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Adenstedt, Ingrid; Krinzinger, Friedrich [Hrsg.]
Hanghaus 2 in Ephesos, die Wohneinheiten 1 und 2: Baubefund, Ausstattung, Funde (Textband 1): Textband Wohneinheit 1 — Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.47151#0403
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A.XVI Terrakotten

17 Model
Die Bildfläche des Models - das Negativ eines Reliefs - ist von einer glatten Leiste gerahmt. Der seitliche Rahmen ist etwas breiter
als die Bodenleiste und weist eine halbkugelförmige, beulenförmige (Radius 4 cm) Verdickung auf. Diese Auswölbung diente der An-
passung der zweiten Modelhälfte. Die Darstellung ruht auf einer Basis, die vom Reliefgrund aus abgehoben ist. In plastischem Relief
sind die Tiere, eine Hase, ein Elefant und ein Raubvogel, ausgeformt, besonders der Elefant mit seinem mächtigen Kopf ragt weit aus
dem Reliefgrund heraus. Die einzelnen Tiere sind detailreich und lebensgetreu nachgezeichnet bzw. modelliert. Nach der Wölbung der
Sockelleiste, die bei den Hinterläufen des Hasen den höchsten Punkt erreicht, dürfte vom linken Rand im Wesentlichen nur das Hinter-
teil vom Elefant abgebrochen sein und die über ihm das Dreieck füllende Komposition. Damit ist ein spitzwinkeliges Dreieck zu er-
gänzen, in dem das Bild entsprechend der Dreieckform aufgebaut ist: auf der Basis stehen der Hase und der Elefant, dessen Körper die
Mitte der Bildfläche einnimmt. Darüber ist der Körper eines großen Vogels zu sehen. Die dicke faltige Haut des Elefanten ist getreu
seinem lebenden Vorbild nachgezeichnet. Zwei kurze Stoßzähne wachsen deutlich aus dem Zahnfleischsaum. Beide großen runden
Ohren sind flächig abgebildet. Die äußere untere Ecke nimmt ein großer Hase mit angelegten Ohren ein. Mit seinen Vorderläufen, die
wie die rückwärtigen deutlich gespaltene Zehen zeigen, scheint er sich an etwas festzuhalten. Über beiden Tieren steht ein Geier, cha-
rakterisiert durch seine „Federhose“, in einer Felslandschaft aus der ein Baum mit knorrigem Stamm und kleinen Früchten in Dolden-
form wächst. Die Darstellung auf dem kleinen Fragment ist nicht näher bestimmbar; es ist jedoch festzuhalten, daß in der glatten
Rahmenleiste parallel zum Rand ein vertiefter Falz verläuft.
Die dargestellten Tiere stehen weder in einem der Wirklichkeit entsprechenden Größenverhältnis zueinander, noch teilen Hase und
Elefant tatsächlich einen natürlichen Lebensraum. Die großen runden Ohren des Elefanten weisen auf seine afrikanische Herkunft; in
Relation zum Hasen müßte er jedoch deutlich größer dargestellt sein, auch wenn es sich nach der Größe der Stoßzähne um ein junges
Tier handelt. Die erhaltene Gruppe wird vom Hasen dominiert, der in Ruhe- oder auch Tarnhaltung dargestellt ist. Es drängt sich die
Vermutung auf, hier einen Ausschnitt einer in Szene gesetzten Fabel oder eines Sinnspruches vor Augen zu haben, in der der Hase eine
wichtige Rolle spielt und seine Anwesenheit neben dem Elefant daher auch optisch behaupten muß. Der Geier in der Dreieckspitze über
den beiden Tieren hat wohl ebenfalls einen wichtigen Part zu spielen65.
Die Suche nach christlicher Symbolik kann ausbleiben, da der Elefant in der christlichen Ikonographie vor dem 4. Jh. keine Rolle spielt66.
Nach antiker Mythologie haften dem Elefant Eigenschaften wie Klugheit und Gelehrigkeit an; er wird als der klügste Vertreter der
Tierwelt schlechthin bezeichnet67; er ist eine Lichtgestalt mit Bezug zur Sonne68. Der Hase wird seit Homer als schnell und scheu be-
schrieben69. Das Judentum erkennt den Hasen als koscher an, da er zu den Wildtieren und Wiederkäuern mit gespaltenen Zehen, die
ganz deutlich dargestellt sind, gerechnet wird. Der Geier zählt zu den schlecht beobachteten Tieren, denn nur zwei Arten werden inner-
halb der großen Vielfalt im Mittelmeerraum unterschieden70. Nach antiker Mythologie werden ihm die Eigenschaften wie die eines
Weissagevogels, aber auch die eines „lebenden Grabes“ - eines Totenbringers - zugeschrieben71.
Vergleicht man den Aufbau der Szenen mit einem Model der Agora in Athen, so steht dort im Giebel, der Spitze des Dreiecks, der
Protagonist nämlich Orpheus und ihm zu Füßen die Tiere72. Das bedeutet, daß der Geier die eigentliche Hauptfigur und der Anlaß für
die Szene zu seinen Füßen ist. Der Hase in dieser Haltung mit angelegten Ohren und flach an den Boden gepreßt, um möglichst un-
sichtbar zu sein, drückt damit die Furcht vor seinem Feind aus. Der Elefant nimmt Stellung hinter ihm ein, streckt seinen Rüssel über
den Hasen und breitet sich schützend über dem Hasen aus. Zur Erklärung dieser Szene läßt sich ein Sprichwort des Gorgias anführen:
Yvttcc; cptpuoi Tdcj)oi - Geier: lebende Gräber73. Die Bedrohung, die vom Geier ausgeht, illustriert das Sprichwort, das im übertragenen
Sinn wie folgt lautet: „Dem zitternden Schwachen kann der todbringende Geier nichts anhaben, wenn er von einer Lichtgestalt wie dem
Elefant beschützt wird“. Angesichts dieser literarischen Überlieferung diente als Vorlage für die Darstellung weniger eine Fabel74 als
vielmehr der hier zitierte Sinnspruch.
Die einzig mir bekannte Modelform in Dreieckform ist die bereits oben erwähnte, die auf der Agora in Athen gefunden wurde75. Die
Größe stimmt mit dem ephesischen Exemplar etwa überein. Bei beiden sind die Szenen von einer glatten Leiste gerahmt und nur an
einer Seite verläuft ein Falz. Das Exemplar aus Athen wird vor das Jahr 267 n. Chr. datiert. Diese zeitliche Einordnung passt gut zu
dem ephesischen Fragment, das vor dem 2. Viertel des 3. Jhs. n. Chr. in Gebrauch war.
Model in Kreis- oder Halbkreisform sind im ganzen römischen Imperium zutage gekommen, besonders gut publizierte Stücke stammen
aus Ostia76 und Nordafrika7/. Die Dreieckform ist dagegen bis jetzt nur durch je ein Exemplar aus Athen und Ephesos belegt.
Die Komposition ist entsprechend der Form des Models pyramidal aufgebaut. Funktional handelt es sich bei dem Model um eine Form
für Kuchen oder Brote, die durch das Reliefbild auf einer Seite dekoriert wurden während die anderen glatt blieben. Diese, allerdings

