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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Keyserling, Hermann: Schule der Weisheit
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SCHULE DER WEISHEIT

GRAF HERMANN KEYSERLING

In einer Schrift »Was uns nottut — was ich will« (2, Auf!., Darmstadt 1920,
Otto Reichl Verlag) hatte ich dargelegt, inwiefern auf eine seelische Gesundung
und damit kulturelle Rettung der unaufhaltsam ins Chaos zurücksinkenden
europäischen Menschheit nur dann noch zu hoffen ist, wofern eine Neuverknüpfung
von Seele und Geist gelingt. Heute, wo alle psychischen Gestaltungen, welche den
Menschen bisher inneren Halt gaben, durch den Verstand zersetzt sind, kann nur
eine Vertiefung des Geisteslebens zu einer seelischen Neuorganisation führen,
womit der Philosophie eine so hohe Aufgabe erwächst, wie nie mehr seit griechischen
Zeiten, Aber freilich nicht der schulmä|igen Philosophie, sondern einer, deren
Ziel nicht abstraktes Wissen, sondern lebendige Weisheit wäre, — Diese Ideen
fanden sofort so großen Anklang, dab auf Initiative des ehemaligen Grobherzogs
von Hessen, der auljer einem hohen Kapitalbeitrag die nötigen Baulichkeiten zur
Verfügung gestellt hat, ein Verband „Die Schule der Weisheit, Keyserling-Gesell-
schaft zu Darmstadt, E. VA gegründet worden ist, der zum Ziel hat, die in »Was
uns not tut« niedergelegten Ideen zu verwirklichen. Es soll ein geistiges Zentrum
erstehen, dessen Aufgabe die Pflege der Weisheit, d, h. der Philosophie nicht
als Wissenschaft, sondern als Lebensmacht wäre. Dementsprechend umfassend
ist es geplant. Während es zunächst meine Aufgabe bliebe, die Grundföne der
Lebensphilosophie zu vermitteln, werden andere, eigens dazu Berufene, sich der
Pflege kultureller Tradition und vornehmer Gesinnung widmen inmitten einer immer
mehr sich barbarisierenden Welf, Entsprechend dem chinesischen Ideal, nach dem
der Weise erst als vollkommen gelten dürfe, dessen Weisheit als Anmut in die
Erscheinung triff, steht jeder echte Weltmann im Goefheschcn Verstände dem
Weisenfume näher als der blofy<z Gelehrte. Der menschlichen Vollendung also im
umfassendsten Sinn, von der tiefsten Weisheit bis zur vollkommenen Oberflächen-
kulfur, soll das Darmsfädfer Unternehmen dienen. Den genauen Prospekt ver-
sendet Graf Hardenberg in Darmstadt, Neues Palais. Vieles ist noch im Werden,
auch der bloßen Idee nach. Entschieden ist heute nur soviel: vom Herbst dieses
Jahres ab werde ich selbst dauernd in Darmsfadf meinen Wohnsib aufschlagen,
um daselbst im kleinen Kreis zu wirken. Worauf es ankommf, ist der persönlidie

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