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Adenstedt, Ingrid; Krinzinger, Friedrich [Hrsg.]
Hanghaus 2 in Ephesos, die Wohneinheiten 1 und 2: Baubefund, Ausstattung, Funde (Textband 1): Textband Wohneinheit 1 — Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.47151#0385
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A.XV Skulpturen1

1 Skulpturenfunde aus dem Erdgeschoß
Aus dem Peristylhof SR 2 stammen sechs Skulpturen. Bei dem Kopf A-S 1 (Taf. 151) handelt es sich um einen jugendlichen, weiblichen
Kopf mit Melonenfrisur, der leicht zu seiner Rechten gewandt ist2. Der Gesichtsumriß ist oval und verjüngt sich nach unten. Die Stirn
ist niedrig, leicht gewölbt und bildet einen fließenden Übergang zu den einzelnen Melonenrippen. Auffallend ist die Bildung der Ohren,
die kräftig modelliert, jedoch kaum herausgearbeitet sind. Vor diesen fällt je eine kurze, gedrehte Haarlocke herab. Die Frisur wird als
Melonenfrisur bezeichnet3, d. h. einzelne voneinander abgesetzte Rippen verlaufen von der Stirn ausgehend nach rückwärts. Die zwölf
Melonenrippen liegen eng an der Kalotte und sind durch Furchen voneinander getrennt. Als Binnenzeichnung zeigen sie schräg verlau-
fende Windungen. Entsprechend der Wendung des Kopfes zu seiner rechten Seite ist die rechte Gesichtshälfte etwas plastischer gestal-
tet als die linke. Die niedrige Stirn wird durch den bogenförmigen Haaransatz begrenzt. Das Inkarnat ist weich und schwellend model-
liert. Unter den mandelförmigen Augen sind leichte Verschattungen vorhanden. Die Oberlider sind schmal und wulstig, die Unterlider
dünner und nur leicht von den Augäpfeln abgesetzt. Der Nasenansatz ist breit, die Nase selbst war schmal mit kleinen, eng anliegenden
Flügeln. Der kleine, geschlossene Mund hatte volle, weich gebildete Lippen mit kleinen Vertiefungen in den Mundwinkeln. Die Unter-
lippe ist durch eine Vertiefung vom Kinn abgesetzt, das in einem fast rechten Winkel zum schmal gebildeten Hals überleitet. Während
Stirn und Wangen flach modelliert sind, ist der Bereich um Nase und Mund lebendiger gestaltet.
Die flach abgearbeitete Rückseite unseres Kopfes und das große Dübelloch am Kopf oben weisen auf eine Anstückung des Hinterkop-
fes hin4.
Eine, wenn auch nur grobe, Datierungshilfe bietet die sog. Melonenfrisur, die erst im späten 4. Jh. v. Chr. in Mode kommt5. Im Helle-
nismus tragen ptolemäische Königinnen6 sowie Göttinnen - unter diesen vor allem Artemis7 - diese Frisur, in der Kaiserzeit ist sie auch
bei Porträts von jungen Mädchen zu finden8.
In formaler und stilistischer Hinsicht ist der Kopf mit Marmorköpfen aus dem Schiffsfund von Mahdia aus dem letzten Viertel des
2. Jhs. v. Chr. zu vergleichen9: Ähnlich sind die großen, beruhigten Flächen, das schwellende Inkarnat, die weichen Übergänge der
einzelnen Gesichtsteile, der breite Ansatz der Nase sowie die Lebendigkeit des Inkarnats um die Mundpartie. In diesen Merkmalen steht
unser Kopf auch zwei späthellenistischen weiblichen Köpfen nahe10. In der eng anliegenden Haarkappe, die nur an der Oberfläche
strukturiert ist, besteht eine nahe Verwandtschaft zu einem um 100 v. Chr. entstandenen weiblichen Porträtkopf aus Delos11. Bei beiden
Köpfen liegen die einzelnen Haarrippen eng nebeneinander und werden durch grobe Furchen voneinander getrennt. Die Binnenzeich-
nung der einzelnen Rippen ist schematisch und wirkt wie geschnitzt. Bezeichnend ist auch der Gegensatz zwischen der eher trockenen
Haarwiedergabe und dem fein modellierten Gesicht. Aufgrund dieser Vergleiche wird für den Kopf aus der WE 1 eine Datierung in das
spätere 2. oder frühe 1. Jh. v. Chr. vorgeschlagen.
Im Gesicht sind keine Porträtzüge vorhanden. Allein das Merkmal der vor den Ohren herabhängenden Löckchen tritt meines Wissens
nur an Porträts auf12. Darüber hinaus besitzen weibliche Bildnisse generell weniger Porträtzüge als die männlichen, da ihre Ikonographie
häufig jener von Idealköpfen angeglichen ist. Letztlich kann nicht entschieden werden, ob unser Kopf eine Göttin oder das Porträt einer
Sterblichen darstellte.

