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Goldfunde aus dem Artemision von Ephesos
Motiven oder Emblemen wiederfinden1439. Ethnizität basiert auf einem bewussten Prozess der Identifikation
mit einer bestimmten sozialen Gruppe1440. Für F. Barth1441 definiert sich Ethnizität als soziale Konstruktion,
die dazu dient, Grenzen zwischen Gruppen zu erschaffen oder diese unterscheidbar zu machen. Eine solche
ethnische Gruppe kann nicht in Isolation entstehen. Wenn sich ihr Konzept auf die visuelle Kunst überträgt,
sollte eine erkennbare symbolische und auch entschlüsselbare Kodifikation von gegensätzlichen Formen
herausgebildet werden1442.
In diesem Zusammenhang kann ein Motiv als eine Art einfache >Erinnerungsfigur<1443 angesprochen wer-
den. Das Bild oder die Darstellung ist eine Umsetzung bzw. ein transportiertes Symbol eines Individuums
oder einer Gruppe, die damit eine Erinnerung verknüpft. Damit wird es zum Ausdruck des sog. kollekti-
ven Gedächtnisses1444, das nur durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen einer sozialen Gruppe
entsteht und aufrechterhalten werden kann. Dieses Kollektivgedächtnis betrifft immer nur die ihm eigenen
Träger und ist nicht auf außerhalb der Gruppe Stehende übertragbar. Gehört man ihm an, gehört man auch
der Gruppe an und besitzt damit automatisch eine Identität1445. Gerade visuelle Werke können kulturelle
Barrieren leichter überwinden als andere Ausdrucksformen, da sie von sprachlichen Idiomen unabhängig
sind1446. >Kollektive< Identitäten können aus unterschiedlichen Formen wie Genealogie, Polis-Identitäten
(politisch oder zivil), ethnischen, föderativen, kolonialen, innerhellenischen oder panhellenischen Identitäten
resultieren; sie sind aber niemals exklusiv, und es lassen sich auch keine a priori-Hierarchien feststellen1447.
Außerdem können Individuen durchaus einen Gemeinschaftssinn aufgrund von Religion, Beruf, Sprache,
Kultur etc. mit anderen empfinden, ohne sich unbedingt als ethnisch zusammengehörig zu fühlen1448.
Es existieren zwei Mechanismen, durch welche sich die hellenische Identität1449 in der Antike zum Aus-
druck bringt: die aggregative Identität in der archaischen Periode, die durch das Medium der genealogischen
Verbindungen operiert, und die oppositionale Identität im 5. Jahrhundert, die abhängig von der Unterschei-
dung zwischen dem Eigenen und dem Fremden ist. In der Archaik kann in Ionien von der antithetischen
>Uns<-Identität gesprochen werden, um sich von dem nichtgriechischen Hinterland abzugrenzen und gleich-
zeitig mit den übrigen griechischen Stämmen zu verbünden. In der klassischen Periode des 5. Jahrhunderts
findet ein Übergang von dieser aggregativen bzw. ansammelnden Identität zu einer oppositionalen statt:
Die >Uns<-Identität verwandelt sich in eine >Wir<-Identität, die eine wesentlich aktivere Rolle innehat - das
Objekt wird zum Subjekt1450. Die Ionier entwickelten dabei eine eigene kollektive Identität, die vielleicht auch
von außen kam, d. h., die Ionier erhielten diese von ihren Nachbarn1451; schon im 7. Jahrhundert sprechen
1439 Zu einer Untersuchung von Mythen in diesem speziellen Kontext in der archaischen und klassischen Zeit: I. Malkin, The
Returns of Odysseus: Colonizations and Ethnicity (Berkeley, CA 1998).