67 Christine Harrauer danke ich sehr herzlich für zahlreiche Hinweise zur Inter-
pretation.
66 LCI I (1968) s. v. Elefant (M. Boskovits).
67 Aristot. hist. an. 8 (9), 46, 630 b 19.
68 Ail. nat. 7, 44.
69 Hom. II. 17,676 und in der Kaiserzeit Ail. nat. 13, 14 f.
70 Aristot. hist. an. 7 (8), 3, 592 b 7.
1 So wird den Geiern zugeschrieben, daß sie als Begleiter von marschierenden Hee-
ren kommende Beute drei Tage im Voraus erahnen konnten: Plin. nat. 10, 19. Der
Geier ist es auch, der die Leber des Prometheus frißt.

72 Grandjouan, Terracottas, 51 Nr. 265.
73 Gorg. VS 83b 5a D.-K.
74 Diese Annahme wird auch durch den Umstand gestützt, daß weder bei Aisop noch
bei Phaedrus eine Fabel zu finden ist, in der Hase und Elefant gemeinsam vorkom-
men.
75 Grandjouan, Terracottas, 51 Nr. 265.
76 J. W. Salomonson, Römische Tonformen mit Inschriften. Ein Beitrag zum Problem
der sogenannten Kuchenformen aus Ostia, BABesch 47, 1972, 88-113.
M. Bonifay, Etudes sur la ceramique romaine tardive d’Afrique, BAR Int. Ser.
1301 (2004) 435-437.

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