1 FWF-Projekt P 13186-SPR unter dem Titel: „Skulpturenausstattung des Hanghau-
ses 2, Wohneinheiten 1, 2 und 4.“ (Leitung M. Aurenhammer).
2 Der Kopf wurde von der Verf. in: B. Asamer u. a. (Hrsg.), Temenos: FS F. Felten
- St. Hiller (2002) 109-112 Taf. 21 vorpubliziert.
3 Zur Melonenfrisur s. Vierneisel-Schlörb, Skulpturen II, 438-442; H. Kyrieleis,
Bildnisse der Ptolemäer, AF 2 (1975) 89 f.; G. Kleiner, Tanagrafiguren, 15 Ergh.
RM (1942) 15; D. Ziegler, Frauenfrisuren der römischen Antike - Abbild und
Realität (2000) 45-58.
4 Vgl. einen Kopf des Augustes im Museum von Heraklion, dessen Hinterkopf eine
Schnittfläche mit einem Dübelloch in der Mitte aufweist, s. M. Lagogianni-Ge-
orgakarakos, CSIR IV 1, Griechenland (2002) Kat. 1 Taf. 1.
I. Linfert-Reich, Musen- und Dichterinnenfiguren des vierten und frühen dritten
Jahrhunderts (1971) 71-76; vgl. auch die sog. Kleine Herkulanerin s. M. Bieber,
The Copies of the Herculaneum Women, ProcAmPhilSoc 106,2 (1962) 111 f.;
dies., Ancient Copies (1977) 148-162; G. Schmidt, Der Brunnsche Kopf, AntPl X
(1970) 33 m. Anm. 29; sowie das dem Bildhauer Silanion zugeschriebene Bildnis
der Dichterin Korinna, s. Vierneisel-Schlörb, Skulpturen II, 416 f.
6 Vgl. den Kopf Berenike II., Museum Benghazi und den Kopf Kleopatra VII.,
London, British Mus., s. M. Bieber, The sculpture of the hellenistic Age2 (1961)
Abb. 346-347. 368-369; und einige weitere Köpfe von Kleopatra VII. bei
R. R. R. Smith, Hellenistic Royal Portraits (1988) 97 f. 133. 169 Kat. 67-69
Taf. 44-45.
7 Vgl. Artemis aus der Kultgruppe des Damophon in Lykosura, Athen Nationalmus.,
InvNr 1735, s. Abb. 168 bei J. J. Pollitt, Art in the Hellenistic Age (1986); eine
Artemisfigur aus dem Haus der Fortuna Annonaria in Ostia, Mus. Ostiense, InvNr
84, s. Abb. 7 bei Vorster, Hellenistische Skulpturen; sowie eine Artemis aus der

WE 4 im H 2, EM, InvNr 1572, Fn H2/63/1, s. zuletzt Rathmayr, WE 4, Kat. S 5
Taf. 139; sowie Abb. 80. 85. 93. 645. 866 im LIMC II (1984) s. v. Artemis
(L. Kahil).
8 Vgl. das Porträt eines jungen Mädchens aus dem 2. Viertel des 1. Jhs. v. Chr. bei
E. Rosenbaum, A Catalogue of Cyrenaican Portrait Sculpture (1960) 41 Nr. 12
Taf. XII, 1-3; den Kopf eines Mädchens aus dem 1. Jh. n. Chr. in Rom, Mus. Chi-
aramonti, InvNr 1839, s. Taf. 369 in: Andreae, Museo Chiaramonti; ein Porträt der
jungen Plautilla in Rom, Mus. Torlonia, Magazin 731, s. Herrscherbild 111.1, 116
Taf. 29 a. b., den Kopf eines jungen Mädchens aus severischer Zeit im Bergama
Mus., InvNr 148, s. J. Inan - E. Rosenbaum, Roman and Early Byzantine Portrait
Sculpture in Asia Minor (1966) Nr. 124 Taf. LXXIII, 3-4; sowie die Büste eines
jungen Mädchens als Artemis in Rom, Mus. Torlonia, InvNr 103, s. H. Wrede,
Consecratio in Formam Deorum (1981) 224 Nr. 86 Taf. 10,1.
9 H.-H. von Prittwitz und Gaffron, Die Marmortondi in: Hellenkemper-Salies,
Wrack, 303-328.
10 Kopf einer jungen Frau in Boston in: M. B. Comstock - C. C. Vermeule, Sculp-
ture in Stone. The Greek, Roman and Etruscan Collections of the Museum of Fine
Arts Boston (1976) 70 Nr. HO m. Abb., 1./2. Jh. v. Chr., H 0.107 m, westliches
Kleinasien oder östliche griechische Inseln; und ein späthellenistischer idealer
Frauenkopf auf neuzeitlicher Büste, s. Andreae, Museo Chiaramonti, Taf. 27.
11 Delos Mus., A 4196, s. R. R. R. Smith, Hellenistic Sculpture (1991) Abb. 318;
C. Michalowski, Les portraits hellenistique et romains, Delos XIII (1932)
Taf. XXXIII-XXXV.
12 Vgl. etwa die o. angeführten Porträts der Ptolemäerinnen und den Porträtkopf aus
Delos.

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