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Muss, Ulrike; Bammer, Anton
Der Altar des Artemisions von Ephesos (Textband): Der Altar des Artemisions von Ephesos — Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.52040#0116
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Die Skulpturen

gerade nach unten, sondern schräg nach hinten. Das Gewand ist in
grobe Falten gelegt, und staut sich über und unter der Gürtung, wo
es verschieden große Mulden bildet. Die rechte Brust wurde von
einem fast gleichmäßigen Faltensystem überzogen. Der Verlauf
der Falten bildet eine schräge Linie zur rechten Schulter hinauf,
diese hat ein Pendant auf der linken Brustseite, allerdings steht
hier die Falte deutlich höher an. Im Bereich des Oberarmansatzes
findet sich ein System kleiner feiner Fältchen. Auf der Rückseite
der Figur ist die Fältelung gröber gebildet: über der Gürtung er-
kennt man jeweils abwechselnd breite Falten mit fast ebenen Fal-
tenstegen, dazwischen flache Mulden. Unter der Gürtung werden
die Falten schmäler.
Deutung:
Der Torso wurde bereits vom Ausgräber als Wagenlenker gedeu-
tet; diese Deutung wurde von A. Linfert, J. C. Carter und A. Rüg-
ler beibehalten. Durch den unter der Brust gegürteten Chiton und
die Haltung der Arme ist eine solche nicht zu bezweifeln, zumal
aus der Altargrabung auch Fragmente von Pferden stammen, die
zur Thematik des Torsos passen.
Datierung:
A. Linfert datierte den ephesischen Torso im Vergleich mit einem
besser erhaltenen Wagenlenker aus Priene, im Britischen Mu-
seum, gegen 310 v. Chr.401. Die etwas grobe Arbeit erinnert an die
Säulentrommeln Cat. Nr. 1202/3 und 1211. A. Rügler denkt zwar
an eine Verbindung des Torsos aus der Altargrabung mit der von
ihm konstatierten Werkstatt A der Reliefplastik am Artemision, si-
cher nachweisen läßt sie sich aber nicht. Die grobe Ausführung al-
lein ist ein zu allgemeines Kriterium, als daß sich enge handwerk-
liche Verbindungen mit Sicherheit feststellen ließen. Es zeigen
sich nämlich auch Unterschiede: Am Wagenlenker-Torso domi-
nieren optisch die Faltentäler, auf den genannten Säulentrommeln
hingegen die Faltenstege, die dem ansonsten fast planen Stoff wie
aufgelegt erscheinen402.
Was die Datierung anbelangt, so lassen die handwerklichen Ver-
bindungen aber doch den Schluß zu, daß der Torso in die Zeit der
Ausführung der Reliefs des Tempels - diese sind nach Rügler zwi-
schen 340 und 320 v. Chr. entstanden - zu datieren ist. Ein solcher
Ansatz wurde mit anderen Argumenten auch bereits vom J. C.
Carter403 vorgeschlagen, der den Wagenlenker aus Priene an den
Beginn der 2. H. des 4. Jhs. v. Chr. datiert und an diesen den ephe-
sischen Torso anschließt.
Lit.:
A. Bammer, AA 1968, 422 Abb. 38; R. Fleischer, ÖJh 50 Beibl.
464, Abb. 39; Linfert, Kunstzentren 18 Taf. 1.2.; J. C. Carter, The
Sculpture of the Sanctuary of Athena Polias at Priene (1983)
268 ff.; Rügler 130f. mit Anm. 560.
UM
370 Art. 68/26 Kat.-Nr. 133
Maße: H: 106 cm; B: 48,0 cm (Bauch)
FO: am 25. 10. 1968, auf dem nördlichen Vorplatzfundament 6 m
westlich der Ostkante des Hofes, mit dem Oberkörper in Richtung
Hof
AO: Steindepot, Ephesos. Inv.-Nr. 5/37/72
Zustand:
Oberfläche stark verwittert und großteils versintert, originale
Oberfläche nur erhalten im Bereich der Halsgrube und des Halsau-

401 Unwahrscheinlich war dagegen von Anfang an die Datierung von M. Robertson, der ein
Datum im 2. oder sogar 1. Jh. v. Chr. vorgeschlagen hatte. Vgl. Carter a. O. (Sculpture)
271.

