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Der Drefcher von Masuren»

Eme Sage gibt's m Masurenland:

Scheunen ftehen m lichtem Brand;

ein Dach ift gcftürzt, Heu, Korn und Stroh

prasseln empor und fiammen loh.

Der Atem des Rauchs kommt beizend und heiß,

Das Gras verkohlt rings. Jn weitem Kreis,

zuckend erleuchtet vor raumloser Nacht,

wie aus lauter Schrecken zufammengebracht,

ftehen Menschen umher, ftill, tatlos, ftumm —

keiner regt sich, keiner sieht um,

aber jeder vernimmt m der Ebene den Tritt,

jeder fühlt den landweiten Schritt,

sindet auch keiner am Morgen die Spuren,

den Schritt des Dreschers, des Gefpenft's von Masuren.

Es heißt, er kommt, den keiner gern nennt,
immer, wenn irgendwo Frucht verbrennt.

Das Feuer erbebt vor seinem Nah'n,
die Flammen beugen sich, die Lhn sah'n,
am Boden windet sich der Rauch,
wenn er hineintritt. So ift's hier auch.

Als ob nichts ihn glühe, nichts ihn verbrenne,
fteht ein Schatten, von Feuer umhüllt, auf der Tenne
und drischt die Garben von Flammen und Funken,
bis Alles zu Asche zusammengesunken.

Man hört — ganz Veutlich — wie er drischt,
und sieht, wie langsam die Flamme erlischt.

Dann bläft ein Srurm die Asche des Brandes
in alle Weiten masurischen Landes,
daß von der Glut, die der Drescher zerschlagen,
die Aecker deppelte Ernre tragen. —

Die Tenne war Oftpreußenland,

Heere der Flegel in seiner Hand,

der russische Feind war der Brand, den er schlug,

des Asche der Srurm auf die Aecker trug.

Wohl ruht auf Schlachtfeldern Mann bei Mann —
hier ift einer, der's besser kann:
in Masurenland ruht Heer bei Heer,
zweimalhunderttausend und mehr.

Geht wieder blank durch die Schollen der Pfiug,
grabt er Waffen auf, die der Feuerbrand trug,
gräbt er Knochen auf, die der Drescher zerschlug.

Wenn dann der Bauer den Fund beschaut,

ift es, als ob es von Wolken graut,

als ob es sich riesig zusammenballt

zu eines Helden dunkler Geftalt:

drohend über den preußischen Fluren

fteht der gewaltige Drescher, das Gespenst von Masuren.

W-lhelin von Schol;.
 
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