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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Binding, Rudolf G.: Von Tieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0235

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VON TIEREN
R. G. BINDING
Gleichen fernen Ursprungs mit euch, ihr Tiere von mancherlei Gestalt
und Ungesfalf, stehe ich Mensch immerdar voll Schauder und Ent-
zücken, so oft ich euch betrachte. Wie seltsam ist Liebe und Abscheu,
Neigung und Gleichgültigkeit, Achtung und Mißachtung, Zärtlichkeit und
Grausamkeit der Menschen unter euch verteilt. Wir, die wir uns auf die Seife
des Häsleins stellen, wenn wir es in den Krallen des Raubvogels von der Erde
emporgerissen sehn, haben nichts gegen den tödlichen, blutgierigen Sprung
des Löwen auf die gleich wehrlose Gazelle einzuwenden; wir werfen den
Krebs lebendig in siedendes Wasser und schließen ein sterbendes Reh in
unsere Arme; wir entzücken uns an dem sidr sonnenden Schmetterling und
gönnen ihn gleichwohl dem schnelleren Finken, der ihn erhascht, seine Pracht zer-
pflückt und den lebendigen Leib verspeist. Nie vielleicht wird das Menschen-
gcschledrt einen gewissen kindlichen Abscheu vor einer Spinne überwinden; unab-
wendbar mag auf der harmlosen Fledermaus der Fluch des Unheimlichen ruhen;
ewig wird das Kamel der Wüste häßlich und der Pfau schön für uns sein. Und
während wir glauben, das Alfer von Jahrtausenden aus den geschliffen Augen
der undurchdringlich rätselhaften Kaße leuchten zu sehen und sie einst heilig
hielten, finden wir kein Geheimnis im Hunde, und er muß uns dienen.
Einen König billigt unsere Phantasie den Fröschen zu und eine Königin den
Schlangen: ein zierliches Krönlein schimmert auf ihrem Haupt. Menschen lassen
wir in die Gestalt von Tieren eingeschlossen und verzaubert sein und durch Menschen-
kuß und -liebe erlöst werden. Wissen wir, wie nahe sie uns stehn, weil wir sie
zu leidvollen Trägern menschlichen Schicksals machen?
Und unser aller Spiegel werden sie, die Tiere aller Art: von Dichtern begabt mit
menschlichen Leidenschaften und Lastern, von Künstlern gestaltet mit menschlichsten
Zügen und Ähnlichkeiten, schließlich mit der köstlichsten aller Gaben betraut und
beschenkt, dem Humor. Lieblich und grausam spiegeln sie unser Leben: ewigen
Reizes voll, ewigen Schauders und ewigen Entzückens gewiß; kindlich unbefangene
Geschöpfe in einer unvergänglichen, ewig erglänzenden Jugend.
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