Frau geschrieben hat, und
aus denen sie auch uns die Mitteilungen machte, die ihr be-
sonders erfteulich waren.
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