1440 McInerney 2001, 59 mit Lit.
1441 F. Barth, Ethnie Groups and Boundaries: The Social Organization of Cultural Difference (Bergen 1969) 1-38.
1442 E. Pasztory, Identity and Difference: The Uses and Meanings of Ethnie Styles, in: S. J. Barnes - W. S. Melion (Hrsg.), Cul-
tural Differentiation and Cultural Identity in the Visual Arts (Washington, DC 1989) 17 und 35. Zu einer Zusammenfassung:
B. Cohen, Ethnie Identity in Democratic Athens and the Visual Vocabulary of Male Costume, in: Malkin 2001a, 236.
1443 Assmann 2002, 37 f.
1444 Zum Begriff: M. Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis (Frankfurt am Main 1985).
1445 M. Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (Frankfurt am Main 1985) 297-320 hat den Zusammenhang
von Kollektivgedächtnis, Selbstbild einer Gruppe und sozialer Funktion am hierarchisch organisierten System von mittelal-
terlichen Wappen und Titeln illustriert, die u. a. einen hohen Anspruch an Rechten und Privilegien darstellten.
1446 Zu diesem Thema auch G. Boehm, Das Alogon. Marginalien zur Ästhetik des Fremden, in: M. Schuster (Hrsg.), Die Be-
gegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart (Stuttgart 1996)
277-287.
1447 Die Religion selbst kann nicht als Definition für Identität gelten, zumindest nicht aus antiker griechischer Sichtweise, denn es
geht um die gemeinsame Ausübung der Kulte, Feste und religiöse Praktiken: Malkin 2001b, 5 f.
1448 McInerney 2001, 55. Zur kulturellen Identität und politischen Imagination: Assmann 2002, 130-160.
1449 Zu diesem Thema: R. Bichler, Wahrnehmung und Vorstellung fremder Kultur. Griechen und Orient in archaischer und früh-
klassischer Zeit, in: M. Schuster (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom
Altertum bis zur Gegenwart (Stuttgart 1996) 51-74. Kritisch zur Dichotomie Griechen und Andere s. P. Cartledge, The Greeks:
A Portrait of Self and Others (Oxford 1993).
1450 Zur >Uns<- und >Wir<-Identität allgemein s. J. M. Hall, Ethnie Identity in Greek Antiquity (Cambridge 1997).
1451 Malkin 2001b, 5 spricht von der Möglichkeit, dass der Name >ionisch<, dessen Ursprung nicht in der griechischen Sprache
liegt, ein Küstengebiet bezeichnete, in dem sich die Griechen ansiedelten, und der Name dann später von den Griechen selbst
übernommen wurde.
Goldfunde aus dem Artemision von Ephesos
Motiven oder Emblemen wiederfinden1439. Ethnizität basiert auf einem bewussten Prozess der Identifikation
mit einer bestimmten sozialen Gruppe1440. Für F. Barth1441 definiert sich Ethnizität als soziale Konstruktion,
die dazu dient, Grenzen zwischen Gruppen zu erschaffen oder diese unterscheidbar zu machen. Eine solche
ethnische Gruppe kann nicht in Isolation entstehen. Wenn sich ihr Konzept auf die visuelle Kunst überträgt,
sollte eine erkennbare symbolische und auch entschlüsselbare Kodifikation von gegensätzlichen Formen
herausgebildet werden1442.
In diesem Zusammenhang kann ein Motiv als eine Art einfache >Erinnerungsfigur<1443 angesprochen wer-
den. Das Bild oder die Darstellung ist eine Umsetzung bzw. ein transportiertes Symbol eines Individuums
oder einer Gruppe, die damit eine Erinnerung verknüpft. Damit wird es zum Ausdruck des sog. kollekti-
ven Gedächtnisses1444, das nur durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen einer sozialen Gruppe
entsteht und aufrechterhalten werden kann. Dieses Kollektivgedächtnis betrifft immer nur die ihm eigenen
Träger und ist nicht auf außerhalb der Gruppe Stehende übertragbar. Gehört man ihm an, gehört man auch
der Gruppe an und besitzt damit automatisch eine Identität1445. Gerade visuelle Werke können kulturelle
Barrieren leichter überwinden als andere Ausdrucksformen, da sie von sprachlichen Idiomen unabhängig
sind1446. >Kollektive< Identitäten können aus unterschiedlichen Formen wie Genealogie, Polis-Identitäten
(politisch oder zivil), ethnischen, föderativen, kolonialen, innerhellenischen oder panhellenischen Identitäten
resultieren; sie sind aber niemals exklusiv, und es lassen sich auch keine a priori-Hierarchien feststellen1447.