Schnittes, über der linken Brust und beim Ärmel, der den linken
Arm bedeckt. Faltenstege bestoßen.
Beschreibung:
Torso einer lebensgroßen Frau in Chiton mit langen Ärmeln. Der
Kopf ist verloren; erhalten vom Hals bis etwa zur Mitte der Ober-
schenkel. Der rechte Oberschenkel ist vor den linken gesetzt. Die
rechte Schulter ist erhoben, die linke mit dem Oberarm gesenkt.
Dieser ist vor dem Ansatz des Ellbogens gebrochen, er war ange-
winkelt und unterhalb der linken Brsut etwa waggerecht vor den
Körper genommen. Das linke Bein war Stand-, das rechte Spiel-
bein. Das rechte Bein muß das linke ab Kniehöhe überschnitten
haben.
Die linke Schulter ist stark nach vorne genommen und nach unten
gesenkt. Der Hals - und damit auch der verlorene Kopf der Figur -
war zu dieser tiefer liegenden Körperseite hin geneigt. Die durch die
Drehung der Figur entstehende Bewegung wird durch das auf der
rechten Seite zurückgenommene Bein aufgefangen. Das Gewand
besteht aus einem dicken Stoff, der breite teigige Falten bildet.
Die Rückseite der Figur ist auffallend flach gestaltet; nur drei brei-
te Faltenzüge gliedern das Gewand. In etwa 55 cm Höhe (von der
unteren Bruchfläche an gemessen) findet sich ein 9x8,5 cm gro-
ßes, 5,0 cm tiefes Dübelloch mit einseitig angearbeitetem Hebe-
schlitz. Hiermit ist ein eindeutiger und direkter Bezug zur Archi-
tektur des Altares des 4. Jhs. v. Chr. hergestellt, da sich dieses
technische Detail auch bei anderen Werkstücken des Altares, wie
Geisa, Kapitellen, Architraven usw. findet. Wie oben (S.*) darge-
legt, halten wir eine Aufstellung dieser Figur zwischen den Inter-
columnien für sicher.
Motiv und Deutung:
Das Standmotiv mit überkreuzten Beinen findet sich im 4. Jh.
v. Chr. bei Figuren verschiedenster Thematik und kann vielleicht
als eine typische Erscheinung dieser Zeit angesprochen werden.
Hier sei einmal der praxitelische Sauroktonos angeführt, bei dem
im Unterschied zur Figur des Altares die Arme den Körper aber
nicht überschneiden. Vergleichbar ist aber auch das Standmotiv
der Aphrodite von Capua, hier wird auch der Körper von den Ar-
men überschnitten.
Die Bewegung der Figur aus der Altargrabung weist diese als Tän-
zerin aus. Mit der Darstellung einer Tanzenden knüpft - wie oben
bemerkt - die Ausstattung des Artemisionaltares an das Nereiden-
monument an, bei dem mit den bewegten Statuen der Nereiden,
die frei zwischen den Säulen stehen, eine Inszenierung stattfindet.
Auch beim Artemision ist die Tanzende somit Dekor eines reprä-
sentativen Baues.
Datierung:
Ober- und Unterkörper der Figur sind gleichwertig proportioniert.
Die teigig dicken Falten Überspannen den Körper sparsam aber li-
near, so daß bestimmte Köperteile hervorgehoben bzw. herausmo-
delliert werden. Das vorgestellte Bein wird durch das Her-
überführen der weichen Falten betont. Es existieren keine kompli-
zierten Unterschneidungen, der Kontur ist leicht ablesbar. Der
Körper ist zwar durch das dargestellte Thema des Tanzes in sich
bewegt und gedreht, es fehlt ihm aber jegliche Tiefe. Nur Vorder-
und Rückansicht zeigen den S-förmigen Schwung der Figur. In der
linken Seitenansicht kommt dieser nicht zum Ausdruck und auch
die rechte Seite(nansicht) läßt erkennen, wie wenig raumgreifend
das vorgestellte Bein ist.

402 Rügler 11,12; Taf. 16,17.
403 Carter a. O. (Sculpture) 268 ff.

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