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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Simon, James: Busoni
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0173

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B U S O N I
JAMES SIMON
„Musik ist ein Teil des schwingenden Weltalls“

Bei keinem Tondichter unserer Tage scheinen vita activa und vita contemplativa
zu einer so zwingenden Synthese verschmolzen zu sein wie bei BusonL
überall, in seinem realen wie in seinem künstlerischen Sein, gewahren wir
diese wundervolle Mischung feurigen Tatendrangs und tiefer Versunkenheit* Er
ist Kosmopolit und Anachoref, Kultureuropäer und Eremit in einem* Welt-
männische und geheimnisschwere Züge wohnen einträchtig in seinem Wesen,
in seinem magischen Klavierspiel, in seinen Werken* Mit diesem Werke möchte
ich mich hier in erster Linie beschäftigen. Ist doch neben dem Pianisten der
Komponist Busoni immer noch nicht genug gewürdigt — am ehesten noch in
Deutschland, in Berlin zumal, das zu verlassen der Krieg ihn zwang und dem er
nun, eine Meisterschulklasse der Staatshochschule übernehmend, wiedergegeben
ist. Freilich wird in solche Betrachtung mitunter der Pianist „hineinspielen“, der
Denker, der Ästhetiker.
Die Wurzeln Busonis liegen dort, wo die Wurzeln der neueren Musik überhaupt
liegen: in Bach und im späten Beethoven, diesen nächsten Nachbarn der Urmusik.
Wie wir in Busonis zweiter Violinsonate einen Hauch der Opus 109, im pezzo
serioso (andantino idillico) seines Klavierkonzerts etwas vom lebten Beethoven
verspüren, so ist sein Schaffen zutiefst in Bach verankert, der ihn seit seiner Be-
arbeitung der Orgelfuge D dur (1888) bis zu der epochalen Ausgabe des wohl-
temperierten Klaviers (mit Petri und Mugellini) unablässig beschäftigte* Aber
auch Mozart segnet sein Schaffen. Ich denke dabei weniger an die verräterischen
Zeichen seiner Mozart-Verehrung, wenn er in Klavierstücken »An die Jugend«
eine Gigue und den Fandango aus Figaro bearbeitet, im »Arlecchino« sehr bald
die sogenannte Champagnerarie aus Don Giovanni zitiert, der Ouvertüre zur
Entführung einen Konzertschlulj anhängt oder das Andantino aus Mozarts Neuntem
Klavierkonzert behandelt; ich meine vielmehr, daf} jenes eigentümlich Fliehende,
jenes Gleiten undVorüberschweben, das der Tonsprache Mozarts einen erinnerungs-
haften Charakter verleiht — als schreibe er hienieden seine Memoiren aus dem
Paradiese — auch in Busonis Werken, freilich ohne den GlückseÜgkeitsschimmer
häufig anzutreffen ist. Sogar seine Schwermut, die schon den Jüngling ein Gedicht

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