Außerdem können Individuen durchaus einen Gemeinschaftssinn aufgrund von Religion, Beruf, Sprache,
Kultur etc. mit anderen empfinden, ohne sich unbedingt als ethnisch zusammengehörig zu fühlen1448.
Es existieren zwei Mechanismen, durch welche sich die hellenische Identität1449 in der Antike zum Aus-
druck bringt: die aggregative Identität in der archaischen Periode, die durch das Medium der genealogischen
Verbindungen operiert, und die oppositionale Identität im 5. Jahrhundert, die abhängig von der Unterschei-
dung zwischen dem Eigenen und dem Fremden ist. In der Archaik kann in Ionien von der antithetischen
>Uns<-Identität gesprochen werden, um sich von dem nichtgriechischen Hinterland abzugrenzen und gleich-
zeitig mit den übrigen griechischen Stämmen zu verbünden. In der klassischen Periode des 5. Jahrhunderts
findet ein Übergang von dieser aggregativen bzw. ansammelnden Identität zu einer oppositionalen statt:
Die >Uns<-Identität verwandelt sich in eine >Wir<-Identität, die eine wesentlich aktivere Rolle innehat - das
Objekt wird zum Subjekt1450. Die Ionier entwickelten dabei eine eigene kollektive Identität, die vielleicht auch
von außen kam, d. h., die Ionier erhielten diese von ihren Nachbarn1451; schon im 7. Jahrhundert sprechen
1439 Zu einer Untersuchung von Mythen in diesem speziellen Kontext in der archaischen und klassischen Zeit: I. Malkin, The
Returns of Odysseus: Colonizations and Ethnicity (Berkeley, CA 1998).
1440 McInerney 2001, 59 mit Lit.
1441 F. Barth, Ethnie Groups and Boundaries: The Social Organization of Cultural Difference (Bergen 1969) 1-38.
1442 E. Pasztory, Identity and Difference: The Uses and Meanings of Ethnie Styles, in: S. J. Barnes - W. S. Melion (Hrsg.), Cul-
tural Differentiation and Cultural Identity in the Visual Arts (Washington, DC 1989) 17 und 35. Zu einer Zusammenfassung:
B. Cohen, Ethnie Identity in Democratic Athens and the Visual Vocabulary of Male Costume, in: Malkin 2001a, 236.
1443 Assmann 2002, 37 f.
1444 Zum Begriff: M. Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis (Frankfurt am Main 1985).
1445 M. Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (Frankfurt am Main 1985) 297-320 hat den Zusammenhang
von Kollektivgedächtnis, Selbstbild einer Gruppe und sozialer Funktion am hierarchisch organisierten System von mittelal-
terlichen Wappen und Titeln illustriert, die u. a. einen hohen Anspruch an Rechten und Privilegien darstellten.
1446 Zu diesem Thema auch G. Boehm, Das Alogon. Marginalien zur Ästhetik des Fremden, in: M. Schuster (Hrsg.), Die Be-
gegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart (Stuttgart 1996)
277-287.
1447 Die Religion selbst kann nicht als Definition für Identität gelten, zumindest nicht aus antiker griechischer Sichtweise, denn es
geht um die gemeinsame Ausübung der Kulte, Feste und religiöse Praktiken: Malkin 2001b, 5 f.
1448 McInerney 2001, 55. Zur kulturellen Identität und politischen Imagination: Assmann 2002, 130-160.
1449 Zu diesem Thema: R. Bichler, Wahrnehmung und Vorstellung fremder Kultur. Griechen und Orient in archaischer und früh-
klassischer Zeit, in: M. Schuster (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom
Altertum bis zur Gegenwart (Stuttgart 1996) 51-74. Kritisch zur Dichotomie Griechen und Andere s. P. Cartledge, The Greeks:
A Portrait of Self and Others (Oxford 1993).
1450 Zur >Uns<- und >Wir<-Identität allgemein s. J. M. Hall, Ethnie Identity in Greek Antiquity (Cambridge 1997).
1451 Malkin 2001b, 5 spricht von der Möglichkeit, dass der Name >ionisch<, dessen Ursprung nicht in der griechischen Sprache
liegt, ein Küstengebiet bezeichnete, in dem sich die Griechen ansiedelten, und der Name dann später von den Griechen selbst
übernommen wurde.